Die Jünger Gonzalos
Die Bewegung Movadef in Peru beruft sich auf die Ideologie von Abimael Guzmán, dem Gründer der Guerilla-Bewegung Leuchtender Pfad
„Wir sind Studenten, keine Terroristen“, rufen die Demonstrant_innen, die am 20. November 2012 vom Zentrum Limas zum Campus der Universität San Marcos ziehen. Studentenproteste sind in Peru keineswegs an der Tagesordnung, dieser Anlass jedoch brachte 3000 Menschen auf die Straße. Grund für den Aufruhr war die schleichende Infiltration von Universitätsgremien durch Angehörige der Bewegung für Amnestie und Grundrechte (Movimiento por Amnistía y Derechos Fundamentales, Movadef). Auch wenn die Bewegung scheinbar neu auf der politischen Bühne des Landes ist, weckt sie doch böse Erinnerungen. Denn die Leitlinie von Movadef ist das sogenannte Pensamiento Gonzalo, das Gedankengut von Abimael Guzmán, dem Gründer der Guerillagruppe Leuchtender Pfad.
Der Leuchtende Pfad war vor allem zwischen 1980 und 1992 aktiv und provozierte einen Bürgerkrieg, der fast 70.000 Menschen das Leben kostete. Sein Aufstieg begann Anfang der 1970er Jahre an den Universitäten des Landes. Der Philosophieprofessor Abimael Guzmán oder Presidente Gonzalo, wie ihn seine Anhänger_innen nennen, gründete die Gruppe an der Universität von Ayacucho im zentralen Andenhochland. Von dort verbreitete sie sich schnell in ganz Peru, mit der Universität San Marcos als wichtigster Basis in der Hauptstadt. Diese historische Verbindung ist Hauptgrund dafür, dass es den Student_innen sehr wichtig ist, sich von Movadef abzugrenzen.
Die Verbindung von Movadef mit dem Leuchtenden Pfad wird in Peru von niemandem angezweifelt, auch wenn die Bewegung selbst das Gegenteil behauptet. Immerhin sind ihre Gründer, Alfredo Crespo und Manuel Farjado, Guzmáns Anwälte. „Es ist völlig klar, dass Movadef die politische Fassade-Organisation vom Leuchtenden Pfad ist“, bemerkt der sozialistische Kongressabgeordnete Javier Diez Canseco und stellt sich damit in eine Reihe mit den anderen Vertreter_innen der demokratischen Linken. Zum selben Schlusskommt der Terrorismusexperte Jaime Antezana nach der Analyse von internen Dokumenten der inhaftierten Führungsriege des Leuchtenden Pfades. Aus diesen geht hervor, dass der Leuchtende Pfad an seinen Zielen festhält, das probate Mittel des Moments aber nicht mehr im bewaffneten Kampf sondern in der Teilnahme am institutionalisierten politischen System sieht. Zu diesem Zweck hat Movadef 360.000 Unterschriften gesammelt, um sich offiziell als Partei anerkennen zu lassen. Bisher lehnt die Nationale Wahlkommission (JNE) einen Eintrag ins Parteienregister jedoch ab, da sie die demokratische Gesinnung der Bewegung anzweifelt.
Die Teilnahme an Wahlen steht im Widerspruch zur historischen Ausrichtung des Leuchtenden Pfades. Als er in den 1960er Jahren gegründet wurde, war das ausgemachte Ziel der Umsturz des peruanischen Staates und eine komplette Neuordnung der Gesellschaft. Der autoritäre und kultisch verehrte Anführer Guzmán unterfütterte das Unterfangen mit Interpretationen von Marx, Lenin und Mao sowie mit eigenen Theorien und verknüpfte diese zum Pensamiento Gonzalo. Gewalt war dabei nicht nur erlaubt sondern wurde als förderlich angesehen, um ideologische Reinheit zu erlangen. „Der Triumph der Revolution wird eine Million Tote fordern“, war eine häufig zitierte Ansicht Guzmáns. In der Folge kam es nicht nur zu Massakern an der indigenen Bevölkerung, sondern auch zu gezielten Morden von mindestens 291 linken Aktivist_innen, die sich weigerten, der Doktrin des Leuchtenden Pfades zu folgen.
