„Die Teams waren Stellvertreter der Kartelle“ (Demo)
Interview mit Felipe González, Chefredakteur der alternativen kolumbianischen Fußballzeitschrift El Escorpión
El Escorpión versteht sich als alternative Fußballzeitschrift. Warum haben Sie diese Zeitschrift gegründet?
Die Idee ist dadurch entstanden, dass es in Kolumbien so etwas wie eine Zeitschrift zur Fußballkultur noch nicht gab. Wie wollen eine Alternative zur traditionellen Berichterstattung bieten, die sich vor allem auf die jeweiligen Stars, die Torschützen und den Glamour drumherum wie zum Beispiel Spielerfrauen konzentriert. Wir wollen eine Zeitschrift machen, die nicht nur textlich qualitativ und vielseitig aufgestellt ist, sondern auch grafisch einen höheren Anspruch hat. Mit guten Fotos, abwechslungsreichen Designs und Illustrationen. Wir bieten unseren Autoren Raum für mehrseitige Taktikanalysen, aber auch für Geschichten und Reportagen, die sich zwar rund um den Fußball drehen, die sich aber nicht ausschließlich mit dem Geschehen auf dem Spielfeld beschäftigen.
An welchen Vorbildern orientierten Sie sich?
Wir haben uns was Inhalt und Design betrifft vor allem durch europäische Zeitschriften wie Panenka (Spanien), SoFut (Frankreich), When Saturday comes (England) und natürlich auch durch 11 Freunde aus Deutschland inspirieren lassen. In Lateinamerika stehen solche Projekte noch ganz am Anfang. Hier gibt es nur wenige Zeitschriften zur Fußballkultur. Eine davon ist beispielsweise Don Julio aus Argentinien.
Die Fanrivalitäten sind wie überall in Lateinamerika auch in Kolumbien sehr ausgeprägt. Sind Sie in der Redaktion alle Fans der selben Mannschaft?
Nein. Zwei von uns sind Fans von Millonarios (größte Mannschaft aus Bogotá, Anm. d. Red.), einer ist Fan von America de Cali, einer von Santa Fé (Bogotá) und so weiter. Die Leute, die als „Freie” für uns schreiben, kommen auch aus allen Teilen Kolumbiens und sind dementsprechend Anhänger solcher Mannschaften wie Deportes Tolima, Deportivo Pasto oder Atlético Nacional aus Medellín, dem Verein mit der größten Anhängerschaft in Kolumbien.
Die Altstars der 1990er wie Carlos „El Pibe” („der Junge“) Valderrama, René „El Loco“ („der Verrückte“) Higuita oder Faustino Asprilla sind Kult in Kolumbien. Es lief sogar eine Telenovela über dieses Team im Fernsehen. Inwieweit unterscheiden sich die Mannschaften von 1994 und 2014?
Die Generation der 90er hat es bis heute verstanden, eine hohe mediale Aufmerksamkeit zu bekommen, auch weil sie die bisher größten Erfolge der kolumbianischen Nationalmannschaft verkörpert. Das ist bei der jetzigen Mannschaft sehr ähnlich.
Ein wesentlicher fußballerischer Unterschied besteht aber darin, dass die Spieler von heute schon früh den Sprung ins Ausland geschafft und daher viel mehr internationale Erfahrung haben. Die Mannschaft heute ist daher auch charakterlich reifer und professioneller und kann schwierige Herausforderungen besser meistern. Die Mannschaft von 1994 war im Vergleich dazu viel provinzieller. Diese Spieler wurden auf einen Schlag berühmt und das hat ihnen nicht immer gut getan. Sie waren exzentrischer, Frauenhelden und allgemein dem schönen Leben nicht abgeneigt. Hinzu kommt der historische Kontext. Seit den 1980er Jahren haben die Drogenkartelle und die großen Capos Unsummen in die Clubs gepumpt. Die Spieler haben hier in Kolumbien wie Könige gelebt und relativ gut verdient: Es gab nicht den finanziellen Anreiz, ins Ausland zu wechseln, weil die Drogenbosse mit großen Dollarbeträgen winkten. Dabei hätten Spieler wie Higuita oder Leonel Álvarez aufgrund ihrer fußballerischen Klasse längst weg sein müssen. Da sind die Spieler heute deutlich weiter. Charakterlich und fußballerisch.
