Kolumbien | Nummer 307 - Januar 2000

„Die Vertreibungen sind die Ursache des Krieges“

Der Fall der Finca Bellacruz schildert exemplarisch die Landkonflikte Kolumbiens

Belen Torres ist Aktivistin des kolumbianischen Bauernverbandes ANUC und gehörte zu den BesetzerInnen der Finca Bellacruz, die 1996 nach 35 Jahren dauernden Landkämpfen brutal von Paramilitärs vertrieben wurden. Der Fall erregt seitdem internationales Aufsehen, denn der Gegner der Bauern war der ehemalige kolumbianische Entwicklungsminister und spätere Botschafter bei der EU, Carlos Arturo Marulanda. Obwohl dieser wegen der intellektuellen Urheberschaft von 40 Morden mit internationalem Haftbefehl gesucht wird, kann er heute unbehelligt in den USA leben. Die Lateinamerika Nachrichten hatten im November die Gelegenheit, in einem Gespräch mit Belen Torres die Geschichte und weitere Entwicklungen dieses Falles zu erfahren.

Raul Zelik

Der Konflikt um die Finca Bellacruz ist wie ein Spiegel der kolumbianischen Landkämpfe. Er gehört zu den ältesten in Kolumbien.

Ja, in den 40er Jahren kaufte das Familienoberhaupt der Marulandas 4.000 Hektar Land im nordkolumbianischen Departement Cesar. Während des Bürgerkriegs 1948-53 und den damit zusammenhängenden Vertreibungen eigneten sich die Marulandas dann weitere 35.000 Hektar unrechtmäßig an. Vor diesem Hintergrund begannen 1961 die ersten Besetzungen, die zu einer ersten Rückübereignung führten. Das heißt, bis 1986 hat der kolumbianische Staat im Rahmen des Agrarreform-Gesetzes 22.000 Hektar von den Marulandas abgekauft und an uns weiter veräußert.

1986 gab es dann einen Bruch.

Wir starteten die dritte Besetzungswelle auf der Finca mit etwa 500 Familien. Zu diesem Zeitpunkt bestand der Besitz des Botschafters noch aus etwa 17.000 Hektar. Wir erhoben diesmal eine andere Forderung als in den Jahrzehnten zuvor. Wir wollten nicht, daß das Land aufgekauft wird, sondern daß die Besitzverhältnisse geklärt werden. Die meisten Familien besaßen ja noch Besitztitel aus dem Jahr 1908, die in Widerspruch zu den Eintragungen standen, die sich Marulanda mit Hilfe von Notaren erkauft hatte. Nach der neuen Besetzung drang das Familienoberhaupt Carlos Arturo Marulanda bei der Armee darauf, daß sie eine Basis auf der Finca einrichtete. Diese Militäreinheit vertrieb uns zwischen 1986 und 1994 insgesamt mehr als 280 mal. Unsere Hütten wurden abgebrannt, unser Besitz zerstört, mehrere FührerInnen der Bauernbewegung ermordet, Bäuerinnen wurden vergewaltigt. Trotzdem hat die Bewegung standgehalten. Die Besetzung ging weiter.

Dann jedoch wurdet ihr praktisch legalisiert…

Richtig. 1994 stellten kolumbianische Gerichte fest, daß nicht die Marulandas, sondern wir die Eigentümer des Landes waren. Die Familie des Botschafters konnte nur Landtitel für seine 4.000 Hektar nachweisen, die er 1940 gekauft hatte. Damit war klar, daß die anderen Ländereien schon vor 1940 in Gemeindebesitz gewesen waren und nicht von den Marulandas aufgekauft wurden. Ab diesem Zeitpunkt konnten die Marulandas weder Armee noch Polizei gegen uns einsetzen. Bis Anfang 1996 gab es relative Ruhe. Die Marulandas legten Rechtsmittel ein, doch wurde diesen nicht stattgegeben. Deshalb bereitete die Familie schließlich den Einsatz von Paramilitärs vor.
Schon Ende 1995 kursierten Gerüchte über eine Aktion der Todesschwadrone. Der Polizeikommandant von Aguachica, der dem Paramilitarismus kritisch gegenüber stand, bekräftigte vor dem Staatsanwalt, die Armeeführung bereite gemeinsam mit Viehzüchtern aus der Region sowie Victor Carranza einen paramilitärischen Überfall vor.

