Es wird Herbst für den greisen Patriarchen
Die unendliche Geschichte des Joaquín Balaguer
Eigentlich schien die Zeit der lateinamerikanischen Diktatoren und Caudillos schon vor zwei Jahren abgelaufen. Mit dem Präsidentenwechsel in der Dominikanischen Republik im August 1996 schien auch die Ära von Joaquín Balaguer endgültig zu Ende zu gehen. Doch nun meldet sich der 90jährige, inzwischen vollständig erblindete Ex-Präsident wieder auf der politischen Bühne zurück. Das Fossil aus vergangenen Jahrzehnten finsterer Gewaltherrschaft in Lateinamerika will es noch einmal wissen. Sieben Mal stand Balaguer bereits an der Spitze des kleinen Karibikstaates, der sich in Europa vor allem als karibisches Urlaubsparadies einen Namen gemacht hat. Nur ein Mann bestimmte die Geschicke der Inselrepublik länger: Der einst gefürchtete Diktator Rafael Trujillo. Drei Jahre vor Adolf Hitler an die Macht gekommen, endete seine Willkürherrschaft erst dreieinhalb Monate vor dem Bau der Berliner Mauer im Jahre 1961. Dann wurde es sogar den USA zu bunt. Die CIA ließ ihn kurzerhand aus dem Weg räumen.
Noch zu Lebzeiten als Nachfolger eingesetzt, trat Joaquín Balaguer das Erbe des Despoten an. Sein Verhältnis zu Trujillo war bis zum Schluß ungebrochen. „Daß der Wohltäter des Vaterlands vor fast 30 Jahren an die Macht kam, erscheint uns heute noch als ein Wunder,“ lobhudelte er den Massenmörder noch bei dessen vorletztem Geburtstag 1959. Sechs Mal war Balaguer zuvor Botschafter, mehrmals Kultusminister, Außen- und Sonderminister, Redenschrei-ber und schließlich Vizepräsident. Weiter konnte man es bis 1961 nicht bringen, sofern man nicht Trujillo hieß.
Das änderte sich erst nach dessen Tod. Egal ob nach Putschen, US-Interventionen oder manipulierten Wahlen, wie ein Stehaufmännchen landete Balaguer immer wieder auf dem Präsidentensessel. Im Unterschied zu seinem Vorgänger kam er zwar ohne Haifischteiche für seine politischen Gegner und zunehmend auch ohne auf Menschen abgerichtete Hunde aus, doch sein Machtwille war nicht minder ausgeprägt. Nur durch geschicktes Taktieren und das gegeneinander Ausspielen von Freund und Feind konnte er sich über so lange Zeit an der Spitze des Staates halten. Eine Demokratie konnte unter dem dienstältesten Caudillo Lateinamerikas nicht gedeihen.
Mit kurzen Unterbrechungen hat er das kleine Land, das die östlichen zwei Drittel der Insel Hispaniola einnimmt, bis heute regiert. Er und die sechzehn Familienclans, welche die wirtschaftlichen Geschicke der einstigen Zucker- und Bananenrepublik bis heute lenken. Doch in Zeiten der weltwirtschaftlichen Öffnung geht die Epoche der Diktatoren und Caudillos auch in der Dominikanischen Republik zu Ende. Schon bei der letzten Wahl 1994 ging es nicht ohne massiven Wahlbetrug und Absprachen der Parteien im Einverständnis mit der einflußreichen US-Botschaft.
Im Balaguermobil durchs Land
Wegen der Sitzverteilung im Parlament kann Fernández nur mit Unterstützung der Balagueristen regieren. Schon vor der Wahl deutete einiges darauf hin, daß der scheidende Präsident seine Zeit noch nicht ganz für abgelaufen hielt. Wie eh und je reiste er mit seinem hellroten Balaguermobil kreuz und quer durch das Land und weihte hier eine Schule und dort ein Krankenhaus ein. Jährlich verjubelte er auf diese Weise eine Milliarde US-Dollar nach eigenem Gutdünken und ohne jede Kontrolle durch das Parlament. Keins der Ereignisse war zu billig, keine Rede zu schwulstig, um nicht von den re-gierungstreuen Medien in bekannter Manier ausgeschlachtet zu werden. Und dennoch, der „Wohltäter“ des dominikanischen Volkes erinnerte mit jedem Auftritt mehr an jene Romanfigur von Gabriel García Márquez, den greisen Patriarchen, dessen Herbst nun bereits abgelaufen ist.