Ein Spiel mit gezinkten Karten
Die Wiederwahl Bukeles ist in El Salvador so gut wie sicher
Die salvadorianische Diaspora durfte am 6. Januar 2024 zum allerersten Mal online, von zu Hause und bereits vier Wochen vor dem Wahlsonntag ihre Stimme abgeben. Nach offiziellen Angaben haben in den ersten 72 Stunden nach der Eröffnung der Plattform über 40.000 Salvadorianer*innen im Ausland gewählt. Somit wurde in drei Tagen die Gesamtzahl der Stimmen aus dem Ausland bei der vergangenen Wahl von 2021 um 900 Prozent überschritten. Dies ist kein Zufall und auch nicht allein der technischen Innovation zu verdanken: Die massive Einbindung der salvadorianischen Community in den USA in die Wahl ist ein grundlegender Teil der Strategie von Nayib Bukele, um die Regierungsmacht zu behalten.
Am 4. Februar finden Wahlen für den nationalen Kongress, für das Zentralamerikanische Parlament (PARLACEN) sowie Präsidentschaftswahlen statt. Laut Umfragen wird Nayib Bukele voraussichtlich mit großem Vorsprung als Präsident wiedergewählt und seine Partei, Nuevas Ideas (Neue Ideen, NI), wird mit Leichtigkeit die absolute Mehrheit im Kongress sowie den Großteil der Ämter bei der Kommunalwahl am 3. März gewinnen.
Die aufeinanderfolgende Wiederwahl des Präsidenten ist in El Salvador nicht erlaubt. Sie wird in sechs Verfassungsartikeln ausdrücklich verboten. In einem der Artikel wird sogar der Verlust der politischen Rechte als Strafe für die Bewerbung zur Wiederwahl festgelegt. Nayib Bukele selbst lehnte ursprünglich die Idee ab, wieder zu kandidieren. Aber als langsam das Ende seines Mandats nahte, wurde seine Absicht zu kandidieren offensichtlich.
Kontrolle über die Exekutive hinaus
Bukele hat die Umgehung des Verfassungsverbots frühzeitig vorbereitet. Am 1. Mai 2021 – wenige Stunden nach Amtsantritt des aktuellen Kongresses – haben die NI-Abgeordneten mit einer absoluten Mehrheit mittels Koalitionen und Pakten alle Richter*innen des Verfassungsgerichts illegal ersetzt. Die Partei des Präsidenten erhielt dadurch die illegitime Kontrolle über diese Institution. Die Maßnahme zahlte sich aus: Das Verfassungsgericht beschloss, dass die konsekutive Wiederwahl doch erlaubt sei, solange der amtierende Präsident während der sechs Monate unmittelbar vor der nächsten Periode sein Amt niederlegt. Rechtsexpert*innen haben diese Interpretation der Verfassung durch das unrechtmäßig besetzte Gericht abgelehnt. Genau sechs Monate vor dem Ende seiner Amtszeit am 1. Dezember 2023 bestätigte Präsident Nayib Bukele, was man bereits seit der Entscheidung des Verfassungsgerichts erwartet hatte: Bukele würde sein Amt zwischenzeitlich niederlegen, um wiedergewählt werden zu können; genauso wie Félix Ulloa, sein Vizepräsident und ehemaliger Verfassungsrechtsexperte. Bukele ernannte seine Privatsekretärin, Claudia Juana Rodríguez de Guevara, zu seiner Vertreterin, um seine Präsidentschaftsfunktionen für die letzten sechs Monate seiner Amtszeit symbolisch zu erfüllen. Die Vereidigung verlief in einer privaten Sitzung, was ebenfalls von Expert*innen als verfassungswidrig kritisiert wurde.
Wer die absolute Macht anstrebt, braucht die Kontrolle sowohl über die Legislative als auch über das Territorium. Um dies zu garantieren hat der Kongress am 1. Juni 2023 – weniger als neun Monate vor den Wahlen und gegen das Wahlgesetzbuch verstoßend – das Wahlsystem vollständig reformiert. Statt 84 Abgeordneten wird der Kongress nur noch 60 Abgeordnete haben, aus 262 Gemeinden werden 44. Die Änderung der Anzahl der Sitze im Kongress wird kleinere Parteien benachteiligen und NI ermöglichen, die überwältigende Mehrheit – wenn nicht alle Sitze – zu gewinnen. Andererseits ermöglicht die Verringerung der Anzahl der Gemeinden der Regierung, Bürgermeister*innenämter zu streichen, die bisher in den Händen von Oppositionsparteien lagen.
