Mexiko | Nummer 370 - April 2005

„Es wurde nie gerecht geteilt“

Interview mit Ana Valadez, Sprecherin der Dachorganisation indigener HeilerInnen und Hebammen Compitch in Chiapas

Die forschende Pharmaindustrie interessiert sich seit langem für Heilpflanzen in den Regenwäldern Chiapas’ und beutet sie aus. Mexikos Regierung zeigt sich dabei seit Jahren kooperativ; seit 2003 fördert sie zudem die Genomforschung an diversen mexikanischen Ethnien. In den indigenen Gemeinden wächst der Widerstand gegen diese Liberalisierungspolitik. Das Gen-ethische Netzwerk sprach mit Ana Valadez über Patente und Benefit Sharing, über politische Rahmenbedingungen in Mexiko und die Folgen biotechnologischer Forschung für die Gesundheitsversorgung in den chiapanekischen Gemeinden.

Uta Wagenmann

Frau Valadez, warum kritisiert Compitch, die Dachorganisation indigener HeilerInnen und Hebammen in Chiapas, ethnobotanische Forschung?

Wir meinen, dass die biotechnologische Forschung die Lebensgrundlage der indigenen Gemeinden zerstört. Ein Beispiel: Das traditionelle Getränk der Mayas, der Pozol, ist seit kurzem patentiert. Er wird aus Mais gemacht und hilft bei Magen-Darm-Beschwerden. Pozol ist aber auch die wichtigste Nahrungsquelle der armen Campesinos/as. Das Patent an dem Getränk hält jetzt eine holländische Firma. Wir kämpfen mit vielen anderen Organisationen gegen diese Biopiraterie.

Gibt es noch Heilpflanzen, die Forschungsinstitute und Pharmakonzerne nicht „geraubt“ haben?

Nein. Wir gehen davon aus, dass längst alle interessanten Pflanzen und Wirkstoffe aus den Wäldern herausgeholt und in privaten Zellbanken gesammelt worden sind. Die ethnobotanischen Forschungen in Chiapas zum Beispiel laufen schon seit mindestens dreißig Jahren. Das ist immer alles heimlich passiert, sozusagen als stiller Diebstahl. Das heißt, es ist politisch gewollt.

Und dagegen arbeitet Compitch?

Nicht nur. Eine unserer wichtigsten Aufgaben ist es, das indigene Gesundheitssystem wieder herzustellen. Daran arbeitet Compitch seit mehr als zehn Jahren und unsere Mitgliedsorganisationen sogar schon seit mehr als zwanzig Jahren. Compitch setzt sich für traditionelle Medizin ein. Die traditionellen HeilerInnen stehen heute hoch im Kurs, weil sie eine wichtige Brücke zur Biotechnologie verkörpern: Sie ermöglichen oft den Zugang zu genetischen Ressourcen.

Welchen Stellenwert hat traditionelle indigene Medizin in Mexiko?

Nach der Kolonialzeit blieben nicht viele HeilerInnen übrig. Das System der öffentlichen Gesundheitsversorgung entstand erst viel später. Aber längst nicht alle haben dazu Zugang. Auch die indigenistische Politik in den 80er Jahren ist nicht nur positiv zu bewerten. Es wurde begonnen, die öffentlichen Dienstleistungen des Staates einzuschränken. Auf der Suche nach einer Möglichkeit die Kosten der öffentlichen Gesundheitsversorgung zu senken, stieß man auf die traditionelle indigene Medizin. Jetzt passte sie. In diesem politischen Raum entstand in Mexiko jenes staatlich geförderte indigenistische Programm, das die traditionelle Medizin unterstützt. Aber die meiste Zeit musste die indigene Medizin klandestin überleben. Viele HeilerInnen mussten ihre Gemeinden verlassen; sie gingen in die Städte.

Wie arbeitet Compitch?

Zu unserer Arbeit gehört unter anderem die Bildung, vor allem im Umweltbereich. Auf Veranstaltungen für Jugendliche reden wir beispielsweise über Umweltschutz-Regelungen in der Agenda der WTO und andere Themen, die mit der Privatisierung von Ressourcen zusammen hängen. Dabei geht es auch immer wieder um die genetischen Ressourcen, weil ihre Ausbeutung – zumindest in Mexiko – unmittelbar mit der Umwelt-Gesetzgebung zusammenhängt.

Wie genau sieht diese Verbindung aus?

Wir haben in Mexiko seit 2004 das Gesetz über die Umweltdienstleistungen. Damit wird auch die Bioprospektion (die systematische Untersuchung biologischer Vielfalt und der Anwendungsbereiche von Medizinalpflanzen) gefördert. Das Gesetz verpflichtet die Campesinos/as, der Forschung und der Bioprospektion zu biotechnologischen Zwecken Zugang zu gewähren. Offiziell nennt sich das „Umweltschutz“. Ausgangspunkt waren die Regelungen zum CO2-Ausstoß in Folge des Kyoto-Protokolls. Die Campesinos/as sind nun gesetzlich verpflichtet, die Wälder zu erhalten. Dafür, dass sie den Wald nicht berühren, bekommen sie ein kleines Entgelt. Aber damit verlieren sie auch ihre Lebensgrundlage zur Selbstversorgung. Nicht mal mehr zu medizinischen Zwecken dürfen sie die Pflanzen berühren. Zur Bioprospektion dagegen darf der Wald noch betreten werden.

