El Salvador | Nummer 392 - Februar 2007

Kein friedliches Vertragen trotz Friedensverträgen

Fünfzehn Jahre nach dem offiziellen Kriegsende bestehen in El Salvador

Am 16. Januar 1992 unterzeichneten VertreterInnen der Guerrillabewegung Befreiungsfront Farabundo Martí (FMLN) und der damaligen salvadorianischen Regierung in Chapultepec, Mexiko, ein Friedensabkommen. Nach mehr als elf Jahren gewalttätiger Auseinandersetzungen beendete das Abkommen offiziell den Bürgerkrieg in El Salvador. Am fünfzehnten Jahrestag der Friedensverträge gehen die Interpretatio­nen auseinander, inwieweit die Bestimmungen bis heute erfolgreich umgesetzt wurden. Trotz gegenteiliger Verkündigungen der rechten Regierung, scheint El Salvador weit von einer demokratischen Gesellschaft entfernt.

César Sención Villalona, Helen Rupp

Da standen sie frühmorgens mit erhobener rechter Faust, um die Hymne der rechten ARENA-Partei zu singen: der “Friedens­präsident”, der “Wiederaufbau-
Präsident” und der “Soziale-Taten-Präsident“, mit bürgerlichen Namen Alfredo Christiani, Armando Calderón Sol und Elías Antonio Saca. Anlass für die morgendliche Feierstunde der zwei Ex-Präsidenten, des aktuellen Amtsinhabers sowie zahlreichen weiteren ARENA-FunktionärInnen und einfachem Parteivolk war ein Jubiläum. Denn am 16. Januar 2007 jährte sich zum fünfzehnten Mal jener Tag, an dem die gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen rechter Regierung und linker Guerrillabewegung mit der Unterzeichnung der Abkommen von Chapultepec offiziell beendet wurden.
Mit den Friedensverträgen von 1992 sollte die von der US-Regierung und nordamerikanischen Konzernen unterstützte Militärdiktatur zur Demokratie umgebaut werden. Die salvadorianischen Streitkräfte wurden auf weniger als die Hälfte der Truppenstärke reduziert und verloren einen Großteil ihrer verfassungsmäßig verankerten Funktionen, darunter die Aufgabe, die öffentliche Ordnung zu garantieren. Stattdessen wurde die Zivile Staatspolizei (PNC), die dem Innenministerium untersteht, gegründet. Ihr sollten vor allem ZivilistInnen aber auch demobilisierte Mitglieder der
Armee sowie der Guerrilla angehören.
Die fünf Elitebataillone der Streitkräfte, verantwortlich für Tausende von Morden, wurden abgeschafft, der Justizapparat und das Wahlsystem wurden reformiert, und nicht zuletzt wurde die Ombudsstelle für die Verteidigung der Menschenrechte geschaffen. In diesem Sinne waren die Friedensverträge der Ausgangspunkt für wichtige Schritte in Richtung Demokratisierung des Landes.

