Honduras | Nummer 461 - November 2012

Die Zone in Honduras

Ausländische Investor_innen und die staatliche Kommission Coalianza unterzeichnen Vertrag zum Bau der ersten ciudad modelo in Honduras

In Puerto Castillo an der honduranischen Karibikküste wird die erste ciudad modelo gebaut werden: Als Modell-Städte oder auch Charter-Städte werden geplante Sonderwirtschaftszonen bezeichnet. Eine Verfassungsreform im Oktober 2011 ermöglicht es ausländischen Investor_innen, in diesen Zonen Landbesitz zu erwerben und für 40 Jahre zu ‚verwalten‘. Sie sollen dort für Rechtsprechung, Sicherheitsorgane, Verwaltung und Haushaltsplanung zuständig sein, autonom handeln und selbst Steuern erheben können.

Kirstin Büttner

Am 3. September 2012 verkündete der honduranische Parlamentspräsident Juan Orlando Hernández die Unterzeichung eines Vertrages zwischen ausländischen Investor_innen und der Coalianza (Kommission für die Förderung von Öffentlich-Privaten Partnerschaften) zur Errichtung von drei Modell-Städten in Honduras. Er versicherte gleichzeitig, dass „die Sonderwirtschaftszonen auf unbewohntem Land errichtet werden“ und dass „es keine Landvertreibungen von sozialen Gruppen oder pobladores geben wird.“
Die afro-indigenen Garífuna sehen das anders. Sie leben in dem ‚unbewohnten‘ Gebiet, in dem die erste Sonderwirtschaftszone RED (Región Especial de Desarrollo) eingerichtet werden soll, die rund 2.000 Quadratkilometer umfasst. 24 Gemeinden sind von den Planungen betroffen und befürchten Landvertreibungen. Die Garífuna sind Nachfahren afrikanischer Sklavinnen und Sklaven, die seit dem 17. Jahrhundert an der Karibikküste von Belize, Guatemala, Nicaragua und Honduras leben. Von der UNESCO wurden die Garífuna-Gemeinden als Weltkulturerbe anerkannt. Für das Land an der Küste im Norden von Honduras erhielten die Garífuna vom nationalen Agrarinstitut (INA) Landtitel für die kollektive Nutzung des Gemeindelandes.
Bei ihrem Widerstand gegen die ciudades modelo geht es den Garífuna und indigenen Organisationen darum, den Ausverkauf der natürlichen Ressourcen, des Wassers, der Wälder und des Landes zu verhindern und damit letztendlich auch um den Erhalt ihrer eigenen Existenz, die an das Land gebunden ist. Von der Einrichtung einer Sonderwirtschaftszone befürchten sie die Verletzung ihrer kulturellen, sozialen und wirtschaftlichen Rechte und der bürgerlichen Menschenrechte.
Für Parlamentspräsident Hernández ist der 3. September 2012 „ein ganz großer Moment in der Geschichte Honduras‘“. Er ist davon überzeugt, dass das an diesem Tag unterzeichnete Abkommen zwischen Carlos Pineda, dem Vorsitzenden von COALINAZA, und dem US-amerikanischen Investoren-Konsortium MKG Group ein wichtiger Schritt in eine prosperierende Zukunft sei und „Tausende von Arbeitsplätzen geschaffen werden.“
Die MKG Group stellt die ersten 15 Millionen US-Dollar für die Infrastruktur der Modell-Stadt bereit. Zusätzliche vier Millionen US-Dollar erhält die honduranische Regierung aus Südkorea. „Wir erwarten zunächst kleine und mittlere Unternehmen – textilverarbeitende Fabriken, Call Center und Montagewerke, die Autoteile, Computer oder andere Exportprodukte für den amerikanischen Markt produzieren“, so Michael Strong, Vorsitzender der Investor_innengruppe. „Langfristig sollen aber tatsächliche Städte gebaut werden. Sobald es Arbeitsplätze gibt, soll eine vollständige Infrastruktur mit Wohnhäusern, Geschäften und Schulen geschaffen werden.“
Eine Verfassungsreform im Oktober 2011 hatte auch ausländischen Investor_innen die Möglichkeit eingeräumt, in den Sonderwirtschaftszonen Landbesitz zu erwerben und für 40 Jahre zu ‚verwalten‘. Die Investor_innen sind dann zuständig für Verwaltung, Haushaltsplanung, Rechtsprechung und Sicherheitsorgane. Sie handeln autonom und dürfen den Plänen nach sogar eigene Steuern erheben und eigenständig internationale Handels- und Investitionsverträge abschließen.
