Colonia Dignidad | Nummer 501 - März 2016

ENDLICH AUFARBEITUNG

Der Medienrummel um die Colonia Dignidad zeigt erste Wirkung

Die Aufarbeitung der Verbrechen der deutschen Sektensiedlung Colonia Dignidad in Chile zieht sich seit Jahren hin. Durch den aktuellen Spielfilm Colonia Dignidad – Es gibt kein Züruck scheint aber Bewegung in die Sache zu kommen, nicht nur in Chile, sondern auch in Deutschland. Auf einer Veranstaltung äußerte sich das Auswärtige Amt nun erstmals öffentlich zur deutschen Verantwortung.

Von David Rojas Kienzle
"Wo sind sie?" - Rosa Merino und Myrna Troncoso fordern Aufklärung
“Wo sind sie?” – Rosa Merino und Myrna Troncoso fordern Aufklärung

Artikel im Spiegel, im Stern, und in der Zeit – so viel Aufmerksamkeit seitens der bürgerlichen Presse hat die Colonia Dignidad schon lange nicht mehr bekommen. Die ehemalige, von deutschen Auswander*innen in Chile gegründete Sektensiedlung, die während der chilenischen Militärdiktatur unter anderem als Folterlager, Exekutionsstelle und Waffenschmiede diente, steht derzeit im Rampenlicht. Über ihre Vergangenheit und Gegenwart wird in Deutschland breit diskutiert. Auslöser dafür ist der Film Colonia Dignidad – Es gibt kein Zurück, der zurzeit in den Kinos läuft. Schon mit der hochkarätigen Besetzung – Emma Watson, Daniel Brühl und Michael Nyquvist – trägt er das bis auf Ausnahmen (wie die über Jahrezehnte regelmäßige Berichterstattung der LN) stiefmütterlich behandelte Thema in die Öffentlichkeit. Aber auch abseits des Medienrummels tut sich Einiges in Bezug auf die heute Villa Baviera (Bayerisches Dorf) genannte Siedlung.
Seit der Festnahme des Sektengründers Paul Schäfer im Jahr 2005 und seinem Tod 2010 hat sich die „Kolonie der Würde“ stark verändert. Auf dem Gelände leben und arbeiten heute Opfer und Täter des totalitären Systems Colonia und deren Kinder. Es gibt ein Hotel, ein jährlich stattfindendes Oktoberfest und die Möglichkeit, sich auf dem Gelände das Ja-Wort zu geben.
Der Kontrast zur ehemaligen Colonia führt heute zu nicht unerheblichen Konflikten. Das Pinochet-Regime (1973 bis 1990) ließ dort politische Gefangene foltern und verschwinden. Schäfer und seine Führungsclique etablierten ein Terrorregime mit Zwangsarbeit, der Verabreichung von Psychopharmaka an Bewohner*innen und systematischem Kindesmissbrauch. Auf der einen Seite stehen die Bewohner*innen der Villa Baviera, die – bis 2013 mit Mitteln aus Deutschland gefördert – das Gelände zum Tourismusort umgestaltet haben. Auf der anderen Seite – ehemalige Bewohner*innen, die den schweren Schritt gewagt haben, der Colonia den Rücken zu zu kehren sowie die chilenischen Opfer und deren Angehörige. „Was uns als Angehörige von Verschwundenen stört, ist, wenn sie das Oktoberfest feiern. Vielleicht tanzen sie dann auf den Leichen unserer Angehörigen. Das ist als würden sie sich über unseren Schmerz lustig machen“, sagt Rosa Merino, die dem Verein für Erinnerung und Menschenrechte Colonia Dignidad (AMCD)  angehört. Ihr Bruder wurde im Alter von 20 Jahren in der Colonia gefoltert und ist bis heute verschwunden.
Dass die Colonia ein Ort des Unrechts war, ist heute unumstritten. Nicht nur wegen einiger chilenischer Gerichtsurteile, sondern ebenso weil deutsche Gründlichkeit auch vor Verbrechen der übelsten Sorte nicht halt macht: In der Colonia wurden 45.000 Karteikarten gefunden, die nicht nur die Spionageaktivitäten der Colonia, sondern auch die Verhöre dokumentierten. Das letzte Verhör mit Rosas Bruder Pedro ist auf den 13. Oktober 1974 datiert, danach verliert sich jede Spur. Ob er erschossen, vergiftet und dann verscharrt oder ins Meer geworfen wurde, weiß man wie bei vielen anderen Opfern der chilenischen Militärdiktatur bis heute nicht. Auf dem Gelände wurden neben Karteikarten auch mehrere, allerdings leere, Massengräber gefunden. Man vermutet, dass die Leichen verbrannt wurden und die Asche dann in einen nahe gelegenen Fluss geschmissen wurde.
2015 hat ein chilenisches Gericht angeordnet, dass auf dem Gelände der Colonia eine Gedenkstätte errichtet werden soll, um an die Gräueltaten sowohl gegen Bewohner*innen, als auch Oppositionelle der Diktatur zu erinnern. Um die aktuellen Bewohner*innen der Villa Baviera mit Opfern und Angehörigen von Opfern in einen Dialog zu bringen, fanden im Dezember 2014 in Chile und im Februar 2016 in Berlin Konferenzen statt. Dass das Auswärtige Amt diese mit eigenen Mitteln gefördert hat, stellt einen großen Wandel in der deutschen Außenpolitik dar. Bisher lag der Fokus in Bezug auf die Colonia Dignidad darauf, die ehemaligen Bewohner*innen bei ihrer Integration in die chilenische Gesellschaft zu unterstützen: „Seit vielen Jahren kümmert sich das Auswärtige Amt darum, den Menschen in der Colonia Dignidad zu helfen“, betonte Martin Schäfer, ehemaliger Botschaftsmitarbeiter in Chile und heute Sprecher des Auswärtigen Amtes auf einer Veranstaltung zur Colonia in Berlin am 25. Februar.
Über die Rolle, die das Auswärtige Amt bis in die späten 1980er Jahre spielte und heute spielen sollte, gibt es allerdings auch andere Ansichten.
Mitarbeiter*innen der Deutschen Botschaft haben sich in Chile in Bezug auf die Colonia Dignidad nicht mit Ruhm bekleckert. „Diejenigen, die es geschafft haben aus der Colonia rauszukommen – und es waren nicht wenige, die das versucht haben – mussten in die Botschaft in Santiago, weil sie keine Pässe hatten, und wurden gemeinhin bis 1985 von der Botschaft in die Colonia zurückgeschickt“, kritisiert Florian Gallenberger, Regisseur des aktuellen Films. Nicht nur deswegen gelang während des Bestehens der Colonia nur wenigen Bewohner*innen die erfolgreiche Flucht.

