Kolumbien | Nummer 586 - April 2023

Energiewende und sozialer Dialog

Zivilgesellschaft und indigene Bewegungen im kolumbianischen Departamento La Guajira beteiligen sich an Gesprächsforum

Mehr Kohle, aber weniger Wohlstand: Während die Kohleexporte des Schweizer Konzerns Glencore im kolumbianischen Departamento La Guajira durch den Ukraine-Krieg steigen, versinkt die Region in einer Ernährungs-, Produktions- und Armutskrise. Immer mehr Menschen im Departamento suchen daher nach Möglichkeiten, sich zu organisieren.

Von Juan Manuel Quintero Serna

Treffen sozialer Bewegungen an der Uni (Foto: Laura Chaparro)

La Guajira spricht mit Offenheit in einem neuen sozialen Dialog über seine Zukunft. Dies war auf dem Forum „Produktive Diversifizierung, Klimawandel und sozialer Dialog” zu beobachten, das am 17. März in der Universität von La Guajira, der öffentlichen Universität des kolumbianischen Bergbaudepartamentos, stattfand. Die Veranstaltung zog in den lokalen Medien großes Interesse auf sich und die Beteiligung von zivilgesellschaftlichen, akademischen und indigenen Bewegungen, wie etwa dem Bürger*innenkomitee für die Würde von La Guajira und dem Jugend- und Frauenverband der Wayuu war deutlich zu spüren. Auf der Veranstaltung diskutierten verschiedene Organisationen und Redner*innen zur Situation in der Region, und das entlang zweier vereinbarter thematischer Achsen: Der erste Fokus „Klimawandel und Energiewende” befasste sich mit den Fragen der nachhaltigen Entwicklung und den von der Regierung Gustavo Petro vorgeschlagenen Umstellungsprojekten auf erneuerbare Energiequellen. Der zweite Teil der Veranstaltung, „Produktive Diversifizierung und sozialer Dialog“ widmete sich den Folgen der Spezialisierung der Region auf den Kohleabbau und der Notwendigkeit, ein Gespräch zu eröffnen, um die Herausforderungen eines Strukturwandels zu überwinden.

„Dieses Forum ist der Beginn eines Dialogs mit den lebendigen Kräften des Departamentos“, sagte Felipe Rodríguez – Koordinator des Bürgerkomitees für die Würde von La Guajira – in seiner Eröffnungsrede. In diesem Dialog würden die zukünftigen Herausforderungen für das Departamento angesprochen, wobei das Forum die Bedeutung der Energiewende anerkennen werde, ohne die Entwicklungsprobleme der Region zu vernachlässigen. Denn diese bleiben groß: „Die Informalität (in der Beschäftigung Anm. d. Red.) liegt bei 77 Prozent und die Hälfte der Bevölkerung von Guajira ist von Ernährungsunsicherheit betroffen“, so Felipe bei der Eröffnung des Forums.

Die Veranstaltung fand nur wenige Tage nach dem Kolumbienbesuch von Cem Özdemir und Robert Habeck statt. Auf ihrer Reise diskutierten die deutschen Politiker mit ihren kolumbianischen Amtskolleg*innen über die anvisierte Energiewende, namentlich die Möglichkeit von Investitionen in grünen Wasserstoff und die Transformation in der Landwirtschaft. Obwohl die Minister La Guajira nicht besucht haben, sind die deutschen Interessen an den dortigen Rohstoffen größer denn je. Nach dem Ausbruch des Krieges in der Ukraine ist der Bedarf Deutschlands an kolumbianischer Kohle gestiegen. Im Jahr 2022 wurden 2,3 Millionen Tonnen davon importiert, hauptsächlich aus dem Tagebau El Cerrejón, dem größten in Lateinamerika. Er gehört dem Schweizer Konzern Glencore (siehe LN 545).

Die Auswirkungen des Krieges und die Rolle, die Deutschland in der Region spielt, hat Laura Chaparro, kolumbianische Studentin der politischen Ökonomie und Entwicklung in Kassel und Koordinatorin der Gruppe Aktion Guajira, in einem Beitrag noch deutlicher zusammengefasst: „Die deutsche Regierung ist auf der Suche nach Energieressourcen für ihr Land“, sagte sie, „das ganze kommt dabei mit neokolonialen Konnotationen daher, wobei Lateinamerika als eine Art Hinterhof betrachtet wird. Man holt sich die Ressourcen und lässt die Bevölkerung verarmen”.