Carranza ist der sogenannte „Smaragd-Zar, gleichzeitig einer der wichtigsten Hintermänner des Paramilitarismus im Land…

Genau. Carranza erklärte sich bereit, 200 Männer auf dem Landbesitz der Familie Marulanda zu stationieren. Als wir davon erfuhren, forderten wir die Regierung auf, etwas zu unternehmen, aber niemand schenkte uns Beachtung.
Am 14. Februar 1996 überfielen uns dann die Paramilitärs. Unter den Angreifern waren auch Armeeangehörige in Zivil. Sie wüteten die ganze Nacht durch, verbrannten Häuser und Schulen, töteten Tiere, zerstörten Pflanzungen und befahlen uns zu verschwinden. Sie verboten uns näher als auf 200 Kilometer an die Finca heranzukommen.
Uns wurde eine Frist von fünf Tagen gegeben. Am gleichen Tag war in Carepa / Urabá ein schweres Massaker verübt worden. Niemand zweifelte deshalb daran, daß die Paramilitärs ihre Drohungen wahr machen und uns alle umbringen würden. Uns blieb nichts anderes übrig, als den Fall öffentlich zu machen. Wir wandten uns an die Regionalverwaltung und die Regierung in Bogotá. Als von dort keine Reaktion kam, haben wir Regierungsgebäude besetzt. Das war Anfang März 1996. Es wurden vier sehr lange Besetzungen, die letzte dauerte bis Mai des darauf folgenden Jahres. Das müßt ihr euch vorstellen: Wir haben über ein Jahr ausgeharrt. In den Büroräumen wurden Kinder gezeugt und groß gezogen, es gab Epidemien, wir haben ums Überleben gekämpft. Schließlich hat die Regierung ein Abkommen unterzeichnet, in dem sie sich verpflichtete, die paramilitärischen Gruppen zu bekämpfen, die vertriebenen BäuerInnen zu entschädigen, die Schuldigen für den Überfall zu bestrafen und die gerichtlich festgestellten Eigentumsverhältnisse auch durchzusetzen.

Ihr konntet aber trotzdem nicht auf euer Land zurückkehren.

Es war wie immer: Die Regierung hat das Abkommen einfach nicht eingehalten. Das 40. Armeebataillon „Heroes de Corea” unterhält bis heute ihren Stützpunkt auf der Finca, insgesamt 300 Mann, direkt zusammen mit den paramilitärischen Gruppen. Die Gewalt wurde immer schlimmer. 40 von uns wurden in der Folgezeit an verschiedenen Orten im Land ermordet, mich haben sie mehrmals zum Tode verurteilt, weil ich Sprecherin bei den Verhandlungen war. Unser Druck führte aber immerhin dazu, daß Marulanda von seinem Botschafterposten abberufen wurde. Uns schlug man von Regierungs- und NGO-Seite vor, daß wir uns zur „neutralen Gemeinde” erklären oder – noch weitergehend – eine CONVIVIR (paramilitärische Zivilpatrouille, Anm. d. V.) gründen sollten. Das haben wir abgelehnt. Im sozialen Konflikt kann man nicht „neutral” sein. Wir haben die Vorstellung, daß die Gesellschaft verändert werden muß. Weil an eine Rückkehr auf die Finca nicht zu denken war, haben wir darum gekämpft, Ersatzland in einer anderen Region zu bekommen.

Die Paramilitärs haben gegen euch schrecklich gewütet. Was ich jedoch nicht verstehe, ist, warum sie auch Staatsangestellte angegriffen haben. Einem Angehörigen des staatlichen Instituts für Agrarreform (INCORA) haben sie die Haut an der Schulter bei lebendigem Leib abgezogen.

Sie haben auch Abgeordnete und Leute aus der Stadtverwaltung von Pelaya ermordet. Was das INCORA betrifft, hat sich die Armee beharrlich geweigert, die Kommission der Agrarreformbehörde zu begleiten. Die Leute sind dann allein gefahren und von den Paramilitärs angegriffen worden. Die Todesschwadrone wollten zeigen, daß sich niemand an das Land heranwagen sollte, denn Regierung und Militärs ging es längst nicht mehr nur um die Finca. Es ging um das gesamte paramilitärische Projekt in der Region. Schon 1996 war klar, daß ein Korridor von den Bananenplantagen in Urabá bis an die venezolanische Grenze errichtet werden sollte. Pelaya und die Finca Bellacruz waren die größten Hindernisse für dieses Projekt in der Region. Sie behaupteten daraufhin, die Kooperativen seien Guerillacamps.

