Brasilien | Nummer 475 - Januar 2014

„Es geht um indigenes Land“

Interview mit Padre Edilberto Sena von der Widerstandsbewegung Movimento Tapajós Vivo in Amazonien

Der Befreiungstheologe und Radiomacher Padre Edilberto Sena über den neuen Schub der Inwertsetzung Amazoniens. Die LN sprachen mit ihm Ende November in Berlin, wo er auf Einladung der Aktionsgemeinschaft Solidarische Welt (ASW) an verschiedenen Veranstaltungen teilnahm.

Interview: Christian Russau

Die brasilianische Regierung erarbeitet derzeit ein neues Rahmengesetz für Bergbau. Was bedeutet dies für die Tapajós-Region, in der Sie leben?
Das Gesetz wäre eine Katastrophe. Nicht nur für die Tapajós-Region, sondern für den ganzen westlich gelegenen Teil des amazonischen Bundesstaats Pará. Denn das ist die Region, die das Herzstück für den Mineralbergbau bildet. Dort gibt es alles: Bauxit, Gold, Mangan, Kalk, Phosphat. In der Nähe gibt es zudem Uran und Blei – all diese Mineralien stehen im gierigen Fokus der Bergbaukonzerne. Die üben mächtigen Druck auf die Regierung aus, die ganzen Bergbauanträge endlich zu bewilligen und die Förderlizenzen zu erteilen. Im Fokus stehen letztlich vor allem die indigenen Territorien. Dort liegt der Kern dieses neuen Bergbaugesetzes: Und die Regierung willigt ein.

Wie reagieren die Indigenen?
Sie wissen, dass die Konsequenzen dieses neuen Bergbaugesetzes weitaus schlimmer sein werden, als alles, was wir bisher erlebten. Das wird das Einfallstor in die indigenen Territorien.

Die Umweltorganisation ISA hat errechnet, dass derzeit 4.220 Bergbaukonzessionsvorhaben allein für indigenes Territorium beantragt sind. Was werden die Indigenen davon haben?
Sie werden schon etwas davon haben: Und zwar das, was die Indigenen vor 500 Jahren bekamen. Die Portugiesen gaben ihnen Töpfe, Glasperlen und anderes Glitzerzeug. Heute ist es im Prinzip nicht anders. Ihnen wird ein Anteil versprochen, aber der wird ein Bruchteil dessen sein, was die Konzerne da abschöpfen.
Nehmen wir den Fall der kanadischen Bergbaufirma Belo Sun Mining Corporation. Gerade heute kam die Meldung, dass ein Bundesrichter die Umweltgenehmigung für das „Belo Sun“-Gold-Projekt am Xingu-Fluss in direkter Nachbarschaft zum Belo Monte-Staudamm vorerst gestoppt hat. Was will Belo Sun dort? In den nächsten zehn Jahren wollen sie dort 50 Tonnen Gold fördern. Was geht da vor sich? Die Regierung lässt den Staudamm Belo Monte bauen, die große Flussbiegung der Volta Grande zu 80 Prozent trockenlegen, dann kommen sie da leichter an das Gold heran. Und zum Trennen des Goldes nutzen sie Zyanid – höchst giftig.

Also handelt die Justiz doch?
Die Staatsanwaltschaft hat Klage eingereicht und der zuständige Richter hat dem gerade stattgegeben. Aber wir wissen, wie die Macht eines solchen Konzerns aussieht. Wir wissen, was da alles hinter den Türen abläuft. Wir vertrauen heute in Brasilien weder dem Nationalkongress, noch der Präsidentin oder dem Justizwesen. Allein im Falle Belo Monte sind 20 Klagen der Bundesstaatsanwaltschaft gegen die Zulässigkeit des Projektes anhängig – und die schmoren in einer Schublade bei den zuständigen Gerichtshöfen.
Ich pflege zu sagen: Da wir heutzutage in einer Diktatur des Kapitals leben und die Regierung aus Brasilien die fünftgrößte Wirtschaftsmacht der Welt zu werden gedenkt, muss man nach dieser Logik exportieren. Und Mineralien sind in diesem Sinne wertvolle Bodenschätze. In der erträumten Exportbilanz sind sie das Filetstück.

