Argentinien | Nummer 413 - November 2008

„Die Regierung soll endlich ihre Arbeit richtig machen“

Interview mit Chiquito Reyes von der Genossenschaft FaSinPat

Am 20. Oktober 2006 erhielten die ArbeiterInnen der Fliesenfabrik Zanon in der Provinz Neuquén die rechtliche Genehmigung, für die Dauer von drei Jahren in ihrer Fabrik Produktion und Vertrieb eigenverantwortlich abzuwickeln. Sie hatten das Werk zu diesem Zeitpunkt bereits seit mehr als fünf Jahren selbst verwaltet und ein Jahr zuvor eine Genossenschaft unter dem Namen Fabrik ohne Chefs (Fábrica Sin Patrón, kurz FaSinPat) gegründet. Einer der Gläubiger des früheren Besitzers Luigi Zanon, der italienische SACMI-Konzern, legte gegen das Urteil jedoch Berufung ein und fordert von den ArbeiterInnen die Rückzahlung der Schulden des ehemaligen Eigentümers. Daraufhin wurde die Genehmigung vom Gericht auf zwei Jahre verkürzt, womit die Frist bereits im Oktober 2008 endet. Die ArbeiterInnen betrachten die Genossenschaft seit jeher als Übergangslösung und fordern die Enteignung und Verstaatlichung mit weiterhin selbstverwalteten Strukturen. Die Latein-amerika Nachrichten sprachen mit Chiquito Reyes, Vertreter von FaSinPat, als er in Berlin über Zanon berichtete.

Luis Montilla

Was sind die größten Probleme, denen ihr euch momentan gegenüberseht?
Das Problem ist, dass im Oktober die Frist abläuft, die der Genossenschaft von Seiten der Justiz für eine selbstverwaltete Produktion zugestanden worden war. Wir haben einen Plan vorgelegt, der die Enteignung des alten Besitzers und die Verstaatlichung vorsieht. Dabei berufen wir uns auf Bestimmungen, die in den Verfassungen sowohl des Landes als auch der Provinz die Enteignung durch den Staat vorsehen, wenn Fördergelder oder Subventionen der Regierung missbraucht wurden. Allerdings fordern wir auch, die Arbeiterselbstverwaltung aufrechtzuerhalten.
Die Entscheidung, die Frist um ein Jahr zu verkürzen, geht auf das Beharren eines europäischen Konzerns zurück. Welche Zusammenarbeit gab und gibt es zwischen dieser Firma und dem alten Eigentümer, Luigi Zanon?
SACMI ist ein italienischer Multi, der die bei uns installierten Maschinen herstellt. Zanon, der ebenfalls aus Italien stammt, hatte mit dem Unternehmen seit der Gründung des Werks im Jahr 1980 Geschäftsbeziehungen. Eigentlich haftete Zanon mit seinem Privatvermögen für die Zahlung des angeschafften Maschinenparks. SACMI hat sich jedoch entschieden, diese Vereinbarung aufzuheben und die Schulden bei uns einzufordern. Der Konzern und der zuständige Richter kamen dann überein, dass die uns zur Verfügung stehende Frist um ein Jahr verkürzt wird.

Ihr führt Verhandlungen mit RegierungsvertreterInnen und Provinzabgeordneten, um eine Lösung für die Zukunft der Fabrik zu finden. Was ist der aktuelle Stand?
Angesichts unseres fast sieben Jahre andauernden Kampfes und der Arbeiterselbstverwaltung haben die staatlichen Vertreter bei den letzten beiden Treffen geäußert, „dass die Fabrik den Arbeitern gehören soll“. Das ist ein Fortschritt, der allerdings noch der konkreten Umsetzung bedarf. Momentan versuchen wir, darauf hinzuwirken. Ein großer Erfolg ist, dass die staatlichen Vertreter den Kauf der Fabrik ausgeschlossen haben. Die Provinzregierung hätte dafür nämlich umgerechnet knapp 50 Millionen Euro ausgeben müssen. Das Geld ließe sich aber viel besser für die Schaffung regulärer Arbeitsplätze, den Wohnungsbau, das Gesundheits- und das Bildungswesen einsetzen. Außerdem gehören der Provinz bereits 95 Prozent des Maschinenparks. Das ist auf die Schulden zurückzuführen, welche die Familie Zanon bei der Wirtschaftsförderungsagentur von Neuquén (IADEP) hat. Wozu sollte der Staat für die eigenen Forderungen auch noch bezahlen?

