Mexiko | Nummer 476 - Februar 2014

Erfolgreich und umstritten

Bürgerwehren vertreiben ein Drogenkartell mit Waffengewalt

Bürger_innen in Michoacán greifen zu den Waffen, um der Gewalt durch das Drogenkartell „Die Tempelritter“ ein Ende zu bereiten. Mit Erfolg nehmen sie die Mafia-Hochburgen ein. Die verstärkte Präsenz des Militärs führt zu weiteren Spannungen.

Wolf-Dieter Vogel

Sie stürmen die Häuser der Mafia, beschlagnahmen deren Waffen und verjagen die Kriminellen aus einer Stadt nach der anderen. Alles spricht also dafür, dass die Bürgermilizen im mexikanischen Bundesstaat Michoacán eine Erfolgsstory schreiben. Entsprechend selbstbewusst behaupten die Selbstverteidigungsgruppen in einem Kommuniqué Anfang Januar: „Wir sind im Kampf gegen das Verbrechen effektiver als die Regierung im ganzen vergangenen Jahrzehnt.“ Das dürfte nicht allzu schwer fallen in einer Region, in der viele Politiker_innen, Bürgermeister_innen und Polizist_innen auf der Gehaltsliste des dominierenden Kartells, den Tempelrittern, stehen. Selbst Bundesinnenminister Miguel Àngel Osorio Chong, so heißt es in dem Schreiben vom 15. Januar, „will nur die Tempelritter schützen“.
Die kritische Haltung gegen die Regierenden in Mexiko-Stadt lag in diesen Tagen nahe. Präsident Enrique Peña Nieto hatte gerade Bundespolizist_innen und Soldat_innen in die umkämpfte Region Tierra Caliente geschickt, um gegen die Milizen vorzugehen. Nachdem sich die autodefensas genannten Bürgerwehren mit den Tempelrittern bewaffnete Auseinandersetzungen lieferten und auf die Mafia-Hochburg Apatzingán vorrückten, befürchtete der Staatschef, dass die Situation unkontrollierbar eskaliere. Also rückten die Sicherheitskräfte vor und begannen, die Milizen zu entwaffnen. Immer wieder kam es zu Kämpfen, einige Menschen starben. Dabei wollten die Bürgerwehren gar keine Konfrontation mit dem Staat, erklärt deren Anführer José Manuel Mireles: „Das einzige, was wir wollen, ist, dass in Michoacán wieder rechtsstaatliche Verhältnisse herrschen.“
Mireles gilt als Gründer der bewaffneten Einheiten. Vor einem Jahr organisierte der Arzt die ersten Gruppen, angeblich, nachdem er von den Kriminellen vergewaltigte und geschwängerte Mädchen behandeln musste. Dabei galten die Tempelritter zunächst als die „bessere Schutzmacht“ unter den vielen Verbrecherbanden, die in dem Bundesstaat ihr Unwesen treiben. Als sich beispielsweise die „Zetas“ in der Gegend breit machen wollten, schützten sie – damals noch als Teil der heimischen „Familia Michoacana“ – die Menschen vor den Angriffen des Kartells. Aus internen Kämpfen in der „Familie von Michoacán“ gingen dann die Tempelritter hervor, die nun mit der „Nueva Generación Jalisco“ um die Vormacht in der Region kämpfen. Mit einer kruden Mischung aus religiösen Phrasen, lokalem Patriotismus und brutaler Gewalt sorgten sie für Ordnung.
Doch mit der Zeit beließen sie es nicht mehr nur dabei, mit Drogen zu handeln, illegale Minen zu betreiben oder Eisenerz zu rauben. Zunehmend legten sie sich mit der Bevölkerung an: Sie kassierten Schutzgeld, entführten Menschen, vergewaltigten Frauen. „Die Viehzüchter mussten 1.000 Pesos (ca. 65 Euro) für jede verkaufte Kuh zahlen“, erklärt Mireles. Da weder lokale noch bundesstaatliche oder föderale Regierungen gegen diesen Terror vorgegangen seien, hätte man sich im Februar 2013 in autodefensas zusammengeschlossen. Inzwischen kontrollieren die Gruppen zahlreiche Regionen von Michoacán, von bis zu 40 Prozent des Bundesstaates ist die Rede. In dem im Januar veröffentlichten Kommuniqué sprechen sie von 25.000 Menschen, die sie in ihren Reihen hätten.
