Nicaragua | Nummer 198 - Dezember 1990

FSLN: Ein nationales poli­tisches Program

Guillermo Corrés Dominguez in Barricada vom 3.11.1990

Was für ein Programm wird die FSLN der Bevölkerung anbieten? Die Politik wird immer komplizierter, besonders aus der revolutio­nären Perspektive. In gewisser Weise war die Sache vor dem Zusam­menbruch des in Osteuropa entwickelten Sozialismus-Modells einfa­cher. Man mußte nicht so viele Wege und Möglichkeiten in Betracht ziehen, nicht einmal für eine so ausgesprochen ernste Sache wie die Ausarbeitung eines revolutionären Programms.
Ich möchte weder ein abgeschlossenes noch ein düsteres Bild zeich­nen, aber ich will mich auf fast unüberwindliche Faktoren bezie­hen, die das revolutionäre Angebot an die Bevölkerung eingrenzen, die den Vorschlag einschränken, den eine für die Interessen der Bevölkerung hochsensible Partei dieser machen kann, um zum Bei­spiel 1996 die Stimmen dieser Bevölkerung zu erhalten.
Es scheint, daß; eine Regierung – ob von links oder nicht – zumin­dest in Lateinamerika und anderen unterentwickleten Regionen nicht viel unternehmen kann, um die Gesellschaft zum Wohle der Besitzlo­sen umzuformen. Außerdem gibt es niemanden außerhalb, der eine Revolution unterhält.
Ein Parteiprogramm kann, wie es meist der Fall ist, eine Sammlung von nicht zu erfüllenden Versprechen sein, ein Betrug. Die Geschichte ist voll von solchen Stimmfang-Programmen. Aber ein revolutionäres Programm darf nicht demagogisch sein. Die stärkste Partei des politischen Lebens in Nicaragua, die FSLN, die 40% der Sympathien der WählerInnen auf sich gezogen hat, muß ein Programm anbieten, das die Bevölkerung auf der Basis der Realität, der objektiven Möglichkeiten einer gesellschaftlichen Transformation begeistert. Deshalb muß die Ausarbeitung eines neuen politischen Programms der FSLN das internationale System beachten, in das Nicaragua eingebettet ist, und das jeden Versuch konditioniert, aus Rückstand und Unterentwicklung herauszukommen.
Die Alphabetisierungs- und Erwachsenenbildungsprogramme, die Pro­gramme zur Schaffung von angemessenen hygienisch-sanitären Bedin­gungen, von Präventiv-Medizin und Krankheitsheilung erfordern auch die materiellen Vorbedingungen und nicht nur den politischen Wil­len und die massive, bewußte und disziplinierte Beteiligung der Bevölkerung. Mehr und besser zu produzieren, erfordert nicht nur die richtige Definition der Arbeitsbereiche und die Ausbildung der Fachkräfte, sondern auch Technologie und Geld. Man kann nicht die Gesellschaft transformieren, indem man für 400 Millionen Dollar produziert und für 900 Millionen konsumiert.
Ich habe gehört, wie von Japan, dem rückständigen und zerstörten Japan die Rede war, das sich in eine Weltmacht verwandelt hat. Hoffentlich können wir – hieß es – das gleiche tun oder zumindest die Ebene der Unterentwicklung verlassen. Es ist gut, Beispiele zu zitieren, aber die bittere Wirklichkeit besteht aus einer Reihe von Bedingungen, die uns fast zu einer ewigen Verschuldung verdam­men.
Angesichts der vorgegebenen Grenzen muß ein Programm entwickelt werden, das alle Sektoren anzieht, eine nationale Plattform, die alle Kräfte vereint. Es gibt Platz für alle. Es gibt in Nicaragua noch Aufgaben zu bewältigen, die in anderen Gesellschaften im ver­gangenen Jahrhundert erledigt wurden, z.B. die Abschaffung des Latifundismus. ArbeiterInnen, BäuerInnen, HandwerkerInnen, Händle­rInnen, Kleinindustrielle, UnternehmerInnen aus Stadt und Land, alle, ohne Ausnahme, haben die Verantwortung, im nationalen Inter­esse zu handeln angesichts der Dringlichkeit, die Nation aus die­ser dummen Situation zu retten, die uns alle betrifft.
Die FSLN muß ein nationales Programm ausarbeiten und nicht nur eines für das Kleinbürgertum oder die arme Bauernschaft und inner­halb des nationalen Interesses muß es die am stärksten benachtei­ligten besonders fördern.
Und zu welchem ökonomisch-sozialen Modell wird dieses Programm führen? Kapitalismus? Irgendein Typ von Sozialismus? Das erstge­nannte System zeigt nach wie vor seine Unfähigkeit, auch nur die elementaren Probleme der Menschheit zu lösen. Das letztere ist in seiner europäischen Version zusammengebrochen.
Diese Etappe der nicaraguanischen Gesellschaft wie der ganzen Region läßt gemeinsame Anstrengungen von Sektoren der verschie­denen ideologischen Richtungen zu. Das nationale Interesse, unter kreativer Ausnutzung des Marktes und des Staates, kann – zusammen mit tatsächlicher sozialer Gerechtigkeit – eine Sofortantwort auf dem Weg zur Ausarbeitung einer wahrhaft revolutionären Alternative sein.
Ich erinnere mich an Nikolaus Bucharin, dessen Idee der Ausnutzung des Marktes für den Aufbau des Sozialimus ihm unmittelbar die Erschießung durch Don Josef Stalin eingebracht hat.
Innerhalb der FSLN ist Transparenz im Umgang mit dem Parteivermö­gen, um eine Konfusion mit privaten Individualinteressen zu ver­meiden, genauso dringend wie die Ausarbeitung eines politischen Programms, das die Mehrheit der Bevölkerung davon überzeugt, daß es keine Alternative gibt, als die FSLN erneut an die Regierung zu bringen.


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