„Wir wollen kein zweites Nicaragua!“
Ein Gespräch mit Sandra Guevara, Direktorin der feministischen Organisation Movimiento de Mujeres Mélida Anaya Montes
Wie schätzt du das Regierungsprogramm der FMLN ein und inwiefern wart ihr als feministische Organisation an seiner Entstehung beteiligt?
Im Rahmen des sogenannten Offenen Sozialen Dialogs haben wir als Mélidas an mehreren Runden Tischen teilgenommen. Zuerst einmal haben wir die Kandidatur von zwei Männern kritisiert [neben dem Präsidentschaftskandidaten Mauricio Funes tritt Salvador Sánchez Ceren als Vizepräsidentschaftskandidat an; Anm. der Red.], weil wir eine gemischte Formel bevorzugt hätten. Wir haben auch Gespräche mit der Führungsriege der FMLN und mit dem Präsidentschaftskandidaten Mauricio Funes geführt.
Wir haben uns für die sexuellen und reproduktiven Rechte und das Recht auf Abtreibung eingesetzt. Uns ist versprochen worden, dass das Thema wieder auf den Tisch kommt, aber erst nach den Wahlen. Begründet haben sie das damit, dass es „politisiert“ werden könnte. Und dass dies im Wahlkampf kontraproduktiv sei. Sie sagten uns aber auch, dass sie sich des Problems bewusst seien, und dass es gelöst werden müsse, da viele Frauen an den unsicheren Abtreibungen sterben.
Sie sind uns gegenüber also eine Verpflichtung eingegangen, und wir hoffen, dass sie sie einlösen werden. Denn 1997, als Abtreibung verboten wurde, ist das auch mit den Stimmen linker Abgeordneter, unter anderem von der FMLN, passiert. Es gibt also eine Vorgeschichte. Und im jetzigen Programm steht es auch nicht, beziehungsweise nur subsumiert unter „sexuelle und reproduktive Rechte“. Die feministische Bewegung ist nicht besonders glücklich damit.
Was meint die FMLN, wenn sie von einer „möglichen Politisierung“ des Themas spricht?
Damit ist gemeint, dass die Rechte das ausnutzen könnte. Aus den bereits genannten Gründen, dass eben die Kirche, der Staat, die Massenmedien eine eindeutige Haltung gegen das Recht auf Abtreibung haben. Wenn die Abtreibung also in diesen Wahlen zum Thema werden würde, könnte es zu einer starken gesellschaftlichen Auseinandersetzung kommen, die sich gegen die FMLN richten würde.
Viele Feministinnen nehmen aber die Position ein, dass es trotzdem möglich sein muss, dieses Thema anzusprechen. Es muss eindeutig klar sein, dass es um unser Recht geht, als Frauen über unseren eigenen Körper zu entscheiden, und nicht der Staat, die Kirche, der Opus Dei oder eine der anderen Pro-Life-Organisationen, die in El Salvador sehr stark sind. Es gibt eine sehr konservative Kirche, die die Körper der Frauen kontrollieren will. Dem sollte man sich nicht beugen.
Hat Funes im Laufe des Wahlkampfes seine Einstellung zur Straffreiheit für Abtreibung geändert?
Als in Mexiko-Stadt vom Stadtparlament im April 2007 die Straffreiheit für Abtreibung [in den ersten zwölf Schwangerschaftswochen; Anm. d. Red.] beschlossen worden ist (siehe LN 396), haben wir in der mexikanischen Botschaft einen Brief abgegeben um zu gratulieren. Zu dem Zeitpunkt hat Mauricio Funes sich auch eindeutig dafür ausgesprochen. Danach ist seine Haltung ambivalenter geworden. Er lässt es ein bisschen im Unklaren. Meine Vermutung ist, dass Mauricio Funes sich aus den gleichen Gründen mit Aussagen zurückhält, die uns genannt worden sind. Und das ist es auch, was jetzt kritisiert wird: dass er keine klare Haltung einnimmt. Dass er ganz klar Glückwünsche Richtung Mexiko gesendet hat, er es aber nicht geschafft hat, hier eindeutig zu dem Thema Straffreiheit für Abtreibung Stellung zu beziehen.
Welche weiteren Forderungen gibt es von eurer Seite? Haben sie Eingang in das Regierungsprogramm der FMLN gefunden?
Unter unseren Vorschlägen ist die Schaffung eines Frauenministeriums. Denn das bereits existierende ISDEMU [Instituto Salvadoreño para el Desarrollo de la Mujer; Anm. d. Red.], das Nationale Institut für Frauenentwicklung, führt nur einige vereinzelte Projekte aus, hat aber keine Auswirkungen auf die anderen staatlichen Ressorts. Wir fordern von der FMLN, dass das Thema Frauenpolitik nicht weiterhin mit dem Familiensekretariat abgehakt wird, dem die Präsidentengattin vorsitzt, die die Forderungen und Notwendigkeiten der Frauen meist gar nicht versteht.
