Erwachsen werden in L.A.
Der US-amerikanische Film Quinceañera spielt mit Klischees
Y ahora, despierta la mujer que en mí dormía… (Und jetzt erwacht die Frau, die in mir schlief). Mit diesem populären Schlager beginnt der Film Quinceañera, während die ZuschauerInnen erst einmal mit Sahnetorte-Bildern überschüttet werden.
Eine Tochter mexikanischer MigrantInnen feiert ihren fünfzehnten Geburtstag in den USA. Der Pomp, mit dem dieses Ereignis begangen wird, ist nichts Ungewöhnliches. Die Bedeutung dieses Festes ist für die Latino-Familie immens: Die Tochter wird in die Gesellschaft eingeführt, das unschuldige Mädchen – zur Frau gereift – der Verwandtschaft präsentiert.
Es ist ein Tag, an dem vor allem für Fotos posiert wird. Alle Freundinnen müssen das gleiche Kostüm tragen und in ihrer Mitte wird das Geburtstagskind zur Prinzessin des Abends gekürt. Als ZuschauerIn versinkt man im Kinosessel und denkt: „Oh nein, nicht schon wieder eine Latino-Soap“. Doch darin liegt die Kunst des Regisseur-Duos Richard Glatzer und Wash Westmoreland, die auch das Drehbuch gemeinsam schrieben: Sie nutzen Klischees, um sie zu brechen.
Mexikanische Society
Magdalena, die unter den Freundinnen als nächste an der Reihe ist, ihre Quinceañera zu feiern, muss mit weniger Glamour auskommen. Ihre Eltern sind nicht so wohlhabend. Die befreundeten Familien sind bereit zu helfen, was aber nicht heißt, das sie alles umsonst bekäme. So kreist der große Wunsch der Kleinen um die „Hummer Limo“, mit der die reiche Cousine vorgefahren wurde.
Die verschiedenen Familien stellen mustergültig die Facetten der mexikanischen Society von L.A. dar: Da ist die elegante Mutter, die mit der schönen tadellosen Tochter nur Englisch spricht, während sich Papa alles leisten kann. Zum Beispiel den eigenen missratenen Sohn rauszuwerfen.
Auch der rebellische Latin-Macho-Typ tritt auf, als eben jener verstoßene Sohn Carlos, dessen Gebärden ständige Bedrohung ausstrahlen. Schließlich den alten Großonkel als Vertreter der ersten Generation der ausgewanderten Mexikaner. Dieser verkauft seine champurrados – ein Mais-Heißgetränk – noch immer jeden Tag auf den Straßen von Echo Park, einem ehemaligen Latino-Ghetto, das nach und nach zum Stadtteil der Mittelschicht wurde. Der gute Alte ist auch der einzige, der Carlos bei sich aufnimmt. Alles geht also seinen Gang und auch Nuestra Señora de Guadalupe, die Schutzheilige der Mexikaner, scheint über allem zu wachen, damit es so weiter gehen kann wie bisher.
Im Englisch der angepassten Generation und im Spanisch der Eltern und Alten wird diese Geschichte fast dokumentarisch erzählt. Dabei führt der Film auch in das Panorama von Echo Park in Los Angeles, zeigt die Läden, die leeren Straßen und die Hitze. Jeder Moment scheint zu bestätigen, dass hier das echte Leben dargestellt wird.
Ein bißchen schwanger
Doch dann soll Magdalena – nach langen Spaziergängen mit ihrem Freund Hermán – angeblich aus dem Nichts heraus ein Kind bekommen. La Guadalupana wird zum bedrohlichen Sinnbild einer Jungfrauengeburt. Der Macho Carlos wird vom benachbarten Schwulenpärchen verführt und Magdalena landet schließlich auch als Ausgestoßene beim Großonkel, wo die beiden Jugendlichen nun lernen müssen, miteinander auszukommen. Der Großonkel vertritt als einziger die Moral des Films: Man soll Menschen nicht wegen ihrer äußeren Erscheinung verurteilen.
Der US-Amerikaner Glatzer und der Brite Westmoreland haben einen guten Film mit einfachsten Mitteln produziert. Durch die Bewegungen der Handkamera, die uninszenierten Drehorte und vor allem die DarstellerInnen, die gleich in der Nachbarschaft gecastet wurden, wirkt nichts gekünstelt.
Wenn die unscheinbare Darstellerin der Magdalena, Emily Rios, den Mund beim Reden kaum aufbekommt, liegt in dieser Untertreibung ihre große Schauspielkunst. So verwischen die Grenzen zwischen Dokumentation und Fiktion. Der Film lief im Januar schon mit Erfolg auf dem Sundance Festival. Auch auf der Berlinale sollte er beachtet werden. Sein größter Verdienst wird es dann wohl sein, dem Publikum vorzuführen, dass Klischees selbst im Film nicht mehr funktionieren.
Quinceañera, Regie: Wash Westmoreland und Richard Glatzer, USA 2005, 90 Min.
Die internationale Premiere läuft auf der Berlinale vom 9.-19. Februar im Programmteil 14plus.