El Salvador | Nummer 231/232 - Sept./Okt. 1993

FMLN-KandidatInnenkürmarathon

Nächstes Jahr im März werden in El Salvador ein neuer Präsident (es wird sicher ein Mann sein, es gibt keine Kandidatin), ein neues Parlament und die BürgermeisterInnen der 262 Gemeinden des Landes gewählt. Auch wenn der Wahlkampf offiziell erst am 20. November beginnt, so dreht sich doch bereits heute fast alles um diese für die Zukunft des Landes so entscheidenden Wahlen. Die Schwierigkeiten, die die FMLN hatte, geeignete KanditatInnen zu finden, sagen dabei mehr aus über den Zustand der ehemaligen Guerilla als über die KandidatInnen selbst.

Michael Krämer

Am 5. September gab es nach langer Zeit mal wieder etwas zu feiern für die Linke in El Salvador. Die FMLN präsentierte auf ihrem ersten nationalen Kongreß ihre KandidatInnen für die Wahlen am 20. März nächsten Jahres. Schön bunt und laut war es, die Musik gut und die Stimmung der ca. 10.000 Anwesenden prächtig. Vergessen war – zumindest für einen Tag – die innere Zerstrittenheit der noch vor kurzem größten Guerillabewegung Lateinamerikas. Es wurde Einigkeit demonstriert.

Der holprige Weg zur Kandidatenkür

Umso beschwerlicher war der Weg zu diesem Wahlkongreß, der mehrmals verschoben wurde. Begonnen hatte der Streit, nach dem die FPL, die größte der fünf Mitgliedsorganisationen, im Mai offiziell ihre Unterstützung für Rubén Zamora bekanntgegeben hatte und aus den eigenen Reihen für Facundo Guardado als Kandidaten für die Vizepräsidentschaft Werbung machte. Rubén Zamora ist Vizepräsident des salvadorianischen Parlaments und Vorsitzender der Sozialchristlichen Volksbewegung (MPSC), der größten Partei der Dreierallianz Demokratische Konvergenz (CD), die ihn bereits als eigenen Präsidentschaftskandidaten nominiert hatte. Der Kandidatur von Zamora und Guardado lag die Idee zu Grunde, eine eindeutig linke Alternative zur Präsidentschaftskandidatur des rechten Hardliners der Regierungspartei ARENA, Armando Calderon Sol, zu präsentieren.
Vor allem ERP und RN, die beiden FMLN-Organisationen, die seit einiger Zeit einen klaren Bruch mit dem marxistischen Ursprung der FMLN vollzogen haben, protestierten gegen eine Kandidatur Zamoras, da er als ehemaliger Verbündeter der FMLN als Linker verschrien und so für viele Wähler und Wählerinnen nicht akzeptabel sei. Stattdessen präsentierte das ERP den Christdemokraten Abraham Rodriguez als eigenen Wunschkandidaten. Rodriguez verfügt zwar als Mitglied der Ad-Hoc-Kommission, die im letzten Jahr im Auftrag der Vereinten Nationen die von den Militärs im Krieg begangenen Menschenrechtsverletzungen untersucht hatte, über moralische Autorität, unterlag jedoch bei der Kandidatenwahl der Christdemokratischen Partei (PDC) am 23. Mai dem PDC-Vorsitzenden Fidel Chavez Mena. Damit waren Abraham Rodriguez’ Chancen auch innerhalb der FMLN gesunken.

Eine Explosion in Nicaragua erschüttert El Salvador

Am selben Tag legte die Explosion in einer Autowerkstatt in Managua ein riesiges Waffenlager der FPL frei und begrub die mögliche Kandidatur von Facundo Gardado. Nachdem die FPL erst einmal ihre Verantwortung für das Waffenversteck leugnete und Facundo Guardado zusammen mit dem FPL-Vorstandsmitglied Salvador Samayoa die Wogen in Managua zu glätten versuchte, mußten sie nach einer Woche kleinlaut dann doch zugeben, daß die Waffen ihrer Organisation gehörten. Die Rechte im US-Senat setzte einen Stop der Finanzhilfe für Nicaragua durch, da in diesem Land der internationale Terrorismus gefördert würde – was unter anderem aus angeblich in der Autowerkstatt gefundenen Dokumenten hervorgehen soll -, und die Regierung in Managua, einschließlich des sandinistischen Armeechefs Humberto Ortega, versuchte sich aus der Affäre zu ziehen, indem sie über die FMLN/FPL herfiel und Anklage gegen Guardado und Samayoa erhob. Mittlerweile hat die nicaraguanische Regierung sogar einen Auslieferungsantrag an die salvadorianische Regierung gegen die beiden FPL-Vertreter gestellt.