Vor den Juni-Demonstrationen gab es bereits massive Proteste von Indigenen, die in Brasília den Kongress stürmten. Was waren der Anlass und die Hintergründe?
Die brasilianische Verfassung garantiert den Indigenen ihr Recht auf ein eigenes Territorium. Aber die Großfarmer und die Firmen des Agrobusiness wie auch die Bergbaukonzerne üben massivsten Druck aus, um die Territorien zu verkleinern. Und weil die Diktatur des Kapitals anhält, so wird ihnen auch die Regierung weiterhin zu Willen sein. Dies erleben die Guarani-Kaiowá im Bundestaat Mato Grosso do Sul tagtäglich. Sie fristen dort ihr Dasein am Straßenrand, erniedrigt, ohne Zugang zu Land. Und dies, weil die Vorgängerregierungen das Land an die Farmer vergaben und die jetzige Regierung an das Thema nicht heran will, um es sich nicht mit der Großgrundbesitzerlobby zu verscherzen. So eiert die Regierung herum, während die Guarani-Kaiowá am Straßenrand sterben.
Aber in den vergangenen Monaten haben sich die Indigenen auf nationaler Ebene zusammengeschlossen, um für ihre Rechte zu kämpfen. Das ist etwas, was mich sehr glücklich macht. Sie haben den Kongress gestürmt sowie dem Kongress und der Präsidentin ihre Forderungen gestellt: „Dies sind die Rechte, die uns die Verfassung zuschreibt. Und wir verlangen, dass diese eingehalten, respektiert und umgesetzt werden!“

Dieses Jahr ein neues Rahmengesetz für den Bergbau, im vergangenen Jahr ein neues Gesetz für den Wald. Und nun soll auch noch der Indigenenbehörde FUNAI die Kompetenz über die Demarkation indigenen Territoriums entzogen werden. Was steckt dahinter?
Dies ist alles der gleiche Prozess: es geht darum, den Indigenen ihre Rechte zu entziehen und die Interessen der Großgrundbesitzer zu befriedigen. Es geht ums Land. Noch obliegt die Entscheidung über die Demarkation direkt der Präsidentin und die FUNAI bereitet den ganzen Entscheidungsprozess vor, lässt die Studien erstellen und so weiter. Und der brasilianische Nationalkongress blieb von diesem Prozess ausgeschlossen. Aber die Großgrundbesitzerfraktion im Kongress übt auch hier Druck aus, um die Rolle der FUNAI zu schwächen. An Demarkationen soll künftig der Kongress beteiligt werden, ebenso wie die staatliche Agrarforschungsinstitution EMBRAPA und die beiden für Landwirtschaftsfragen zuständigen Ministerien. All dies ist ein Schachzug, um die Rechte der Indigenen auszuhöhlen. Und Dilma Rousseff will nicht die Stimmen dieser Fraktionen im Kongress verlieren, also beugt sich ihre Regierung den Interessen der Großfarmer, der Agrarkonzerne und der Bergbaukonzerne.

Reden wir zum Abschluß über Ihre Region, den Tapajós. Was sind hier die Pläne Brasílias?
Allein am Tapajós-Fluss plant die Regierung Dilma den Bau von sieben Wasserkraftwerken. An den beiden Zuflüssen, die sich zum Tapajós vereinen, sind weitere elf Staudämme geplant: acht am Juruena und drei am Teles Pires. Einer wird am Teles Pires bereits gebaut. Zusammen sind das 18 Wasserkraftwerke. Was bedeutet das? Schauen wir uns die Staustufe an, die Santarém am nächsten gelegen ist. Allein die geplante 36 Meter hohe Staumauer erzeugt einen Stausee von 730 Quadratkilometern. Im Tapajós-Gebiet sollen 10.000 Hektar des Nationalparks geflutet werden. Ein Irrsinn, den Dilma Rousseff mit dem Kugelschreiber löste. Die brasilianische Verfassung schreibt vor, dass jeder Nationalpark unantastbar ist, aber sie hat im Januar 2012 ein Dekret unterzeichnet, das den Nationalpark genau um das zu flutende Gebiet verkleinert. Und so löst man das dann: mit einem Kugelschreiber.

