Die permanente Invasion
Ein Debattenbeitrag von Mario Benedetti
Nun hat der UNO-Sicherheitsrat mit leichtem Zähneknirschen die Clinton-Regierung für eine Invasion in Haiti authorisiert. Dies wäre nicht das erste Mal. Bereits 1915 fielen die einschlägig berühmten marines in dem Land ein unter dem Vorwand, die haitianische Regierung habe “einige Verpflichtungen nicht eingehalten”. Sie blieben fast 20 Jahre und zogen erst 1934 ab. Nach der Amtszeit von Lescot, Estime und Magliore, drei pünktlich vom haitianischen Militär gestürzten Präsidenten, setzten die Vereinigten Staaten “Papa Doc” Francois Duvalier ein und unterstützten ihn bis zu seinem Tode 1971. Sein Sohn Baby Doc erbte die Präsidentschaft, bis er 1985 durch einen weiteren Militärputsch gestürzt wurde. Unter den Regierungen der beiden Duvaliers herrschte eine grausame Repression. Es wird davon ausgegangen, daß allein unter der Regierung von Baby Doc mehr als 40.000 Personen ermordet wurden. Die Vereinigten Staaten wußten aus guter Quelle, wie auf Haiti mit ihrer tatkräftigen Unterstützung die Menschenrechte verletzt wurden.
Mißratener Zögling der USA
Raul Cédras, der gegenwärtige Diktator, der den demokratisch gewählten Priester Jean-Bertrand Aristide durch einen Putsch stürzte, ist lediglich der letzte in der bisherigen Reihe von haitianischen Tyrannen. Man weiß nicht genau, warum ausgerechnet er den Vereinigten Staaten so mißfällt, wo sie doch in der Vergangenheit mit den Duvaliers so gut auskamen. Dem nicht genug, darf man nicht vergessen, daß Cédras, wie alle Diktator-Lehrlinge Lateinamerikas, auf einer nordamerikanischen Militärakademie ausgebildet wurde.
Die Geschichte Haitis ist wirklich dramatisch: Der revolutionäre Kampf begann 1791 mit einem Sklaven, dem berühmten Toussaint l`Ouverture. Die Unabhängigkeitserklärung am 28. November 1803 machte Haiti zum ersten entkolonisierten Land Lateinamerikas. Aus dieser historischen und politischen Avantgarderolle stieg es zu dem heute ärmsten Land Lateinamerikas und einem der am stärksten geplünderten der Welt ab.
Angesichts des politischen Imageverlustes, den jede ihrer Interventionen in anderen Ländern nach sich zieht, haben die Nordamerikaner beschlossen, sich für jeden ihrer internationalen Angriffe Partner zu suchen. Die Idealformel ist, daß die Vereinten Nationen sie mit dieser oder jener Strafaktion beauftragen, wie sie es beispielsweise beim Golfkrieg erreichten. Aufgrund ihres Insistierens wurden sie schließlich von einigen französischen und englischen Flugzeugen begleitet.
Diplomatische Winkelzüge
Rony Lescouflair, ein haitianischer Dichter, der 1967 durch die Polizei Duvaliers ermordet wurde, schrieb dieses kurze Gedicht: “Dreimal krähte der Hahn; / Petrus war kein Verräter: / er wurde Diplomat.”
Mit Hilfe eines umfassenden und nachdrücklichen diplomatischen Manövers wollen die USA auch jetzt bei der Invasion in Haiti Begleitung haben. Die Formel ist einfach: Wenn einige Länder zu kleinmütig sind, um Truppen, Schiffe und Flugzeuge zu entsenden, sollen sie zumindest applaudieren.
Bei den Regierenden in Lateinamerika kam, wie üblich, der einzige enthusiastische Applaus von Präsident Menem. Bei allen anderen, ob sie jetzt der Rechten, der Mitte oder der Linken angehören, erzeugte die bloße Idee, eine nordamerikanische Invasion zu authorisieren, allergische Reaktionen.
Nach wie vor mögen einige Arglose oder Einfältige sich fragen, warum das US-State Department nicht die Unterstützung des UNO-Sicherheitsrates erbat, um während der Pinochet-Diktatur in Chile zu intervenieren, oder während der Videla-Zeit in Argentinien, oder während der Goyo Alvarez-Zeit in Uruguay, oder während der Stroessner-Zeit in Paraguay etcetera. Könnte es daran liegen, daß es sich hier um “befreundete Diktaturen” handelte, wie es Präsident Reagan ausdrückte? Wäre es möglich, daß das Regime Cédras` zufällig eine “feindliche Diktatur” ist? Oder existiert vielleicht ein Motiv, welches nicht öffentlich genannt wird, wie zum Beispiel, daß die geplante Invasion dem ständigen Zustrom haitianischer Flüchtlinge an die Küsten Nordamerikas ein Ende bereiten würde?