„Festival für den Frieden“
Die ARENA-Regierung beließ es dann auch nicht bei ihrem morgendlichen Akt zur Feier des Jahrestags der Abkommen. Zuerst organisiert das erst kürzlich ins
Leben gerufene Sicherheitsministerium einen großen Festakt im Stadion „Jorge Mágico González“. Dieses „Festival für den Frieden“ stelle dabei gleichzeitig den öffentlichen Auftakt für den neuen Plan zur Bekämpfung der Kriminalität des Ministeriums dar, so ein Sprecher des Sicherheitsministers.
Der salvadorianische Präsident Tony Saca nutzte die Massenveranstaltung, um symbolisch 2007 als das „Jahr des Friedens“ einzuläuten. In seiner Ansprache wandte er sich an die SalvadorianerInnen mit der Botschaft sozialer Friede sei wichtig, „um Arbeitsplätze zu schaffen und damit wir in Freiheit leben.“ Dies sei der Friede, an den er glaube.
Bei Salvador Sánchez Cerén, Fraktionschef der linken Oppositionspartei FMLN und einer der Unterzeichner der damaligen Friedensverträge, wecken die Äußerungen des Präsidenten Zweifel. In seinen ersten Regierungsjahren habe Saca diesen bedeutungsvollen Tag schlicht übergangen und noch 2006 habe die Regierung keinerlei Bezug auf dieses historische Datum genommen. Während Saca in seiner Festrede verkündete, die Vereinten Nationen hätten am 6. Januar 2003 die
Erfüllung der Verträge festgestellt, konstatiert Sánchez Cerén zahlreiche Bestimmungen würden bis heute nicht eingehalten. Darin sieht er ein entscheidendes Hindernis auf dem Weg zu einer friedlichen und demokratischen Gesellschaft.
So missachtete die Regierung die Empfehlungen der Wahrheitskommission, als sie eine Amnestie für Hunderte Kriminelle erließ, die Armee und ARENA-Partei nahestehen. Beide Institutionen wurden von jener Wahrheitskommission als Verantwortliche für zahlreiche Ermordungen ausgemacht. Das Forum für wirtschaftliche und soziale Zusammenarbeit (Foro de Concertación Económica y Social), dem sich große Unternehmen entgegengestellt hatten, überließ die Regierung dem Scheitern. Reintegrationsmaßnahmen, insbesondere für Kriegsversehrte, deren Renten nicht einmal die Hälfte des Mindesteinkommens erreichen blieben gleichsam auf der Strecke. In Sachen Grundbesitz hielt die Regierung ebenfalls still: Weder die in der Verfassung vorgesehene Enteignung von Grundeigentum über 245 Hektar wurde vorangetrieben noch das Grundeigentum Tausender ehemaliger KriegsteilnehmerInnen und LandbewohnerInnen legalisiert.

Die Situation heute
Der Reichtum hat sich stärker konzentriert. Laut UNO sind 47.5 Prozent der Bevölkerung von
Armut betroffen, die Kriminalitätsrate nimmt stetig zu und die PNC erweist sich als immer repressiver und korrupter.
Das Image der Regierung bröckelt, vor allem durch einen Preisanstieg im Dienstleistungssektor und durch die steigende Arbeitslosigkeit und die zunehmende Kriminalität. Da die Regierung starke soziale Proteste fürchtet, reagiert sie mit der Ein­schüch­terung der Bevölkerung zur Unterdrückung von Protesten. Zudem wurden in den letzten Monaten militante AnhängerInnen der FMLN und sozialer Organisationen ermordet; wobei die Tat­hergänge den durch die Todesschwadronen verübten Morde ähneln, jedoch als gewöhnliche Verbrechen dargestellt werden. Außerdem wurde ein “Anti-Terror-Gesetz” verabschiedet, das jede Aktion, die den Verkehr auf den wichtigsten Verkehrswegen des Staatsgebietes beeinträchtigt, als Verbrechen einstuft. Dadurch soll die Bevölkerung zur Ablehnung sozialer Proteste bewegt werden. Dies erklärt auch die Vorkommnisse des 5. Juli letzten Jahres, bei denen die Polizei einen gewaltsamen Zusammenstoß mit StudentInnen provozierte, die einige wirtschaftliche Maßnahmen ablehnten. Bei der Konfrontation kamen zwei Polizisten ums Leben, wofür die Regierung die StudentInnen verantwortlich machte; es ist aber genauso gut möglich, dass die Polizei selbst für die Todesfälle verantwortlich ist.
Im Jahr 2009 finden Wahlen statt, die das politische System des Landes, so wie es nach Kriegsende geschaffen wurde, auf eine harte Probe stellen werden. Und die ARENA-Partei scheint sich mit ihrem Spektakel zum Jahrestag der Friedensverträge schon auf diesen Wahlkampf einzustimmen. Die morgendliche Feierstunde fand dann auch auf dem erst kürzlich eingeweihten Platz statt, der zu Ehren ihres Parteigründers Roberto D‘Aubuisson heißt. Damit wurde zynischerweise im Rahmen des fünfzehnjährigen Jubiläums der Friedensverträge einer der schlimm­sten Kriegsverbrecher geehrt. Denn D‘Aubuisson organisierte während des Bürgerkrieges die Todesschwadrone.

Übersetzung:
Katharina Wieland

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