Die UNO leistet der Regierung Wahlkampfhilfe

Die salvadorianische Regierung war natürlich heilfroh über die Explosion in Managua, da nun endlich auch einmal die FMLN sich eines schweren Verstoßes gegen den Friedensvertrag schuldig gemacht hatte und sie von ihren Verstößen ablenken konnte – was ihr auch vorzüglich gelang, zumal sie Schützenhilfe vom UN-Generalsekretär Boutros Ghali bekam, der das Waffenlager “als bisher schwersten Verstoß gegen den Friedensprozeß” brandmarkte. Daß dies offensichtlicher Unsinn ist, schmälert die propagandistische Verwendung seitens der ARENA-Regierung keineswegs.
Doch zurück zur KandidatInnenwahl bei der FMLN. Der Streit, wer denn der/die “richtige” KandidatIn sei, zog sich noch mehrere Wochen hin und machte den Riß, der durch die FMLN geht, immer deutlicher. Während sich ERP und RN völlig auf Rodriguez fixiert hatten, mochte die FPL nicht von Zamora lassen. Der Versuch einer Konsenslösung scheiterte, nachdem sich zwar alle fünf Organisationen auf den parteiunabhängigen Héctor Dada Hirezi (vgl. das folgende Interview) einigten, dieser jedoch ablehnte. Erst nach der einstimmigen Entscheidung für ihn war bei der FMLN jemand auf die Idee gekommen, ihn zu fragen, ob er überhaupt bereit sei, für das höchste Amt im Staate zu kandidieren. Blieben nur noch Zamora und Rodriguez als mögliche Kandidaten. Mittlerweile hatten sich mit der Kommunistischen Partei (PCS) und der PRTC die anderen beiden FMLN-Organisationen auf Zamora festgelegt, und so kam es zu einer knappen Mehrheitsentscheidung von drei zu zwei zugunsten von Rubén Zamora. Zumindest hatten sich alle fünf Organisationen bereits vorher dazu verpflichtet, die Entscheidung zu akzeptieren.
Doch damit waren die internen Rangeleien noch nicht beendet, galt es schließlich noch die Vizepräsidentschaftskandidatur und die sicheren Listenplätze für die Parlamentswahlen festzulegen. Jede der fünf Organisationen wollte möglichst viele eigene Kandidaten und Kandidatinnen auf den vorderen Plätzen unterbringen. Zwischenzeitlich forderte das ERP als Ausgleich für die verlorene Abstimmung von Abraham Rodriguez die Hälfte der Abgeordneten für sich ein. Bei der Auswahl war dementsprechend manchmal das Proporzdenken wichtiger als fachliche Kompetenz und persönliche Ausstrahlung.