Die Idee stammt von Paul Romer, einem bekannten Vertreter der marktliberalen Chicagoer Schule. Andere neoliberale Investor_innen begrüßen die Initiative. Unter anderem bewirbt Patri Friedman, Enkel des neoliberalen Vordenkers und Wirtschaftsnobelpreisträgers Milton Friedman, das Projekt ‚Future Cities‘ seit 2011 als soziales Projekt, das die Verbesserung der Lebensbedingungen der benachteiligten Bevölkerung in den Modell-Städten zum Ziel habe. Es ist der neoliberale Traum eines von staatlichen Regeln und Aufgaben ungehemmten Kapitalismus, von Stadtstaaten und der Selbstorganisation des Marktes, der in Honduras verwirklicht werden soll. Ob Arbeitsrechte, das Recht auf Bildung von Gewerkschaften, Mindestlöhne und ein Ausgleich zwischen Arm und Reich in diesem Modell berücksichtigt werden, bleibt stark anzuzweifeln.
Dass das Projekt nicht im Einklang mit einem großen Teil der Bevölkerung steht, belegen die rund 55 Verfassungsbeschwerden beim Obersten Gerichtshof. Anwält_innen, Vertreter_innen sozialer Bewegungen und Einzelpersonen haben sich dem Kampf der Garífuna-Organisation OFRANEH (Organización Fraternal Negra Hondureña) gegen die ciudades modelo angeschlossen und klagen auf Verfassungswidrigkeit des Gesetzes, das die Einrichtung der RED ermöglicht hat.
„Diese Modellstädte sind Enklaven wie auch die Bananenplantagen und die Minen- und Holzgeschäfte Enklaven skrupelloser Ausländer sind, denen Honduras egal ist“, stellt Padre Fausto Milla, Menschenrechtsverteidiger und Angehöriger der alternativen Wahrheitskommission in Honduras, klar. Er betont, dass durch das Gesetz das Land den schlechten Freunden von Honduras übergeben würde. Die Kläger_innen befürchten den Machtverlust der Legislative und den Verlust der territorialen Souveränität. Einige Klagen richten sich auch direkt gegen Präsident Porfirio Lobo – ihm werden Landesverrat und Machtmissbrauch vorgeworfen.
Dass für Lobo, das Parlament und die Investor_innen auch in eigenen Kreisen der Rückhalt bröckelt, zeigt der Rückzug Paul Romers aus dem Projekt, den er in einem öffentlichen Brief an Lobo angekündigt hat. Die Unterzeichnung des jüngsten Abkommens fand ohne das Wissen der fünfköpfigen Kommission für Transparenz statt, die unter Romers Vorsitz die Regierbarkeit der Modell-Städte sicherstellen soll. „Ich weiß nicht, was die Leute meinen, wenn sie von ‚privaten Städten‘ sprechen. Aber wenn es darum gehen soll, dass es keine Institutionen oder Regierung gibt, dann befürchte ich, dass eine essentielle Voraussetzung für eine erfolgreiche Stadtbildung fehlen wird.“ schreibt Romer.
Für Selvin Lopez, Sprecher von OFRANEH, sind die jüngsten Bauarbeiten in Trujillo – ganz in der Nähe von Puerto Castillo – im Zusammenhang mit der geplanten ciudad modelo zu betrachten. Der Stadtteil Cristales wird momentan in ein barrio modelo (Modellstadtteil) umgewandelt. „Mit dem barrio modelo werden den Bewohner_innen zwar neue Wasser- und Abwasserleitungen und Neubauten anstelle baufälliger Häuser versprochen, wer aber dafür aufkommen soll, ist bislang ungewiss“, erklärt Lopez. Er befürchtet, dass diejenigen, die die dafür anfallenden Steuern nicht zahlen können, aus dem Modellstadtteil vertrieben werden. José Francisco Gomez von Radio Waruguma steuert bei: „Wir sind nicht gegen die Entwicklung von Trujillo, wir wollen nur, dass die Zuständigen uns erklären, was der Modellstadtteil kosten wird, und was wir verlieren werden. Wir sind besorgt, weil man uns nicht die ganze Wahrheit sagt.“

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