Das Pensamiento Gonzalo wird von den Mitgliedern Movadefs in öffentlichen Auftritten leidenschaftlich verteidigt. Dennoch steht Gewalt nicht auf ihrer Agenda. Abgesehen von ihrer Hauptforderung nach eine Generalamnestie bleibt das Programm relativ abstrakt. Das größte Problem stellt die Relativierung der im Bürgerkrieg verübten Verbrechen dar. Die nachgewiesenen Morde und Menschenrechtsverletzungen seien unvermeidbare Folgen eines politischen Krieges gewesen, erklären die Mitglieder gebetsmühlenartig.
„Movadef will keine Amnestie, sondern Amnesie“, kommentiert der Publizist César Hildebrandt diese Haltung. Immerhin brachte die Kommissi-on für Wahrheit und Versöhnung (CVR), die die Verbrechen des Bürgerkrieges aufklären sollte, ans Licht, dass es fast 70.000 Todesopfer gegeben hatte. Für mehr als die Hälfte davon war der Leuchtende Pfad verantwortlich. Der Rest wird hauptsächlich Militär und Polizei zur Last gelegt. Vor allem die indigene Bevölkerung auf dem Land war von der Gewalt betroffen. Drei Viertel der Opfer sprachen Quechua als Muttersprache, 79 Prozent kamen aus strukturschwachen, ländlichen Regionen. Die meisten warten noch heute auf die gesetzlich zugesicherten Reparationszahlungen.
Damit waren vor allem die Bevölkerungsgruppen betroffen, für die sich der Leuchtende Pfad eigentlich einsetzen wollte. Auch Movadef schreibt sich auf die Fahne, für die Rechte der Kleinbäuerinnen und -bauern zu kämpfen. Ihre Hauptforderung ist jedoch weiterhin eine Generalamnestie für alle, die wegen Verbrechen in Verbindung mit dem Terrorismus und dem Bürgerkrieg im Gefängnis sitzen. Sie bezeichnen diese als politische Gefangene, deren Rehabilitierung für eine nationale Versöhnung nötig sei. Dabei schließen sie Militärs und Polizist_innen mit ein, in erster Linie richtet sich ihre Forderung aber auf die Freilassung von Guzmán, der eine lebenslange Haftstrafe wegen Terrorismus absitzt.
Im September 1992 war er der Geheimpolizei des damaligen Präsidenten Fujimori überraschend ins Netz gegangen. Da der Leuchtende Pfad stark auf seinen Anführer ausgerichtet war, kollabierte die Organisation in der Folge relativ schnell und die Gewalt im Land ebbte ab. Guzmán bot Friedensverhandlungen an, was Fujimori ablehnte. Teile der verbliebenen Guerillakämpfer_innen empfanden das Verhandlungsangebot als Verrat und brachen mit ihrem Anführer. So spaltete sich eine Gruppe ab und zog sich in schwer zugängliches Gebiet im Tal der Flüsse Apurímac, Ene und Mantaro (VRAEM) zurück.
Dort sollen sich heute 300 bis 400 bewaffnete Guerillas hauptsächlich dem Drogenhandel widmen. Sie verüben aber auch regelmäßig Angriffe auf Staatseinrichtungen in der Region und die peruanischen Streitkräfte, die schon mindestens 50 Menschen das Leben kosteten. Trotz einiger spektakulärer Festnahmen, kann die Regierung die Kontrolle über die Region nicht zurückgewinnen. Expert_innen, wie der Journalist Gustavo Gorriti, versichern, dass die Guerillakämfer_innen im VRAEM keine Verbindung zu Movadef hätten. Dennoch macht die Opposition, besonders das Lager des Expräsidenten Fujimori und seiner Tochter Keiko, diese vermeintliche Bedrohung zur Wahlkampfagenda. „Movadef und der Leuchtende Pfad im VRAEM sollen als zwei Gesichter des gleichen Phänomens dargestellt werden: der alte Leuchtende Pfad, der den Staat destabilisieren will“, erklärt Gorriti.
