Film | Nummer 332 - Februar 2002

Die Suche nach dem Glück in einer „Scheißzeit“

Der argentinische Film Un día de suerte von Sandra Gugliotta

Bettina Bremme

Ausgerechnet inmitten des Verkehrsinfarktes, der das Zentrum von Buenos Aires täglich lahm zu legen droht, versucht Elsa den AutofahrerInnen Anti-Stress-Pillen anzudrehen. Oder sie schmeißt sich als Mitarbeiterin eines Meinungsforschungsinstitutes mit folgender Frage an die PassantInnen heran: „Glauben Sie, dass die Dinge besser werden?“ – Eine Vorstellung, die in Argentinien Ende 2001 fast wie ein zynischer Scherz klingt. Schließlich steuert das Land mit Volldampf in den Abgrund. Entsprechend bekommt Elsa auch die Reaktionen der Befragten zu spüren. Während ringsum die Leute beginnen, auf die Barrikaden zu gehen, ist die junge Frau hektisch damit beschäftigt, Geld zusammenzukratzen, um das Weite zu suchen: „Fühlst du nicht manchmal, dass nie in deinem Leben was passiert?“, meint Elsa zu ihrer besten Freundin. „Draußen ist eine Welt, Laura!“ Elsa zieht es mit jeder Faser ihres sich ständig in Bewegung befindenden Körpers nach Italien. Denn dort lebt Cándido, in den sie sich nach einem stürmischen One-Night-Stand in Buenos Aires unsterblich verliebt hat.

Hautnah

Un día de suerte (Ein Glückstag), der Erstlingsfilm der Regisseurin Sandra Gugliotta, steckt voller nervöser Energieströme, die sich permanent gegenseitig abstoßen oder anziehen. Dokumentarische Aufnahmen von cacerolazos (Kochtopfkonzerte) und Straßen voller brennender Autoreifen, die bereits zu Beginn über die Leinwand flackern, verstärken den Eindruck von Hautnähe und Authentizität.
Auch sonst dominiert bei Gugliottas Low-Budget-Produktion die Handkamera, mischen sich Farbe und vereinzelte Schwarzweiß-Passagen zu einer Geschichte, die wirkt, als habe sie jemand zufällig eingefangen. Als sie den Film in Italien zeigte, hätten die DarstellerInnen auf viele Leute so authentisch gewirkt, dass sie meinten, sie wären von der Straße her engagiert worden, erzählt Gugliotta in einem Interview. In Wirklichkeit sind etliche der SchauspielerInnen in Argentinien ziemlich bekannt, allen voran die Hauptdarstellerin Valentina Bassi, die übrigens auch in dem diesjährigen Berlinale-Film Todas las azafatas van al cielo (Alle Stewardessen kommen in den Himmel) eine markante Nebenrolle spielt.
Sandra Gugliottas Film ist eine gelungene Mischung aus lässiger Amateurkamera-Ästhetik mit schnellen Schnitten auf der einen, einem klar strukturierten Drehbuch und einer präzisen Schauspielerführung auf der anderen Seite. Letztere sorgen dafür, dass das Ganze nicht zum konfus-geschwätzigen Generation X-Filmchen zerfasert. Zu ihren Vorbildern meint die Regisseurin: „Ich würde am liebsten ein Kino machen, dass die Ästhetik des französischen Kinos, die Gestalten und die Emotionalität des italienischen Kinos und die sozialen Inhalte des britischen Kinos verbindet. Das klingt vielleicht prätentiös, aber als Publikum würde es mir gefallen, einen solchen Film zu sehen.“
Der politische Hintergrund Argentiniens ist bei Un día de suerte ständig spürbar. Allerdings sind Elsa und ihre Freunde und Freundinnen alles andere als Protagonisten des Protestes. Im Gegenteil: Sie stolpern und staksen relativ unbeteiligt durch die zunehmend aufgewühlten Straßen, immer auf der Suche nach dem nächsten Deal, der ein bisschen Geld verspricht. Un día de suerte ist das skizzenhafte Porträt einer jungen Generation, die nichts anderes kennt, als sich irgendwie durchzulavieren. „Que época de mierda“ – „Was für eine Scheißzeit“, meint in einer Szene Walter, ein sympathischer Kleindealer, der zwar in Elsa verliebt ist, aber keine rechte Vorstellung hat, wie er sie halten soll. Der einzige Gegenpol in der filmerischen Konstellation ist Elsas Großvater, der einst als junger Mann aus Sizilien emigrierte und immer noch unbeirrbar an seinen anarchistischen Idealen festhält. Im Gegensatz zu Elsas Eltern, die in der privaten Nische an ihrem sozialen Abstieg laborieren, ist der alte Mann der einzige, der sich beherzt unter die Protestierenden mischt.
Die sprunghaften Lebenslinien von Elsa und ihrem Großvater geben eine Ahnung von den historischen Zyklen von Immigration und Emigration, die Argentinien binnen weniger Generationen durchlebt. Vor einigen Jahrzehnten, die mittlerweile wie eine Ewigkeit her scheinen, hatte der Großvater in Sizilien zu seiner Geliebten gesagt: „Auf der anderen Seite des Meeres ist das Leben. Das Leben ist dort drüben in Amerika. Hier haben wir nichts als Hunger.“ – Und heute? Nichts wie weg aus Argentinien oder besser bleiben und auf die Straße gehen? Un día de suerte lässt offen, welche Flucht nach Vorne die verheißungsvollere ist. Schließlich ist Italien kein Land, wo jemandem wie Elsa das Glück in den Schoß fällt. Auch wenn sie sich fest vorgenommen hat, eine Münze in den Trevi-Brunnen zu werfen…

Un día de suerte; Regie: Sandra Gugliotta; Argentinien 2001; Farbe/ Schwarzweiß, 95 Minuten. Der Film wird im Forum der Berlinale ( 6. bis 17. Februar 2002) gezeigt.

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