Wie weg von der Kohle? Der Tagebau El Cerrejón (Foto: Hour.poing via Wikimedia Commons, CC BY-SA 3.0)

Anders als nach der Wahl der progressiven Regierung Gustavo Petros vielleicht einige erwartet hatten, scheinen sich die deutschen Beziehungen zu Kolumbien nicht geändert zu haben. Wie der Besuch der deutschen Entscheidungsträger nun zeigte, werden die energiepolitischen Verflechtungen zwischen beiden Ländern sogar enger.

Das Hauptproblem in La Guajira und ein Grund für das Feststecken in neokolonialen Wirtschaftsstrukturen ist jedoch nicht nur die fehlende Erneuerbarkeit solcher Export-Energien wie Steinkohle. Der neue Fokus der deutschen Regierung liegt auf grünem Wasserstoff und anderen Energiequellen, das Handeln der Minister zeigt gleichzeitig das Interesse an einem Markt für europäisches und transnationales Finanzkapital in Kolumbien sowie an Investitionsgelegenheiten für Energiekonzerne wie Glencore und Enel.

Diese Interessen spiegeln sich auch in der Politik der Ampelkoalition in Deutschland wider. Einerseits hat man nach dem Wegfall des bisherigen Hauptkohlelieferanten die Importe aus Kolumbien erhöht. Dabei werden die tiefgreifenden ökologischen, sozialen und kulturellen Schäden ignoriert, die Glencore in La Guajira verursacht. Andererseits birgt das Versprechen von alternativen Energien für Europa das Risiko, neokoloniale Verhältnisse zwischen Deutschland und Kolumbien zu reproduzieren.

Die von der Regierung Petro geförderten und von der deutschen Regierung politisch und finanziell unterstützten Projekte für erneuerbare Energien haben zudem starke Auswirkungen auf die Wayuu-Gemeinden vor Ort. Jazmín Romero, eine Vertreterin der Wayuu, kritisiert diesen grünen Extraktivismus: „Die 65 Windparks, die auf dem Gebiet der Wayuu gebaut werden, haben hier die Vertreibung der Bevölkerung zur Folge“. Um solche Vertreibungen zu vermeiden, bräuchte die nationale Regierung echte Konsultationsprozesse, die sich nicht auf die Seite der Energieunternehmen stellen. „Sie sagen uns, dass jedes Unternehmen frei und autonom seine eigenen Konsultationen durchführen kann“, sagt Jazmín. „Das hat dazu geführt, dass diese sehr großzügig durchgeführt werden, um schließlich die Wayuu-Bevölkerung zu beseitigen und zu vertreiben.“

Obwohl die Wayuu-Gemeinden die Regierung von Gustavo Petro aufgefordert haben, die laxen „vorherigen Konsultationen“ auszusetzen, scheinen sie von Bogotá ignoriert zu werden. „Ich mache mir keine Illusionen über Veränderungen, wenn es das gleiche neoliberale und transnationale extraktivistische Modell ist. Und die Wayuu? Sind geliefert …“, so beendete Jazmín ihren Beitrag.

Die Spezialisierung des Departamentos auf den Bergbau hat sich auf La Guajira tragisch ausgewirkt. „Wir sind an ein Wirtschaftsmodell gebunden, in dem wir von ausländischen Märkten abhängig sind“, sagt Enrique Daza, Direktor von Cedetrabajo. Diese Art von Wirtschaftspolitik wurde vor allem durch die wirtschaftliche Liberalisierung in den 1990ern und die Freihandelsabkommen mit Ländern wie den USA und der EU durchgesetzt. Ein Beweis dafür: die Energiepreise in der Region La Guajira gehören zu den höchsten des Landes, obwohl Kohlelieferungen 98 Prozent der Exporte der Region ausmachen.

Zum Abschluss des Forums bekräftigen die anwesenden Organisationen die Notwendigkeit, in La Guajira einen sozialen Dialog und dauerhafte gemeinsame Diskussionen einzurichten. Die Initiative werde „der größte Einigungsprozess, den es je im Departamento gegeben hat“. Die Gruppen verpflichteten sich außerdem, einen Fahrplan für die energiepolitische Diversifizierung und den Übergang zur nachhaltigen Energieversorgung zu erstellen, der über die Grenzen des Departamentos hinausgeht.

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