Vor diesem Hintergrund muss auch das Vorgehen der Regierung gegen Movadef gesehen werden. Das Kabinett Humala möchte ein Negationismusgesetz auf den Weg bringen, nach dem die Leugnung des Terrorismus mit vier bis sechs Jahren Gefängnis bestraft wird (siehe KN LN 464). Dies geschehe, um „die Würde und Ehre der Opfer des Terrorismus zu schützen“, heißt es im Gesetzesvorschlag. Obwohl die Wahrheits- und Versöhnungskommission auch den damaligen Regierungstruppen Menschenrechtsverletzungen und 28.000 Tote anlastet, soll die Leugnung von Staatsterrorismus nicht unter Strafe gestellt werden. „Die Regierung reagiert über, um nicht schwach zu erscheinen“, vermutet Gorriti. Kritiker_innen befürchten, dass das Gesetz Movadef nur in die Karten spielen wird, da sie sich spätestens seit ihrer Aberkennung als Partei als politisch Verfolgte stilisieren. „Es ist viel besser, Movadef im Hort der Formalität zu behalten, als so, wie Crespo das will, nämlich verfolgt und verschmäht von der formalen Demokratie“ erklärt Hildebrandt. Die 360.000 Unterschriften, die Movadef für den Antrag auf Zulassung als Partei sammeln konnte, zeigen, dass die Bewegung schon eine breite Basis besitzt. Sie wirbt besonders um junge Peruaner_innen, die den Bürgerkrieg nicht selbst erlebt haben. So ist vor allem die Jugendorganisation von Movadef in den Medien präsent. Deren Vertreter_innen lassen sich nicht nur im Fernsehen interviewen sondern nutzen gezielt die neuen Medien. Sie führen neben mehreren Blogs auch 17 Konten auf Facebook und zehn auf Twitter. Zudem verfügen sie über einen eigenen Kanal auf YouTube, der zahlreiche Videos beinhaltet, in denen sie das Pensamiento Gonzalo propagieren.
Das allein ist aber nicht der Grund für den Erfolg von Movadef. Seit Jahren verzeichnet die peruanische Wirtschaft Rekordwachstumsraten, parallel dazu wächst aber auch die Ungleichheit im Land. Gerade die sozial benachteiligten Peruaner_innen hatten große Hoffnung auf die vermeintlich linke Regierung von Humala gesetzt. Wie seine Vorgänger setzt er sich aber eher für die Gewinnsteigerung großer Unternehmen ein (siehe LN 457/458). Diese sozialen Missstände macht sich Movadef zu Nutze. So unterstützen Mitglieder der Bewegung Proteste gegen Bergbauprojekte oder für höhere Löhne, um sich Sympathien für ihre Forderung nach der Freiheit für Guzmán zu verschaffen.
Die große Präsenz von Movadef macht auch die mangelnde Aufarbeitung von Bürgerkrieg und Terrorismus deutlich. Viele Peruaner_innen haben keine eigenen Erinnerungen an diese Epoche. Sie wissen kaum Bescheid. Dies liegt nicht zuletzt daran, dass der politische Wille zu einer Aufarbeitung fehlt, da ein großer Teil der politischen Elite in die Ereignisse verstrickt ist. Neben Fujimori, der wegen Menschenrechtsverletzungen eine 25-jährige Haftstrafe verbüßt, gibt es weitere prominente Verdächtige. Darunter ist nicht nur Expräsident Alan García, unter dessen erster Amtszeit (1985 bis 1990) sich der Bürgerkrieg ausweitete, sondern auch Humala. Er soll in seiner damaligen Funktion als Offizier an Menschenrechtsverletzungen beteiligt gewesen sein. Um die Bedrohung durch den Terrorismus in Peru auf Dauer in den Griff zu bekommen, erscheint eine umfassende Aufarbeitung der Vergangenheit hilfreicher als strengere Gesetze. Zumindest die Student_innen der Universität San Marcos wollen diesen Weg gehen, so bekräftigt der studentische Aktivist Said Trujillo: „Ein Negationismusgesetz ist Unsinn, der Kampf muss ideologisch und politisch sein“.