Film | Nummer 392 - Februar 2007

Die Languste im Fischglas

“Wenn Vater stirbt, hat nichts mehr einen Sinn.” – Der argentinische Kurzfilm Guacho

Vincent Gatzsch

Eine schwarze Gestalt stürzt durch Wolkenbahnen. Die Musik hämmert sich in die Ohren der ZuschauerInnen. Grau, in Tristesse versunken, zeigt sich das Straßenbildvon Buenos Aires, während sich das Geschehen in einem “stream of consciousness” entwickelt. Juan Minujín sitzt rauchend im Auto, während er unerlässlich auf das Lenkrad eintrommelt. Die Unrast des Charakters wird von hektischen Bildwechseln und Überblendungen synchronisiert. Straßenverkehr, hupende Autos, die anfahren und wieder abbremsen, Straßenlichter, die vorbeiziehen, bilden die Szenerie, die die Assoziationen Minujíns über Körperlichkeit und gewalttätige Lust begleiten.
Die Ebenen der Figur Minujín überlagern sich. Zum einen ist da der Regisseur Juan Minujín hinter der Kamera. Dann wiederum ist der Schauspieler Minujín beim Casting für den Kurzfilm Guacho (“Vaterlos”) in immer wieder anderen Rollen zu sehen. Um dies noch zu übersteigern, ist der Darsteller Minujín im Film selbst Schauspieler eines Theaters, der mit hasserfülltem Blick seinen Schauspielerkollegen straft, um ihm seine kleinliche Existenz, die nur nach profanem Ruhm auf der Bühne strebe, gedanklich vorzuhalten.
Dieser hasserfüllte, existenzialistische Blick auf das menschliche Dasein stellt sich ebenso in der autoreflexiven Betrachtung ein. Minujíns Hass überträgt sich auf seine Umwelt. Alles scheint in tiefer Dunkelheit eingefärbt zu sein und andere Menschen um ihn herum lediglich Beiwerk im Monolograusch. Dieser liest sich wie ein Katalog des sich selbst verachtenden Egozentrikers, der, einzig sich selbst zum Ziel gesetzt, nach Geld und Macht strebt. Und doch ist es eben dies Gebaren, das hier zur Anklagebank geführt wird.

Das Prinzip Badewanne

Die düsteren Traumdarstellungen der Person werden von einem innigen Wunsch nach menschlicher Nähe begleitet. Dass das Leben keinen Sinn mehr machen würde, falls die Vaterfigur sterben sollte, trägt zum enigmatischen Gehalt von Guacho bei. Für was oder wen steht dieser Vater? Ist dieser nicht vielmehr der Ausbruch aus der Einsamkeit des Hauptdarstellers, oder fließt eine ungeahnte Schuld in diese Vater-Sohn-Beziehung mit ein? Der Ausbruch aus dem Alltäglichen ist der Wunsch nach tiefer Reflexion, das Abtauchen im seichten Wasser, um einer gewissen Sinnfindung auf die Spur zu kommen. Vielleicht hilft einzig der Freitod, um dem andauernden Sturz der schwarzen Gestalt zu entgehen oder ein anderes Prinzip: das Prinzip menschliche Nähe.
Der argentinische Schauspieler Juan Minujín hat mit dem 14-minütigen Kurzfilm Guacho sein Debut als Skriptschreiber und Regisseur vorgelegt. Guacho ist eine Art Road Movie der Seele, ein Kunstfilm voller surrealer Bilder, der durch seine konfusen Überschneidungen und dem dazu passenden Soundtrack besticht. Die Metaphorik der Bilder begleitet die Rastlosigkeit des Menschen, der gefangen in seiner existenziellen Nacktheit hier als Misanthrop par excellence gezeichnet wird.

Der Film ist vom 8. bis 18. Februar auf der Berlinale im Panorama Programm zu sehen.

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