Die autonome Polizei kann auf große Unterstützung in der Bevölkerung zählen. Als die Armee einmarschieren wollte, blockierten Bewohner_innen die Autobahn. Die Bürger_innen trauen den staatlichen Sicherheitskräften nicht zu, die Tempelritter in den Griff zu bekommen. Viele kritisieren deshalb, dass man den Milizen die Gewehre abnehmen will. „Wir befürchten, dass sie dann gehen und uns alleine lassen, deshalb wollen wir nicht, dass sie entwaffnet werden“, sagt eine Frau, nachdem die Streitkräfte ihre Heimatstadt Antúnez besetzt haben.
Trotz der militärischen Erfolge und der Unterstützung der Bevölkerung sind die Milizen in der Linken umstritten. Der Dichter und Friedensaktivist Javier Sicilia hält deren Vorgehen angesichts der Tatenlosigkeit der Regierung für absolut legitim: „Sie sind ein notwendiges Übel, die Leute müssen sich verteidigen.“ Skeptischer ist der Kommentator Luis Hernández Navarro von der linken Tageszeitung La Jornada. Er weist auf den Unterschied zu Gemeindepolizist_innen im Bundesstaat Guerrero hin, die seit 17 Jahren patrouillieren. Diese hätten eine linke und indigene Geschichte, während einige der Bürgerwehren von Michoacán mit der Mafia zusammenarbeiten würden.
Dieser Verdacht ist nicht ganz von der Hand zu weisen. Kritiker_innen fragen sich, woher die Milizen ihre großkalibrigen Waffen haben. Die hätten sie den Tempelrittern abgenommen, außerdem gebe es heimische Unternehmer_innen, von denen man unterstützt werde, antworten die Bürgerwehren. Denkbar ist aber auch, dass einige der selbsternannten Polizist_innen ihre Kalaschnikows von der „Nueva Generación Jalisco“ erhalten. Diese Gruppe gehört zum Sinaloa-Kartell des mächtigen Bandenchefs El Chapo. Und der hat allen Grund, in Michoacán an Boden zu gewinnen. Denn dort befindet sich mit dem Pazifikhafen Lázaro Cardenas einer von Mexikos wichtigsten Umschlagplätzen für illegale Güter.
Wer in welchem Umfang wem hilft, ist schwer auszumachen. Zumal die Kartelle modern strukturierte Firmen sind, denen zahlreiche Subunternehmen angegliedert sind. Aber auch das Verhältnis der Bundesregierung zu den Milizen ist ambivalent. Trotz der Sicherheitskräfte, die Peña Nieto mobilisiert hat, setzt er nicht nur auf Konfrontation. So hat Innenminister Osorio Chong mit Mireles Gespräche darüber geführt, dass sich die Milizen Regeln unterordnen und „den Sicherheitskräften helfen“. Und als die autodefensas mit 400 Bewaffneten und 30 Pickups in die Kleinstadt Nueva Italia einmarschierten, kreiste ein Hubschrauber der Armee über dem Geschehen. Bei Kämpfen im November stellten sich die Soldat_innen sogar hinter die Milizen, allerdings ohne direkt einzugreifen.
Für die Regierung seien die bewaffneten Bürger_innen „ein funktionales Werkzeug bei der Bekämpfung der Tempelritter“, meint der Sicherheitsexperte Alejandro Hope. So könne sie die Macht des Kartells eindämmen, ohne das Leben der eigenen Leute aufs Spiel zu setzen. Allerdings sind sich auch die autodefensas in ihrer Haltung zur Regierung nicht einig. Während Mireles nach der staatlichen Mobilmachung Bereitschaft zeigte, die Waffen abzugeben und die Milizen aus den besetzten Städten abzuziehen, hielt der Anführer Estanislao Beltrán dagegen. Man werde den Dörfern die Hilfe nicht entziehen, um die sie gebeten hätten, stellte er klar. Mit der Regierung würden die Milizen erst sprechen, wenn die Anführer der Tempelritter im Gefängnis säßen.

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