Tatsächlich war es ja eher andersherum: Die Guerilla hat die BesetzerInnen der Finca Bellacruz im Stich gelassen. Es gab keinen Schutz, obwohl die ELN in der Region eine lange Geschichte hat. Wie haben die Bauern aufgenommen, daß die Guerilla, als die vermeintliche Beschützerin der Zivilbevölkerung, niemand schützen konnte?

Das war natürlich enttäuschend. Bei einer stärkeren Unterstützung wären wir nicht aus der Region vertrieben worden. Aber ich denke, daß die Guerilla in der Region damals selbst schwere Schläge erlitten hatte und sich weit in die Serranía de Perijá an der Grenze zu Venezuela zurückgezogen hatte. In der Nähe der Städte, des Flusses Magdalena und der wichtigen Überlandstraßen gab es zu diesem Zeitpunkt keine Guerilla mehr. Die Bauern haben es natürlich trotzdem als Enttäuschung empfunden.

Der Botschafter Marulanda wurde inzwischen von seinem Posten abberufen. Es gibt einen internationalen Haftbefehl gegen ihn. Trotzdem lebt er unbehelligt in den USA. Wie ist das möglich?

Nach den Verbrechen auf der Finca haben eine ganze Reihe von uns Anzeige gegen Marulanda erstattet. Die Flut von Beweisen und Indizien hat schließlich dazu geführt, daß zwei seiner Brüder verhaftet wurden und auch gegen Marulanda selbst ein Haftbefehl ausgestellt wurde. Vergangenen Sommer wurde er in Spanien fast von Interpol verhaftet, entkam nach Ägypten, wurde dort erneut aufgespürt und floh schließlich in die israelische Botschaft. Die hat dafür gesorgt, daß Marulanda in die USA ausfliegen konnte, denn er hat neben der kolumbianischen auch die US-amerikanische Staatsbürgerschaft. Er ist in New York geboren und mit einer Kanadierin verheiratet.

Aber es existiert doch ein Auslieferungsabkommen zwischen den USA und Kolumbien…

Ja, aber dafür muß die kolumbianische Regierung die Auslieferung beantragen. Weder Bogotá noch Washington sind in der Sache bisher aktiv geworden. Wir haben deshalb am 26. September neue Zeugenaussagen vorgelegt. Wenn der internationale Haftbefehl von der Staatsanwaltschaft dennoch aufgehoben werden sollte, werden wir uns an einen internationalen Gerichtshof wenden.

Den vertriebenen Bauern ist von der Regierung „Ersatzland“ zugeteilt worden. Sie leben heute auf drei Fincas verteilt. Haben die Gemeinden ihre kooperativen Strukturen beibehalten?

Nachdem die Regierung ihre Versprechen nicht einhielt, akzeptierten wir schließlich die Umsiedlung auf drei Fincas. Die Regierung verlangt dafür allerdings Geld von uns. Jede Familie hat fünf Hektar zugeteilt bekommen und soll 7.000 US-Dollar pro Hektar bezahlen. Unsere Leute weigern sich für etwas zu bezahlen, daß sie nicht verlangt haben. Zudem ist das Land qualitativ schlechter als jenes, das man uns geraubt hat. Und wir haben 40 FreundInnen und Angehörige während der Landkämpfe verloren. Als Antwort darauf hat die Regierung die Gemeinden im Stich gelassen. Nicht einmal Strom und Trinkwasser gibt es auf den neuen Fincas. Die Gemeinden hängen von Wasserlieferungen ab, die der Bürgermeister von Ibague mit Tanklastzügen zu uns schickt.

Und die Paramilitärs?

Der Druck der Todesschwadronen geht auch in dieser Region, 700 Kilometer von der Finca Bellacruz entfernt, weiter. Ständig tauchen irgendwelche Männer in Jeeps auf, sprechen Drohungen aus und verschwinden dann wieder. Wir haben deswegen versucht, internationale Öffentlichkeit über die Situation herzustellen. Wir befürchten, daß auch die neuen Ansiedlungen überfallen werden könnten.