Welchen Weg schlagen also Regierung und Provinzabgeordnete vor?
Als der Kauf der Fabrik von den staatlichen Vertretern abgelehnt wurde, hätte eigentlich eine Debatte über den von uns vorgeschlagenen Gesetzesentwurf stattfinden müssen, für den immerhin 90.000 Unterschriften gesammelt wurden. Sie prüfen aber alternative Lösungen. Eine davon ist der Ankauf der privilegierten Forderungen aus der Insolvenz. Dabei würden der Staat oder die Genossenschaft – wer, ist noch nicht entschieden – einigen Vorzugsgläubigern ihre Sicherheiten abkaufen, also den Hypothekenpfandbrief und andere Dokumente. Die Weltbank ist im Besitz der Hypothek auf den Grund und das Gebäude; SAMCI hat als Sicherheit einen Teil des Ofens, gelagertes Feinsteinzeug und eine Schleifmaschine; und der IADEP gehören 95 Prozent der Maschinen. Der Kauf dieser Sicherheiten liefe aber darauf hinaus, die betrügerische Insolvenz der Familie Zanon abzusichern. Und das Problem wäre nicht gelöst. Im Gegenteil: Zusätzlich zu den knapp 50 Millionen Euro an Kosten würde das Insolvenzverfahren weiterlaufen. Und das würde bedeuten, dass wir uns für den Erhalt der Fabrik mit den Gläubigern gerichtlich auseinandersetzen müssten.

Wie weit würdet ihr gehen, wenn der Konflikt nicht gelöst werden kann?
Wie gesagt, unsere Forderung, die Fabrik zu verstaatlichen ohne die Privatschuld zu zahlen, ist von der Verfassung abgedeckt. Es kann nicht sein, dass, wie zu Zeiten der Diktatur und auch aller demokratischen Regierungen danach, Privatschulden vom Staat beglichen werden. Die Argentinier sind nicht für die Privatschulden Einzelner verantwortlich. Die von allen eingezahlten Steuern sind für Ausgaben im Gesundheitsbereich und für Bildung vorgesehen. Dieses Geld soll bitteschön auch dort ausgegeben und gleichmäßig an alle zurückgegeben werden.

Wenn aber die Regierung die Räumung beschließt, welche Maßnahmen wollt ihr ergreifen?
Wir haben bereits fünf Räumungsaufforderungen erfolgreich abgewehrt. Es geht hier um unsere Arbeitsplätze. Diese Fabrik hat es uns ermöglicht, unsere Kinder in die Schule zu schicken und über die Runden zu kommen. Mit Hilfe der verschiedenen Unterstützungsgruppen werden wir Widerstand leisten. Die Regierung muss das Problem lösen, auf politischer Ebene oder in irgendeiner anderen Form. Wenn kein Aufschub möglich ist, wird sich etwas anderes finden. Wir warten ab.

Es gibt auch andere besetzte Betriebe, wie die besetzte Waschmaschinenfabrik Renacer in Feuerland, deren Selbstverwaltung vor einigen Monaten in einem Gerichtsurteil gestärkt wurde. Habt ihr Kontakt untereinander?
Die Genossen von Renacer befinden sich ganz im Süden des Landes. Die Verbindung ist nicht so eng, wie wir es gern hätten; die Entfernung ist einfach zu groß. Wir freuen uns allerdings sehr über den Erfolg der Genossen. Sie haben einen Präzedenzfall für die Erreichbarkeit dessen geschaffen, was wir schon seit 2005 fordern: ein landesweites Enteignungsgesetz für alle besetzten Betriebe. Die Besetzungen waren schließlich die einzige angemessene Reaktion auf das nie dagewesene Chaos, auf das Versagen von Politik und Wirtschaftsverbänden während der Krise von 2001. Wir sind jederzeit bereit, den Genossen von Renacer unsere Produkte günstiger anzubieten, denn sie sind genauso Arbeiter wie wir. Sie sollen ebenso Vergünstigungen haben, wie sie uns von dem selbstverwalteten Hotel Bauen in Buenos Aires eingeräumt wurden. Wir haben die Angestellten damals finanziell unterstützt, und jetzt können wir dort übernachten, ohne einen Peso zu bezahlen. Das ist ein Austausch zwischen Belegschaften besetzter Unternehmen, die nie vergessen, woher sie kommen.

Welches Ziel verfolgt ihr mit eurer internationalen Kampagne?
Wir haben in Europa immer Unterstützung bekommen. Unser Kampf wird nicht nur in Südamerika ausgefochten, sondern auch hier. Uns wurde von europäischen Aktivisten und Gewerkschaftern viel Sympathie entgegengebracht. Die spanische anarcho-syndikalistische Gewerkschaft CGT beispielsweise hat viel mit uns zusammengearbeitet und uns sogar finanziell unterstützt. Wir wollen hier unsere Probleme bekannt machen und Unterstützung suchen, und wenn es nur Solidaritätsbekundungen sind. Die Leute hier sollen sehen, wie in Argentinien Politik und Justiz miteinander verquickt sind. Es hat sich nämlich gar nichts geändert! Die Regierenden sollen endlich ihre Arbeit richtig machen und für Gerechtigkeit sorgen. Im Sinne der Bevölkerung – und nicht für ihre eigenen Interessen, die Multis und die Privatwirtschaft.

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