Wir fordern deswegen die Schaffung eines Frauenministeriums, das als Instanz mit mehr Macht ausgestattet ist und einen größeren Etat hat und Einfluss auf die anderen Ministerien nehmen kann! Wir fordern eine Frauenministerin, die Sachkenntnis hat, die sich der Verteidigung der Rechte von Frauen verpflichtet fühlt, die Führungsqualitäten hat und Einfluss nehmen kann.
Wichtig ist uns auch das ökonomische Thema. Wir haben eine Frauenbank vorgeschlagen, aber das hat nicht in der Form Eingang ins Regierungsprogramm gefunden. Es sind aber Entwicklungsstrategien für den informellen Sektor vorgesehen, zum Beispiel eine multisektorielle Entwicklungsbank, die Mikro-Kredite vergibt. Da soll es dann auch eine Abteilung geben, die speziell für Frauen zuständig ist.
Weiterhin wurde Ernährungssicherheit im Programm festgeschrieben. Das ist auch aus unserer Sicht eine dringende Notwendigkeit, da diese angesichts der Agrarpolitik in diesem Land schon lange nicht mehr gegeben ist und wir Frauen ganz besonders von dieser Situation betroffen sind.
Wo spielen sonst noch feministische Belange eine Rolle im Wahlkampf?
Unsere Positionen und unsere Kämpfe sind instrumentalisiert worden für eine Schmutzkampagne gegen Mauricio Funes. Im ganzen Land ist zu den verschiedensten Anlässen ein Flugblatt verteilt worden. Darin wird die Gewalt angeklagt, die Mauricio Funes angeblich gegen seine Ex-Ehefrau ausübe und behauptet, dies sei auch Grund der Trennung gewesen. Unterschrieben ist das Flugblatt mit den Namen Prudencia Ayala, Mélida Anaya Montes und Lil Milagro Ramírez. Das sind drei bedeutende Frauen aus der salvadorianischen Geschichte, nach denen auch jeweils feministische Organisationen benannt sind. Sie haben also bewusst eine Verwirrung hergestellt, so dass es schien, als ob wir als feministische Organisationen diese Dinge anklagen würden.
Uns hat allerdings eher Sorgen gemacht, dass die Leute das tatsächlich verwechselt haben und anfingen uns zu fragen: „Und Ihr seid dafür verantwortlich?“ Wir haben das dann richtiggestellt. Das ist mehrfach passiert.
Diese Kampagne richtet sich speziell an die Frauen. Die Mehrheit der Frauen aus den ländlichen Gegenden wählt die rechten Parteien. Und mit dieser Kampagne soll dieser Effekt verstärkt werden.
Es gibt von Seiten der feministischen Bewegung starke Proteste gegen Daniel Ortega, den sandinistischen Präsidenten von Nicaragua. Auch gegen seine Teilnahme am Ibero-Amerikanischen Gipfel in San Salvador Ende Oktober haben einige Frauenorganisationen protestiert. Wart ihr da auch dabei? Was ist eure Position dazu?
Wir haben interne Debatten geführt als Mélidas und als feministische Bewegung. Und wir haben auch eine Menge Aktionen gemacht, um gegen Daniel Ortega zu protestieren. Wir wollten schon klar machen, dass jemand, der mit der Kirche verhandelt und dann das Recht auf Abtreibung abschafft, nicht gerne gesehen wird in diesem Land. Auch in Nicaragua ist ja Abtreibung inzwischen in allen Fällen illegal. Der andere Grund unserer Kritik an ihm ist die Verfolgung von Feministinnen mit der Absicht, die KritikerInnen der sandinistischen Regierung zum Schweigen zu bringen. Sie werden verfolgt, ihre Büros sind durchsucht worden und ihnen wird vorgeworfen, von „wer weiß wem“ bezahlt zu werden, Rechte zu sein. Wir haben klar gemacht, dass wir als Feministinnen mit diesen Frauen solidarisch sind. Wir kennen diese Frauen, und wir glauben, dass das nicht die Art ist, wie eine linke Regierung handeln sollte. Und es fällt auf, dass es die feministische Bewegung ist, nicht eine andere soziale Bewegung. Wir Feministinnen sind immer sehr kritisch und sagen offen, was uns gefällt und was nicht. Und dann kommt plötzlich die Rechnung. Wir hoffen, dass die FMLN auf uns hören wird, denn wir wollen kein zweites Nicaragua!
// Interview: Eva Bahl