Kunst | Nummer 419 - Mai 2009

Die Kunst des Widerstands

Gespräch mit asaro, der Versammlung Revolutionärer Künstler Oaxacas

Seit dem niedergeschlagenen Volksaufstand gegen die Regierung im südlichen Bundesstaat Oaxaca im Jahre 2006 haben sich um die Volksversammlung der Völker Oaxacas APPO vielfältige Gruppen des Widerstands gebildet. Auf künstlerischer Ebene ist besonders asaro, die Versammlung Revolutionärer Künstler Oaxacas, aktiv. Die Lateinamerika Nachrichten sprachen mit ihnen über ihre Rolle in der Bewegung und die Kraft der Kunst im politischen Kampf.

Therese Gerstenlauer

Wie kam es zur Gründung eures Kollektives und wie beteiligt ihr euch am sozialen Widerstand in Oaxaca?
Im Sommer 2006 nahmen wir als Einzelpersonen an den breiten Demonstrationen und Märschen in Oaxaca teil. Wir unterstützten die Barrikaden und Radios. Dadurch lernten wir nach und nach weitere Beteiligte kennen, die sich auch mit Kunst beschäftigen und als es seitens der APPO den Aufruf zur Gründung von Basisgruppen gab, beschlossen wir ein Kunstkollektiv zu gründen. Mit weiteren Kollektiven und Personen schlossen wir uns im Oktober 2006, wenige Tage vor dem Einmarsch der Präventiven Bundespolizei in Oaxaca und der schweren Niederlage der Bewegung, als eine Versammlung von KünstlerInnen oder ArbeiterInnen der Kunst zusammen und begannen gemeinsame Projekte zu realisieren.

Beteiligen sich viele KünstlerInnen an der Bewegung?
Direkt aktiv waren es eher wenige. Die Distanz zu sozialen Bewegungen, die Darstellung der Geschehnisse aus der Ferne stimmen mit einer Denkart überein, die uns auch in unserer Ausbildung beigebracht wird: „Du bist Künstler, du bist nicht Teil dessen, was du darstellst.“ Aber das ist Schwachsinn. Wir sind ein Teil der Bevölkerung, der Bewegung und dementsprechend müssen wir die sozialen Kämpfe auch unterstützen.
Heute besteht der Kern asaros aus ungefähr 15 Personen. Seit unserer Gründung sind immer wieder Leute dazu gekommen und wieder gegangen. Auch heute gibt es einige, die an den kulturellen Aktivitäten mitwirken, aber der gesamten Sache nicht so stark verpflichtet sind.

Was macht Euch innerhalb der sozialen Protesten zu KünstlerInnen?
Ich glaube nicht, dass wir uns einheitlich in eine der politischen Strömungen der Bewegung einordnen lassen. Was uns vielmehr gemeinsam ist, ist das Verlangen Kunst zu machen, die sich auf eine soziale Wirklichkeit bezieht und keine simulierte Realität darstellt. Wir wollen nicht nur das „Schöne“ abbilden, was sein könnte, weil es nicht vorhanden ist, sondern politische und soziale Angelegenheiten reflektierend darstellen, die negativ auf die Gesellschaft einwirken. Wir wollen nicht unsere ideologischen Ansichten verbildlichen, sondern das soziale Befinden. Gerade zu Anfang stand das im Vordergrund, um den sozialen Kampf zu stärken. Wir stellten in den Straßen der Stadt die aktuellen Geschehnisse dar und gaben so der Bewegung eine gemalte Stimme.