Ein Christdemokrat kandidiert für die FMLN

Mit der Aufstellung des 76jährigen Fancisco Lima für die Vizepräsidentschaft ist der FMLN auf jeden Fall eine Überraschung gelungen. Francisco Lima hatte dieses Amt bereits von 1962 bis 1967 unter dem Oberst Julio Rivera ausgeübt und ist heute einer der bekanntesten und angesehensten Anwälte El Salvadors. Zuletzt hatte er die Verteidigung von Facundo Guardado und Salvador Samayoa wegen der Explosion in Managua übernommen. Daß er der gemeinsame Kandidat von FMLN und CD würde, war jedoch kaum zu erwarten. Lima war erst vor einigen Monaten der Christdemokratischen Partei beigetreten, um seinen Freund Abraham Rodriguez bei den parteiinternen Vorwahlen zu unterstützen. Nach dessen Niederlage hatten die Anhänger von Rodriguez der “Parteimafia” um Fidel Chavez Mena Wahlbetrug vorgeworfen, Francisco Lima zog sich enttäuscht aus der Politik zurück. Nun muß er erst einmal das Parteibuch der PDC wieder zurückgegeben, das salvadorianische Wahlgesetz erlaubt nämlich keine Kandidatur bei anderen Parteien, wenn es nicht zu einer Wahlallianz kommt.
FMLN und CD erhoffen sich von Francisco Limas Kandidatur Stimmen aus dem Zentrum, die sie auch dringend brauchen, wollen sie bei den Wahlen im März eine Chance haben. Diese wahltaktische Überlegung könnte aufgehen, da Lima sicher von den wenigsten verdächtigt wird, ein Linker zu sein und allgemein als unbestechlicher Anwalt gilt. Lima hat denn auch auf dem Kongreß der FMLN angekündigt, “die Bekämpfung der Korruption” zu einer seiner Hauptaufgaben zu machen. Dementsprechend verschreckt reagierte die Regierungspartei: der ARENA-Abgeordnete Mario Valiente urteilte über Lima: “Er war schon immer als Anwalt der Subversiven bekannt.”
Abgesehen vom wahltaktischen Vorteil birgt Francisco Limas Kandidatur jedoch die Gefahr eines weiteren Identitätsverlustes für die FMLN, die nun gänzlich auf eine eigene Kandidatur verzichtet hat, wie es von mehreren FMLN-VertreterInnen noch im August gefordert wurde. Auch wenn die FMLN mittlerweile auf weitgehende Forderungen zur Umgestaltung der salvadorianischen Gesellschaft verzichtet hat, wird es ihr nun noch schwerer fallen, ein eigenes Profil zu entwikkeln und sich als reale Alternative für die Menschen in El Salvador zu präsentieren.
Vor allem an der Basis der FMLN wurde in letzter Zeit die Unzufriedenheit über “die da oben” in der Partei immer deutlicher. Einerseits hatten sie den monatelangen Streit um Personen satt, andererseits fordern sie zu Recht ein, daß die Partei mehr für die Belange der eigenen Leute tun sollte.

Die Regierung verhindert die Landverteilung

Der Friedensprozeß geht gerade in der Frage der Versorgung der Ex-KämpferInnen besonders langsam voran. Die Regierung verzögert bewußt die Übergabe von Land an die FMLN-Mitglieder und die Zivilbevölkerung in den Konfliktgebieten. Bis August waren noch nicht einmal zehn Prozent des Landes, das zwischen FMLN, Regierung und Vereinten Nationen ausgehandelt worden war, verteilt. Dazu kommt, daß in letzter Zeit die Todesschwadronen wieder verstärkt agieren und bereits einige FMLN-Mitglieder ermordet wurden, die FMLN-Spitze aber entweder gar nicht, oder wie bei der Ermordung von Oscar Humberto Grimaldi am 19. August eher zaghaft reagiert. Es steht zu befürchten, daß die Todesschwadronen, deren Strukturen in der Armee durch den Friedensprozeß nicht aufgelöst wurden, im Wahlkampf noch mehr Morde und Attentate begehen werden – auch, um wie schon früher ein Klima des Terrors zu erzeugen und der Bevölkerung klarzumachen, daß es für sie sicherer ist, wenn der Ultrarechte Calderon Sol neuer Präsident des Landes wird. Begünstigt wird dieses Klima, da die Ergebnisse der Wahrheitskommission (Vgl. LN 226) weitgehend vergessen sind und das Militär wieder aus der Defensive gekommen ist (siehe Kasten).

Kasten:

Wer zuletzt lacht, lacht am besten!