Wie ist denn die Nutzung genetischer Ressourcen in Mexiko gesetzlich geregelt?

Anfang März dieses Jahres wurde das Gesetz über Biosicherheit biogenetisch veränderter Oranismen verabschiedet. Es liegt ganz im Sinne transnationaler Unternehmen wie Monsanto, Novartis, Astra Zeneca oder Syngenta, da es den Weg für den Einsatz transgener Pflanzen frei macht. Die Folgen sind gravierend, da mit den transgenischen Pflanzen der einheimische, hauptsächlich auf Mais basierende Anbau untergraben wird. Mexiko könnte eigentlich seinen Eigenbedarf an Mais selbst decken, ohne auf Importe – und gar den Import von transgenen Pflanzen – angewiesen zu sein. Eine weitere schreckliche Konsequenz ist, dass die biologische Vielfalt, die von den Campesinos/as aufgebaut und gepflegt wurde, aus dem Gleichgewicht gerät. Hunderte Arten von Nahrungs- und Heilpflanzen sind gefährdet, genauso wie das Wissen um ihre Nutzung. Ein weiteres nicht zu vernachlässigendes Risiko ist die wahrscheinliche Veräußerung des Landeigentums an ausländische Unternehmen. Wenn die Felder der Campesionos/as verseucht werden, werden in Zukunft entsprechende Rechtsstreitigkeiten auf internationaler Ebene verlagert werden, d. h. die Campesinos/as werden bei den multinationalen Firmen Klage erheben müssen.

In der Konvention zur biologischen Vielfalt ist das so genannte „access-and-benefit-sharing“ festgeschrieben. In der Praxis könnte damit ein Fonds gemeint sein: Wenn eine indigene Gemeinschaft einem Unternehmen den Zugang zu ihren Territorien erlaubt und dieses aus einer dort entdeckten Pflanze ein Medikament entwickelt, muss es einen Teil des Umsatzes in diesen Fonds zahlen. Mit dem Geld werden später beispielsweise Infrastruktur- oder Gesundheitsmaßnahmen in der Gemeinde finanziert. Was sagt Compitch zu solchen Ideen?

Wenn wir jeden Fall von Biopiraterie anschauen, zeigt sich deutlich, dass nicht eine einzige indigene Gemeinschaft, nicht ein Dorf, nicht eine indigene Organisation bislang an den „Benefits“, den Unternehmensgewinnen, beteiligt worden ist. Es wurde nie gerecht geteilt. Keiner stellt den Gemeinden, die den Unternehmen Zugang zu ihren Wäldern erlauben sollen, die notwendige Gesundheitsversorgung zur Verfügung, keiner beschafft ihnen Arbeit. Niemand kümmert sich um Schutz und Pflege der Wälder und Territorien. Bevor sich hier nichts verändert, werden wir nicht über Themen wie „benefit-sharing“ verhandeln.
Für Zugangsrechte einen Preis zu verlangen, macht ohnehin keinen Sinn. Für die Indígenas existiert diese Form der monetären Entsprechung nicht. Die Campesinos/as schätzen die Pflanze als wichtiges Lebensmittel, das sie ernähren wird und das lebt. Und dieses Lebendige lässt sich nicht messen, noch kann es mit irgendeinem Prozentsatz berechnet werden. Eine Pflanze hat keinen Preis.

Pharmakonzerne legitimieren ihr Vorgehen oft mit dem Argument, dass die Pflanzen noch unbehandelbare Krankheiten heilen könnten. Ihre Erforschung sei notwendig, um die Wirkstoffe der Pflanzen für alle Menschen zugänglich zu machen. Sie verschweigen dabei aber, dass am Ende nicht alle Menschen gleichermaßen davon profitieren werden. Diskutiert ihr bei Compitch diese Unternehmenstaktik?

Die Pflanzen, um die es geht, sind nützlich, das wissen wir. Aber deshalb stehen sie noch lange nicht dem unbegrenzten Zugriff offen – vor allem nicht für Kontrollgewinn und den Aufbau von Monopolen. Wenn der Austausch aber in Zukunft einmal von Prinzipien wie Solidarität und Kooperation geleitet würde, stünden die natürlichen Ressourcen unserer Länder selbstverständlich allen Menschen offen.

Was genau heißt das derzeit für Mexiko?

In Mexiko ist die Diskussion über Biotechnologie längst nicht abgeschlossen. Compitch zum Beispiel ist dagegen. Wir kennen andere erfolgreiche Formen des Heilens. Nur bislang haben wir noch keinen Weg gefunden, dieses Wissen zu teilen. Das Problem ist: Den Forschern geht es doch immer wieder nur um den größtmöglichen Profit. Das zeigt sich zum Beispiel an zunehmenden Patentanmeldungen im Bereich Biotechnologie.