Wer sind diese Paramilitärs? Polizisten in Zivil, Privattruppen Marulandas, Soldaten?

Das weiß man nie genau. Aber der Druck wird von verschiedener Seite aufrecht erhalten. Die Regierung sagt, daß sie die BäuerInnen erneut vertreiben wird, wenn diese das Land nicht bezahlen, und die Todesschwadronen zeigen, daß man jederzeit Opfer von Angriffen werden kann. Dennoch haben die Gemeinden ihre kooperativen Strukturen verteidigt. Auf der Finca La Miel gibt es eine Kooperativenpresse für biologisches Zuckerrohr, und in allen Gemeinden existieren politische, soziale, wirtschaftliche und organisatorische Pläne, die gemeinsam verabschiedet worden sind.

Wie ist die Situation von Kleinbauern allgemein heute in Kolumbien?

Sie ist dramatisch. Es gibt 1,5 Millionen Kriegsvertriebene. Außerdem hat die wirtschaftliche Öffnung vielen Bauern das Genick gebrochen, weil niemand mit den Importen konkurrieren kann. Es gibt 7 Millionen landlose Bauern und einen rasanten Prozeß der Landkonzentration in den Händen von Viehzüchtern, Drogenhändlern und Paramilitär-Kommandanten. Diese eignen sich das Land nicht deswegen an, weil sie damit arbeiten wollen, sondern weil das Land einen strategischen Wert besitzt: Es enthält Rohstoffvorkommen wie Öl, Kohle, Gold und Smaragde oder ist in Regionen gelegen, wo Großprojekte geplant sind. Mit dem Land wird spekuliert.
Man kann sagen, daß die Vertreibungen nicht Folge des Kriegs sind, sondern seine Ursache. Die Paramilitärs verüben Greueltaten, um die Landreform von unten nach oben zu beschleunigen. Neben den militärischen Aspekten gibt es also auch wichtige ökonomische Komponenten.
Vor diesem Hintergrund hat es dieses Jahr drei große Bauernmobilisierungen für eine Agrarreform in Kolumbien gegeben. In Anbetracht der Verhandlungen zwischen Regierung und Guerilla hat der Bauernverband die Forderung „Ohne Landreform kein Frieden“ ins Gespräch gebracht. An den Protesten haben Zehntausende teilgenommen. Der Südwesten des Landes war den gesamten November über völlig abgeriegelt, weil Bauern Straßensperren errichteten. Und das waren keine Proteste, wo Leute davonliefen, weil Tränengas eingesetzt wurde. Die Leute haben den Angriffen der Polizei standgehalten, und wenn die Polizei Gefangene gemacht hat, haben die Bauern ihrerseits Polizisten festgehalten und gegen eigene Leute eingetauscht.

Kolumbien ist ein sehr fruchtbares Land. Wie weit ist Hunger unter den Bauern trotzdem verbreitet?

Von 40 Millionen Kolumbianern leben 22 Millionen in absoluter Armut, darunter extrem viele Bauern, die wirtschaftlich und sozial völlig marginalisiert sind. Die meisten halten sich über Wasser, weil es funktionierende Solidarstrukturen in den Dörfern gibt. Was uns den Todesstoß versetzt, ist die paramilitärische Offensive, die vor allem in jenen Regionen besonders stark ist, die für das transnationale Kapital von Bedeutung sind. Die Kleinbauern, die Großprojekte behindern, sollen beseitigt werden.

Gleichzeitig hat die Bauernbewegung stark an Bedeutung verloren.

Auf dem ganzen Kontinent sind die Bauernorganisationen in der Krise, was in Kolumbien vor allem mit der Repression zu tun hat. Die erste Maßnahme des Paramilitarismus ist es, die Mitgliedschaft in oppositionellen und sozialen Organisationen zu verbieten. Die ANUC hatte 1986 beispielsweise im Departement Córdoba 9.000 Mitglieder, 1994 kein einziges mehr. Im Gebiet des Magdalena Medio ist die ANUC inzwischen ebenfalls zerschlagen und in den Wäldern Bolívars verstecken sich zur Zeit 3.000 Menschen vor der Armee.

Im Frühjahr 2000 erscheint vom gleichen Autor der Roman „La Negra“, in dem die Geschichte der Finca Bellacruz ebenfalls eine zentrale Rolle spielt

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