Warum investieren Drogenbosse in den Fußball?
Aus mehreren Gründen. Zuvorderst ist eine professionelle Fußballmannschaft natürlich eine sehr gute Möglichkeit, die Gewinne aus dem Drogenhandel zu waschen. Darüber hinaus sind die Drogenbosse ja auch immer darum bemüht gewesen, sich das Antlitz „normaler“ Geschäftsleute zu geben. Die finanzielle Unterstützung eines Fußballvereins sollte ihr geschäftliches Handeln auch immer ein wenig rechtfertigen, also den Drogenhandel als einen Geschäftsbereich wie jeden anderen aussehen lassen. Und drittens hängt es wohl auch mit der Eitelkeit von Leuten wie Pablo Escobar (Medellin), der Familie Rodriguez Orojuela in Cali oder Gonzalo Rodriguez Gacha bei Millionarios in Bogotá zusammen, eine Fußballmannschaft wenn nicht offiziell zu besitzen, zumindest als Mäzen zu unterstützen, die überall in Südamerika Siege einfährt. Die größten Erfolge kolumbianischer Mannschaften auf internationaler Ebene fallen genau in jene Zeit, während der die großen Capos Geld in die Fußballmannschaften steckten. Doch im Rückblick war es sicherlich keine gute Zeit für den kolumbianischen Fußball.
Warum?
Weil alles von Korruption zerfressen war. Spieler und Schiedsrichter wurden mit Säcken voller Geld bestochen. Diejenigen, die zu viel wussten oder plauderten, wurden erschossen – ob Spieler, Schiedsrichter oder Journalisten. Der ehemalige Präsident von Atlético Nacional aus Medellin saß in den USA wegen Drogenhandels im Gefängnis. Besonders Ende der 1980er Jahre, als der Krieg zwischen den Kartellen immer heftiger wurde, standen sich auf dem Fußballplatz sozusagen die Drogenbosse in Fußballtrikots gegenüber. Die Teams waren Stellvertreter der jeweiligen Kartelle und hatten die Pflicht die Meisterschaft und die clásicos (Spiele gegen andere Traditionsteams, Anm. d. Red.) zu gewinnen. Vor einigen Jahren hat es deshalb sogar einmal die Diskussion gegeben, dass Millionarios aus Bogotá zwei Meistertitel aus den 1980er Jahren zurückgeben soll, weil der Verein sich diese Titel mehr oder weniger mit Drogengeld erkauft hat. Schon 1983 sollen fast die Hälfte der Profiklubs mit Geldern aus dem Drogenhandel unterstützt worden sein. Das hat der damalige Justizminister Rodrigo Lara Bonilla behauptet. Wenige Monate später war er tot (Lara Bonilla, scharfer Kritiker der aufstrebenden Drogenhändler, wurde 1984 von Auftragsmördern Pablo Escobars ermordet; Anm. der Redaktion).
Wie groß ist der Einfluss des Drogenhandels auf den kolumbianischen Fußball heute?
Im Vergleich zu damals ist das Gewicht nicht mehr so hoch. Obwohl es immer mal wieder Gerüchte gibt, gerade bei den Vereinen aus kleineren Städten, dass die Mafia oder auch Paramilitärs Einfluss auf manche Vereine haben. Gustavo Upegui zum Beispiel war einer der Köpfe des „Oficina de Envigado“, einer Mafiastruktur, die aus dem Medellin-Kartell entstanden ist, und zugleich Präsident des Clubs Envigado FC. 2006 wurde er von Auftragsmördern getötet.
Ein weiteres Beispiel ist der Fall von „Macaco“, einem ehemaligen Paramilitär der AUC (Vereinigten Selbstverteidigungsgruppen Kolumbiens; Anm. d. Red.). Er soll sehr gute Verbindungen zur Chefetage des Drittligaklubs Deportivo Perreira gehabt haben.
Info: www.facebook.com/REVISTA.EL.ESCORPION