Die Säuberung der salvadorianischen Armee fand nicht statt

Ende Juni wurden 18 wichtige Posten in den Streitkräften neu besetzt. Die Säuberungen, die im Friedensvertrag festgelegt worden waren, gelten damit als abgeschlossen. Die meisten Offiziere, die die Armee jetzt verließen, waren im Bericht der Ad-Hoc-Kommission vom September 1992 und/oder im Bericht der Wahrheitskommission vom März 1993 als Verantwortliche schwerster Menschenrechtsverletzungen genannt worden (beide Kommissionen sind Resultat des Verhandlungsprozesses zwischen Regierung und FMLN). Die wichtigste Veränderung ist die Ablösung von Emilio Ponce, bislang Verteidigungsminister. Er hatte zum Beispiel den Befehl für die Ermordung von sechs Jesuiten im November 1989 gegeben.
Die Ablösung der Offiziere geriet jedoch zur Farce: vor ihrer Versetzung “in den einstweiligen Ruhestand”, den sie erst einmal unter Weiterbeziehung eines Teils ihres Soldes genießen dürfen, wurden Ponce und drei weitere Generäle noch zu “Divisionsgenerälen” befördert. Wobei es ein eher unbedeutendes Detail ist, daß es in den salvadorianischen Streitkräften gar keine Divisionen gibt – die größte militärische Einheit sind Brigaden. Der Skandal ist auch nicht, daß ihre Ruhestandsbezüge sich damit noch weiter erhöht haben – fast alle hohen salvadorianische Offiziere haben nach 30 Dienstjahren genug Geld veruntreut, um einen luxuriösen Lebensabend zu verbringen. Wirklich schlimm und ein nachträglicher Hohn für die unzähligen Opfer der Militärs ist, daß diese Leute mit allen Ehren verabschiedet wurden und sich für ihr Handeln nie mehr werden verantworten müssen, nachdem die rechte Parlamentsmehrheit im März dieses Jahres ein allgemeines Amnestiegesetz verabschiedet hat: eine spätere Strafverfolgung ist ausgeschlossen. Es fällt schwer. dem die unvorstellbare Tatsache hinzuzufügen, daß Ponce mittlerweile zum Direktor der staatlichen Telefongesellschaft ANTEL ernannt worden ist, ein Posten, der in El Salvador traditionell an altgediente Militärs vergeben wird, die ihren Hunger nach Geld und Macht noch immer nicht gestillt haben.
All dies wäre sicherlich leichter hinzunehmen, wenn wenigstens die neuen Befehlshaber die Hoffnung zuließen, jetzt könnte es eine wirkliche Erneuerung der salvadorianischen Streitkräfte geben. Doch zu dieser Hoffnung gibt es wenig Anlaß. Da ist zum Beispiel der neue Verteidigungsminister Humberto Corado Figueroa, der seinen neuen Posten dem Vertrauen verdankt, das er bei Präsident Cristiani genießt. Er wurde unter anderem in Paraguay und Taiwan ausgebildet. Persönlich ist er für mehrere Menschenrechtsverletzungen bis hin zu Morden verantwortlich. Zur Ermordung der sechs Jesuiten im November 1989, in die er selbst nicht verwickelt war, meinte er kurz nach dem Massaker: “Sie hatten den Tod verdient.” Zum neuen Oberbefehlshaber der Luftwaffe wurde Juan Antonio Martínez Varela ernannt, der für seine extrem rechte Position bekannt ist (genauso wie sein Vater Oberst Martínez Varela, der zur Zeit Innenminister ist). Ihm wird unter anderem vorgeworfen, daß er in den internationalen Drogenhandel verwickelt sei. Als er im letzten Jahr Kommandeur der Luftwaffenbasis von Comalapa war, wurden von dort mehrere 500-Pfund-Bomben an das Drogenkartell von Cali verkauft. Er löst Héctor Lovo ab, von dem gesagt wird, daß er im September und Oktober 1992 mehrere Putschversuche der Streitkräfte verhindert habe.
Beunruhigend ist auch, daß die Todesschwadronen wieder verstärkt agieren. Es ist mittlerweile allgemein bekannt, daß sie organisatorisch bei dem dem Generalstab unterstellten Geheimdienst DNI und den “S 2-Abteilungen” der verschiedenen Militär- und Polizeieinheiten angesiedelt waren. Im Laufe des Friedensprozesses wurde der DNI offiziell aufgelöst und der neue Geheimdienst Oficina de Inteligencia del Estado (OIE) gegründet, der dem Präsidenten unterstellt ist, also eigentlich unter ziviler Kontrolle steht. Chef des OIE ist der frühere Pressesekretär des Präsidenten, Mauricio Sandoval. Dieser erklärte jedoch vor einiger Zeit in einer Sitzung der Friedenskommission COPAZ: “Der OIE funktioniert nicht. Ein Teil des Personals (des DNI) kam zum OIE, der Rest wurde an andere Stellen versetzt.” Sie kamen zum Batallón de Inteligencia Militar (BIM), dem neuen wiederum beim Generalstab angesiedelten militärischen Geheimdienst, der laut Friedensabkommen gar nicht existieren dürfte. Beim Generalstab blieben auch alle Personen- und Organisationsdaten, die im DNI seit dessen Gründung 1982 gesammelt wurden.
M.K.

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