Emma Watson und Daniel Brühl als Lena und Daniel im Film Colonia Dignidad (Foto: Majestic / Ricardo Vaz Palma)
Emma Watson und Daniel Brühl als Lena und Daniel im Film Colonia Dignidad (Foto: Majestic / Ricardo Vaz Palma)

Das Auswärtige Amt hat also einiges an Aufarbeitung der eigenen Rolle innerhalb der Colonia zu leisten. Bisher hat sich dahingehend allerdings wenig getan. Die Akten, die darüber Aufschluss geben könnten sind mit der Begründung, dass sie die internationalen Beziehungen belasten könnten, teilweise unter Verschluss. Für Petra Schlagenhauf, die als Anwältin zur Colonia Dignidad arbeitet, ist es auch ein deutsches Thema: „Es waren Deutsche und aus dieser Sache kommt die Bundesrepublik nicht raus“. Juristisch gesehen sind die möglichen Verbrechen von Mitarbeiter*innen des Auswärtigen Amtes wie Beihilfe zu Freiheitsberaubung und zu sexuellem Missbrauch mittlerweile verjährt, dementsprechend können mögliche Täter*innen strafrechtlich nicht mehr belangt werden. Anders steht es um die politische Verantwortung. Deswegen ist eine der Forderungen der AMCD die Aufarbeitung der Rolle des Auswärtigen Amtes. Ein kleiner Lichtblick ist eine Äußerung des Regionalbeauftragten für Lateinamerika des Auswärtigen Amtes Dieter Lamlé: „Ich habe angekündigt, dass es im Bereich Aufklärung eine offenere Auslegung und Interpretation des Archivgesetzes geben wird.“ Ob diese vage Aussage auch Konsequenzen nach sich ziehen wird, hängt maßgeblich davon ab, ob es seitens der sozialen Bewegungen gelingt, genug Druck auf die deutschen Behörden auszuüben.
Auch an der bundesdeutschen Justiz gibt es Kritik: „Ich warte schon vier Jahre auf einen Termin beim Staatsanwalt“, erzählt Gudrun Müller, ehemalige Bewohnerin der Colonia, die mittlerweile in Deutschland lebt. „Es passiert nichts! Die wollen das hier am liebsten verschweigen und verstreichen lassen und dass möglichst wenig in die Öffentlichkeit kommt.“  An einer anderen Stelle scheint aber Bewegung in die juristische Aufarbeitung der Colonia Dignidad zu kommen. Hartmut Hopp, mittlerweile 70-jähriger Sektenarzt und Vertrauter von Paul Schäfer, der in Chile zu fünf Jahren Haft wegen Beihilfe zum Kindesmissbrauch verurteilt wurde, scheint langsam aber sicher auf dem Weg ins Gefängnis zu sein. Hopp flüchtete 2011 aus Chile, um eben dieser Verurteilung zu entkommen, und lebt seither von der deutschen Justiz weitgehend unbehelligt in Krefeld. Ein Auslieferungsantrag der chilenischen Justiz wurde ablehnend beschieden, da Deutschland keine eigenen Staatsbürger*innen ins Ausland ausliefert. Nach Informationen des Spiegel liegt der Staatsanwaltschaft Krefeld aber seit über einem Jahr ein Vollstreckungsersuchen aus Chile vor, das beantragt, dass Hopp seine Haftstrafe in Deutschland verbüßen muss. Um dies umzusetzen muss das Landgericht Krefeld überprüfen, ob Hopp in Chile ein Verfahren unter Wahrung der Beschuldigten- und Angeklagtenrechte hatte, was allem Anschein nach der Fall ist. „Ich bin vorsichtig optimistisch“ sagt Petra Schlagenhauf. Sollte das Ersuchen positiv beschieden werden, würde mit Hopp ein weiterer Vertreter der Colonia Dignidad hinter Gittern landen – in Chile sitzt mittlerweile ein gutes Dutzend Täter in Haft.
Wie die Aufarbeitung der Colonia Dignidad weitergehen wird und ob die Forderungen der sozialen Bewegungen umgesetzt werden, wird sich in den nächsten Jahren zeigen. Die Erinnerung in Form einer Gedenkstätte wird in irgendeiner Form umgesetzt werden. „Sowohl wir Chilenen als auch die Colonos wollen Veränderungen. Unter diesen Veränderungen ist auch eine Gedenkstätte. Das bedeutet, dass unser Kampf als Angehörige von Verschwundenen und Exekutierten nicht umsonst war“, so Rosa Merino nach Abschluss des Seminars in Berlin. Die Ankündigung des Regionalbeauftragten Lamlé und die juristischen Fortschritte  lassen auf positive Veränderungen hoffen.


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