Gibt es in Mexiko Organisationen, die ähnlich wie Greenpeace einzelne Patentanmeldungen überprüfen und damit an die Öffentlichkeit gehen?

Es gibt in Mexiko einen Sitz der ETC Group (Action Group on Erosion, Technology and Concentration; Nachfolgerin der RAFI). Sie helfen uns sehr bei der Recherche von Patenten. Ich weiß nicht, wie sie das machen, aber sie sind immer sehr schnell über neue Patentanmeldungen informiert.

Wisst ihr, wie viele Patente ungefähr in den letzten Jahren auf genetisches Material aus dem Süden Mexikos angemeldet, beziehungsweise genehmigt wurden?

Nein. So genau können wir nicht recherchieren. Patente werden aus der Verwendung von Genen gemacht. Immer mehr rückt dabei das menschliche Genom in das Blickfeld der Forscher, die Bioprospektion am Menschen. Mit der Gründung des Institutes für Genomische Medizin (Instituto de Medicina Genómica) wurde in Mexiko mit Forschungen am Genom von 60 indigenen Völkern begonnen. Eingebunden ist das Institut in das weltweite Forschungsprojekt zu ethnischen Variationen des menschlichen Genoms, das so genannte Hap-Map-Projekt (Fortsetzung des Human Genome Diversity Project, mit dem Ziel, die Erforschung genetischer Besonderheiten der verschiedenen ethnischer Gruppen zu erforschen).
Die Gründung des Instituts für Genomische Medizin wurde 2003 im Senat beschlossen, seit 2004 bekommt es staatliche Zuschüsse. Aufgebaut wurde das Institut zunächst mit 72.000 US-Dollar des Pharmakonzerns Merck. Nachdem diese Summe aufgebraucht war, hatten die Betreiber des Instituts kein Geld mehr, daher beschloss der Senat 2004 den Haushaltstitel. Das erste Projekt des Instituts ist die „Erforschung und Vervollständigung des mexikanischen Genoms“. Im Klartext heißt das: Bioprospektion des Genoms von 60 indigenen Völkern.

Aber für so ein Projekt braucht man auch Teilnehmer.

In Mexiko nicht unbedingt. An DNA-Proben kommt man hier mit Hilfe des öffentlichen Gesundheitssystems. Den Menschen wird zu diagnostischen Zwecken Blut abgenommen. Oder sie werden um eine Hautprobe gebeten, um einen Test auf Mangelerscheinungen oder Hautkrebs zu machen. Eine andere Möglichkeit, an DNA-Proben zu kommen, ist es, bei der Geburt eines Kindes die Nabelschnur einzubehalten – schon hat man die Zellen des Neugeborenen.

Das heißt, die internationalen Verträge, die eine Information und daraufhin erfolgende Zustimmung eines Probanden vorschreiben, sind in Mexiko bloß Papiertiger?

Das stimmt. Sie wirken in unserer Realität nicht. Compitch versucht natürlich Informationen darüber im Land zu verbreiten. In den Gemeinden, mit denen wir zusammen arbeiten, lassen sich die Leute nichts wegnehmen und sich auch nicht mehr von irgendwem untersuchen. Sie wissen, dass so genetische Informationen gesammelt werden. In anderen Gemeinden sieht das leider noch ganz anders aus.

KASTEN:
Compitch

Der Chiapanekische Rat der Organisationen traditioneller indigener HeilerInnen und Hebammen Compitch wurde 1994 auf Initiative des staatlichen Nationalen Instituts für Indigene Angelegenheiten (Instituto Público Nacional Indigenista) gegründet. Inzwischen regierungsunabhängig, ist Compitch der Dachverband von 18 Organisationen, in denen ein Großteil der rund 100.000 Indígenas in Chiapas, die sich beruflich mit Heilpflanzen und traditionellem medizinischen Wissen befassen, organisiert ist. 80 Prozent der Mitglieder bei Compitch sind Frauen, viele von ihnen Hebammen, die gleichzeitig auch als traditionelle Heilerinnen arbeiten.
International bekannt wurde Compitch durch seinen Widerstand gegen ein großes Bioprospektionsprojekt der US-amerikanischen International Cooperative Biodiversity Group (ICBG). Im Rahmen des so genannten ICBG-Maya-Projektes sollten in Chiapas Heilpflanzen für die Entwicklung neuer Medikamente gesammelt und erforscht werden. Beteiligt waren die US-amerikanische Universität Georgia, die mexikanische Universität ECOSUR und das britische Unternehmen Molecular Nature. Die indigenen Gemeinden sollten weder an den finanziellen noch an den eventuellen medizinischen Ergebnissen partizipieren. Auch eine Mitbestimmung der Gemeinden fand nicht statt. Compitch gelang es zusammen mit den Nichtregierungsorganisationen RAFI (Rural Advancement Foundation International) und Global Exchange, die indigenen HeilerInnen und Hebammen gegen das ICBG-Maya Projekt zu mobilisieren und die Biopiraterie zu politisieren, so dass das Projekt im Herbst 2001 endgültig eingestellt werden musste.

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