Diese Staudammpläne lösen bei den Munduruku am Tapajós massive Proteste aus. Angesichts der Massenproteste im Juni wollte die Regierung wohl keinen weiteren Konfliktherd und kündigte zunächst an, die Baupläne am Tapajós nicht weiter zu verfolgen. Die Munduruku feierten. Doch dann erklärte Brasília, die Tapajós-Wasserkraftwerke 15 Prozent größer bauen zu wollen. War der kurzzeitige Rückzug ein abgekartetes Spiel?
Das war die Taktik des Krieges. Denn die Munduruku hatten in Jacareacanga auf ihrem Gebiet fünf Forscher festgesetzt. Die Regierung entsandte Militäreinheiten und sagte gleichzeitig, falls die Forscher freigelassen werden, dann stoppen wir die Untersuchungen vor Ort. Dies lief dann so – aber fünf Tage später waren alle Forscher wieder vor Ort, diesmal in Begleitung der Einsatzkräfte des Heeres, die für „Sicherheit“ zuständig sind. Alles Kriegstaktik. In Bezug auf die Regierung trifft ein Satz den Kern ihres Denkens und Handelns. Dilma sagte einmal: „Was getan werden muss, muss getan werden.“ So gibt es keinen Dialog.

Die ILO-Konvention 169 zum Schutze indigener Völker schreibt den Dialog aber vor und Brasilien hat die Konvention 2004 ratifiziert…
Die ILO-Konvention 169 schreibt die freie, vorherige und informierte Konsultation der betroffenen Indigenen vor. Dies ist ja auch der Grund, warum die Bundesstaatsanwaltschaft 20 Klagen gegen Belo Monte eingereicht hat. Aber die brasilianische Regierung behilft sich seit Jahren mit einem Trick und der besteht in den zwei kleinen Worten: „nicht bindend“. Die ILO-Konvention 169 schreibt die Konsultation mit dem Ziel vor, ein Übereinkommen oder einen Konsens mit den Indigenen zu erzielen. In Brasilien führen sie da ein paar Anhörungen durch, aber de facto machen sie, was sie wollen, denn sie interpretieren die Konsultationen als „nicht bindend“.
Und das ziehen sie durch: Das haben sie am Rio Madeira mit den Staudämmen Santo Antonio und Jirau so gemacht, das machen sie am Xingu mit Belo Monte und am Teles Pires auch – und die am Tapajós werden die nächsten sein. Und wenn dann alles fertig gebaut ist und irgendwann in der Zukunft die Klagen der Bundesstaatsanwaltschaft zur nicht erfolgten Konsultation der betroffenen Indigenen auf dem Tisch des Obersten Gerichtshofs liegen, dann wird die Regierung vor dem Obersten Richter sagen, ,Ja, das ist schwierig, wissen Sie, wir haben da einen Formfehler begangen…’, aber die Staudämme stehen dann fertig gebaut in der Landschaft herum. Als vollendete Tatsache.

Infokasten:

Padre Edilberto Sena,
71, hat 2009 die Widerstandsbewegung Movimento Tapajós Vivo ins Leben gerufen und setzt sich mit dieser gegen die zunehmende Inwertsetzung Amazoniens ein: gegen Sojabarone und -konzerne, gegen Staudammprojekte der Regierung in der Region und gegen die Erteilung von neuen Bergbaulizenzen.
Er ist verantwortlich für das Rádio Rural de Santarém und erreicht mit seiner wöchentlichen Sendung über soziale und politische Fragen, zur Region, Umwelt und Menschenrechten, 50.000 Hörer_innen. Rádio Rural ist vor allem bei weit abgelegen wohnenden Indigenen und Flussanwohner_innen beliebt.
Padre Edilberto Sena studierte Theologie und Philosophie in Brasilien und in den USA, wurde 1972 zum Priester geweiht und versteht sich als Befreiungstheologe. Geboren wurde er 1942 mitten in Amazonien, im brasilianischen Bundesstaat Pará. Er lebt in Santarém, dort wo der Rio Tapajós in den Amazonas mündet.

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