In euren Darstellungen verbindet ihr auch vergangene mit gegenwärtigen Kämpfen – zum Beispiel stellt ihr Emiliano Zapata als Punk dar – oder ihr bezieht euch auf andere Regionen. Welche weiteren, nicht speziell auf Oaxaca ausgerichteten Themen beschäftigen euch und wie kommt es dazu?
Als wir als asaro zu arbeiten begannen, haben wir uns vor allem mit den aktuellen Problemen Oaxacas beschäftigt. Aber da das für Armut, Ausbeutung und unnötige Kriege verantwortliche System weltweit anzutreffen ist, müssen wir als asaro diese nur auf Oaxaca gerichtete Sichtweise aufbrechen. Manchmal schreiben uns Organisationen aus anderen Ländern, dass bei Ihnen dieses und jenes passiert und das regt uns zum Nachdenken an. So beginnen wir, uns über diese Situationen in anderen Regionen zu informieren. Später informieren wir mittels unserer Bilder über diese Konflikte. Wir beschäftigen uns unter anderem mit den Frauenmorden in Ciudad Juarez in Chihuahua, mit gentechnisch verändertem Mais, der Ölindustrie in Mexiko, mit Palästina. Wahrscheinlich werden wir uns demnächst auch stärker mit El Salvador auseinandersetzen.

Ihr benutzt sehr unterschiedliche Techniken zur Darstellung der genannten Themen. Welche Ziele oder Funktionen verfolgt ihr damit?
Die Leute innerhalb asaros haben unterschiedliche Hintergründe und Fähigkeiten. Das zeigt sich auch in unseren Arbeiten. Je nach Raum und abhängig von der zugedachten Funktion benutzen wir die uns bekannten Techniken. Graffitis und Schablonen dienen eher als ein Informationsinstrument in den Straßen. Dort sind sie für alle sichtbar. Wer sich stärker davon angesprochen fühlt, versucht die Bilder zu lesen, zu verstehen. Daraus folgt eine gewisse Kommunikation zwischen den Bildern und den Angesprochenen. Teilweise kommt es auch zu Reaktionen oder Antworten auf die Darstellungen. Wenn wir beispielsweise für alle sichtbar in den Demonstrationen sprühen, kann es sein, dass eine Person dazukommt und mit einem Wort, einem Pfeil oder einer Gedankenblase interveniert. Von 2006 sind noch Graffitis zu sehen, die von Buchstaben und Wörtern umkreist werden. Die Leute mischen sich also ein und es kommt zu vollständigeren Erklärungen der Geschehnisse. Graffitis folgen auch der Strategie, länger sichtbar zu sein, auch wenn sie immer wieder von staatlicher Seite übermalt werden, besonders die Wörter mit politischem Charakter. Das ist fast wie eine Kampagne gegen Informationen, die über den Weg der Kunst vermittelt werden sollen. Malereien hingegen sind nicht so strategisch einsetzbar. Aber wir lassen diese auch nicht in einem geschlossenen Raum, sondern nehmen sie bei Gelegenheit mit auf die Straßen. Dann gibt es oft auch einen direkteren Austausch und Dialog mit den Leuten.

Hat sich eure Kunst seit dem Bestehen eures Kollektives und mit dem Abstand zu den breiten Mobilisierungen von 2006 verändert?
Auf der einen Seite haben sich unsere Techniken sichtbar weiterentwickelt. Dieser kontinuierliche und schnelle Wandel liegt mit daran, dass asaro in den letzten beiden Jahren stark gewachsen ist. Wir hätten nie gedacht, dass wir einmal eine Werkstatt und einen öffentlichen Ausstellungsraum haben würden. Letzteren, den „espacio Zapata“, gibt es seit November 2008, um mehr Leute einzubinden und unsere Kunst sichtbarer zu machen. Aber auch um finanzielle Mittel zu bekommen, denn wir erhalten keine Gelder von staatlicher oder institutioneller Seite. Das ist manchmal etwas schwer durchzuhalten, aber wir wollen autonom arbeiten und unsere Entscheidungen selbst treffen.
Auf der anderen Seite haben sich auch unsere Arbeiten verändert. Anfangs gebrauchten wir so wenig wie möglich Hilfsmittel. Beispielsweise benutzten wir die Schablonen eher augenblicklich und beispielsweise auf Demos, wenn wir nur wenig Zeit hatten, konnten wir nur eine Farbe einsetzen. Deswegen waren es grafischere, schwarz-weiß Darstellungen. Wenn du 2006 das Haus verlassen hast, konntest du auf eine Barrikade gehen. Heute sind die Umstände eher ruhiger, wir haben mehr Zeit, können uns besser vorbereiten und arbeiten nicht mehr so kurzfristig.