Über zwei Millionen salvadorianische Staatsbürger*innen, also fast ein Drittel der gesamten salvadorianischen Bevölkerung, leben außerhalb des Landes, hauptsächlich in den USA. Sie wurden bislang als bedeutender Sektor der Wähler*innenschaft von den traditionellen Parteien wenig ernst genommen. NI versucht, dieses Potenzial auszuschöpfen. Die verschiedenen salvadorianischen Konsulate sowie NI-Abgeordnete organisierten regelmäßige Propagandaveranstaltungen in den US-Staaten und -Regionen mit den meisten Salvadorianer*innen: Kalifornien, Texas, Washington DC. Die Onlineplattform zur Stimmabgabe selbst löste unter Aktivistinnen und internationalen Wahlexpertinnen Skepsis aus. Ähnlich wie bei der gescheiterten Bitcoinplattform Chivo Wallet gibt es über die Entwicklung, Struktur und Datensicherheit dieser App keine Transparenz. Darüber hinaus wurde darauf hingewiesen, dass die vierwöchige Periode für die elektronische Wahl nicht notwendig sei und die Plattform für Störungen und Hackerangriffe anfällig mache.
Die hauptsächlich in den USA lebende salvadorianische Diaspora steht hinter Bukele
Das aggressive Werben um die Diaspora hat sich ausgezahlt: Wenn man einer der wenigen Umfragen unter salvadorianischen Migrant*innen in den USA Glauben schenkt, könnten 90 Prozent der Wähler*innen im Ausland Bukele ihr Stimme geben. Die Hoffnungen der salvadorianischen migrantischen Community, in der viele von einer Rückkehr nach El Salvador träumen, liegen also überwiegend bei Bukele. Seine Beliebtheit ist jedoch nicht nur unter der salvadorianischen Diaspora deutlich: Alle Wahlumfragen seit Beginn seiner Amtszeit bis heute zeigen deutlich, dass Bukele immer noch mit der Unterstützung eines Großteils der Bevölkerung rechnen kann: Er soll mit über 70 Prozent gewinnen. Die Opposition hat keine Chance. Der stärkste oppositionelle Kandidat, Manuel Flores, der für die linke Partei FMLN (die ehemalige Befreiungsbewegung Nationale Befreiungsfront Farabundo Martí) kandidiert, liegt in einer aktuellen Umfrage lediglich bei 2,9 Prozent. Die Tricks der NI-Partei, um Mehrheiten zu erreichen, Verfassungsverbote zu umgehen und die Diasporastimmen zu gewinnen, scheinen für den Wahlerfolg nicht einmal nötig zu sein.
Eine überwältigende Mehrheit für Bukele dient auch der Legitimierung der verfassungswidrigen Wiederwahl nach außen. Die internationale Gemeinschaft hat sich bisher kaum dagegen positioniert. Am Morgen nach der Anmeldung seiner illegalen Kandidatur haben sowohl die US-Regierung als auch die Botschaft der Europäischen Union in El Salvador positive Twitter-Posts zur Zusammenarbeit mit Bukele veröffentlicht. Kritische Stimmen gegen seine antidemokratischen Aktionen werden immer weniger und leiser.
In El Salvador herrscht seit 21 Monaten der Ausnahmezustand. Seit März 2022 wurden über 75.000 Personen verhaftet, mindestens 180 von ihnen sind in den überfüllten Gefängnissen ohne Urteil gestorben. Doch trotz der offensichtlichen Folgen der Repression genießt Präsident Bukele nach wie vor hohe Zustimmung. Das hängt vor allem damit zusammen, dass die Regierung es geschafft hat, die Zahl der von salvadorianischen Gangs begangenen Morde auf einen historischen Tiefstand zu senken. Nach vielen Jahren der Bandenkriege akzeptiert die salvadorianische Bevölkerung, Sicherheit gegen Grundrechte einzutauschen; eine Unterdrückungsmacht gegen eine andere. Für sie ist klar: Die scheinbare Ruhe hat nur Bestand, wenn Bukele weiter regieren darf. Letzten Endes besteht darin die echte Erfolgsgarantie des voraussichtlichen Wahlsiegs von NI am 4. Februar.