Niemand hat das Züchtigungsmittel vergessen, das 1990 gegenüber Panama angewandt wurde, die sogenannte “Operation Gerechte Sache”. Um einen General gefangenzunehmen, der ihnen lästig fiel – er war CIA-Agent gewesen und hatte später mehrfach die Seiten gewechselt – nahmen sie in Kauf, 2.000 unschuldige Zivilisten zu töten und nebenbei einige Viertel der Hauptstadt Panamas in Trümmerhaufen zu verwandeln. Damals schrieb ich, daß Panama sich in die abstoßendste Militäraktion dieses Jahrhunderts verwandelt habe. Man müßte hinzufügen: in die heuchlerischste. Erst 1994 geben einige Medien im Hinblick auf die angekündigte Invasion in Haiti zu, daß mehr als 2.000 Todesopfer auf das Konto der “Operation Gerechte Sache” gingen. 1990 dagegen, als das Massaker sich ereignete, war ein Großteil der Medien zu schwerfällig, so viele Leichen zu erwähnen.
Sicherlich ist der Diktator Raoul Cédras nicht vorzeigbar, fügt sich doch sein repressives Regime perfekt in die niederträchtigsten Traditionen der Duvalier-Dynastie ein. Trotzdem scheint eine Invasion auf keinen Fall die adäquateste Lösung zu sein, auch wenn Aristide in den saubersten Wahlen in der Geschichte Haitis gewählt wurde.
Marionetten pflastern den Weg
Der Schlüssel zu dieser Verwirrung liegt wahrscheinlich darin, daß das dichte Interventions-Curriculum der Vereinigten Staaten weder den Ländern der Dritten Welt allgemein noch speziell denen Lateinamerikas das geringste Vertrauen einflößt. Niemand vergißt, daß die USA nach jeder ihrer zahlreichen Invasionen in dem Moment, wo sie einen Rückzug für opportun hielten, eine Marionettenregierung hinterließen: Somoza in Nicaragua, Balaguer (immer noch unverwüstlich) in der Dominikanischen Republik, “Quissling” Endara in Panamá – eine Gestalt, deren Ernennung zum Präsidenten beschämenderweise in einer nordamerikanischen Militärstation stattfand. Nach jeder Invasion blieb das jeweilige Land in einem schlimmeren Zustand als vorher zurück, tiefer in seiner Armut versunken, seiner Würde beraubt, in seiner Souveränität verletzt, überbrodelnd vor Groll.
Auch muß bedacht werden, daß es einen zusätzlichen, nicht zu verachtenden Vorteil gibt, welchen sich die Vereinigten Staaten verschaffen, wenn es ihnen gelingt, untergeordnete Verbündete oder Helfershelfer für ihre Militäraktionen zu finden. Wenn sie ohne Alliierte ein Land ihres Hinterhofes angreifen – beispielsweise Grenada oder Panama, entfallen die hohen Ausgaben für diese Operation notwendigerweise auf die Posten im US-Haushalt, die für Invasionen, Blockaden und andere Lappalien vorgesehen sind. Heute dagegen, wo es niemand geringeres als der Weltsicherheitsrat ist, der die Vereinigten Staaten mit der Bestrafung der haitianischen Diktatur beauftragt, handelt es sich um eine kollektive Verantwortung, und der militärische Exekutor muß nur für 25 Prozent der anfallenden Kosten aufkommen.
Daher handelt es sich für die Vereinigten Staaten um ein rundes Geschäft: Sie führen die geplanten Invasionen durch und kommen billig dabei weg. Zum ersten Mal versucht – und erreicht – es der Imperialismus in solch offener Form, daß seine militärischen Aktionen von den direkt oder indirekt untergeordneten Ländern finanziert werden. Vor einigen Jahren gab es den Spruch, daß die Organisation Amerikanischer Staaten so etwas wäre wie das Ministerium der nordamerikanischen Kolonien. Seit kurzem ist die UNO auf dem Weg, sich in das US-Verteidigungsministerium zu verwandeln.
Folgt die Herde der Stimme des Herrn?
Gibt es nach alldem keine andere Möglichkeit als die Kanonenbootpolitik, um die weltweiten Konflikte zu lösen? Die Imaginationskraft der Regierenden ist gefragt, um den Dialog als Instrument des Friedens zu nutzen. Während ich diese Zeilen schreibe (in der ersten Augusthälfte, Anm. d. Red.), erreicht mich die Nachricht, daß der haitianische Diktator eingewilligt hat, eine Verhandlungskonferenz zu empfangen, an der Delegierte von fünf lateinamerikanischen Ländern beteiligt sind. Hoffen wir, daß daraus eine anständige Lösung erwächst.
Auf jeden Fall hat das so konfliktträchtige haitianische Problem einen wichtigen Schritt provoziert: Die lateinamerikanischen Länder – zumindest diejenigen, die über eine historische Erinnerung verfügen – sind dabei zu lernen, Nein zu sagen angesichts des Drucks von “the master`s voice”. Halleluja.