Bleibt Ihr in Eurem Aktionsradius auf Oaxaca-Stadt beschränkt?
Vor einem Jahr haben wir zusammen mit anderen Gruppen Revuelta Cultural Mexicana (Kulturelle Mexikanische Revolte, Anm. d. Red.) initiiert, ein nationales Kollektiv aus KünstlerInnen, die auch soziale Kunst machen. Diese Aktivitäten wollen wir weiterentwickeln. Mittels Kunst versuchen wir, mehr Menschen in soziale und politische Themen einzubinden.
Manchmal machen wir auch Ausstellungen und Workshops in anderen Städten und ländlichen Gemeinden. Momentan liegt das etwas flach, weil die Zeit und vor allem die nötigen Mittel dazu fehlen. Das war mit ein Grund, weshalb wir uns auch in die APPO eingegliedert haben. Sie erleichtert uns den Zugang zu ländlichen Gemeinden und Beschaffung von Materialien.
Wir wollen diese Räume öffnen und nach und nach mehr Jugendliche einbinden, die politische Kunst machen wollen. Das kann ihnen auch eine gewisse Perspektive geben.

Der Staat reagiert auf die Bewegung in Oaxaca mit harter Repression und Einschüchterung. Seid Ihr davon auch betroffen?
Ja, vor einigen Monaten hat die Polizei einen Freund mitgenommen. Zum Zeitpunkt der Festnahme beschuldigten sie ihn wegen anderen Dingen. Erst später identifizierten sie ihn als einen, der politische Graffitis macht und schlugen ihn. Es ist aber eher die Angst, die wir spüren. Manchmal bedrohen sie uns übers Telefon. Der Staat richtet sich gegen uns, weil wir soziale und politische Kunst machen und wir uns sehr eng bei der APPO positionieren. Gleichzeitig aber wissen sie, dass wir nicht schwach sind, weil wir direkt mit der APPO verbunden und nicht alleine sind.

Was denkt Ihr über die Zukunft von asaro und die Entwicklung der Situation in Oaxaca?
Bereits heute haben wir mit unseren Arbeitsformen eine gewisse Verpflichtung gegenüber der Gesellschaft. Wir nehmen an, dass asaro weiter wachsen wird. Unser Traum wäre die Gründung einer Schule, um viele Jugendliche einbinden zu können und eine Bewegung dieser Art von Kunst entstehen zu lassen. Aber das kommt natürlich darauf an, wie sich die politische und soziale Situation in Mexiko weiterentwickeln wird. Momentan passieren im ganzen Land viele Dinge, welche die Menschen zum Kämpfen veranlassen. Die Mehrheit sucht nach Verteidigungsformen. Es gibt zwar auch Leute, denen zwar bewusst ist, dass sie ausgebeutet werden und die in sehr schlechten Lebensbedingungen leben, die aber nicht reagieren, weil sie zumindest zu essen haben. Aber was passiert, wenn es kein Essen mehr gibt? Schon jetzt zeichnet sich ab, dass es in Mexiko schwerere Probleme geben wird. Die einzige Möglichkeit, die das Überleben sichert, ist der organisierte Kampf.
Auch in Oaxaca gibt es ehrlich gesagt nur wenige Optionen. Wir haben das bereits implementierte System und die APPO. Weil ersteres kaum Alternativen bietet, setzen wir alles auf die APPO. Diese Versammlung könnte einen wirklichen Wandel bedeuten, indem sie die Bevölkerung einbindet. Es ist ein langwieriger Prozess, immer wieder gibt es Probleme, gemeinsame Erklärungen und Abkommen zu finden. Aber der Prozess gewinnt an Dynamik.

Internetauftritt der KünstlerInnengruppe www.myspace.com/asaroaxaca

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