Brasilien | Nummer 473 - November 2013

Gelber Kuchen, gelbe Kekse

Lateinamerikas einzige Uranmine sorgt für Angst in der Bevölkerung

Lateinamerikas einzig in Betrieb befindliche Uranmine liegt im brasilianischen Nordosten, im Bundesstaat Bahia. In Caetité werden jährlich 400 Tonnen Urankonzentrat gewonnen und zu Gelbkuchen weiterverarbeitet, der in Kanada und Europa weiter verarbeitet wird und wieder zurück nach Brasilien gelangt, um dort in Brennstäben in den Atomkraftwerken von Angra eingesetzt zu werden. Die Anwohner_innen der Uranmine wurden von den Behörden nie informiert oder befragt. Nun berichten sie über das Leben mit der Uranmine von nebenan.

Thomas Bauer

Eingebettet im semiariden Hinterland des Bundestaates Bahia, im Nordosten Brasilien, liegt in der von der langanhaltenden Trockenzeit stark gekennzeichneten hügeligen Landschaft das kleine Bauerndorf Riacho da Vaca. Den seit Jahrzehnten hier ansässigen Familien von Kleinbäuerinnen und -bauern fehlte bis vor wenigen Jahren nichts. „Hier lebten und ernährten wir uns vom Ertrag unserer Ernten, auf dem Wochenmarkt mussten wir fast nichts einkaufen“, erzählt Elenilde Cardoso. „Wir pflanzten Reis, Bohnen, hielten uns Schweine, Hühner und einige Rinder. Heute aber haben wir fast keine Tiere und Erträge mehr auf unseren Feldern”, sagt sie. Sie selbst lebt seit ihrer Geburt hier im Dorf.
Diese idyllische Lage der Familien hat sich vor ein paar Jahren schlagartig verändert. Seit dem Jahr 2000, nach mehreren Jahren von Testbohrungen und geologischen Studien, gab Brasília grünes Licht – und die staatliche Atomfirma INB begann mit dem Uranabbau in Caetité. Laut offiziellen Angaben des Bundesministeriums für Wissenschaft und Technologie befinden sich hier Reserven von 100.000 Tonnen Uran (siehe LN 411/412, 451, 459/460). Heute werden über den Tagebau jährlich 400 Tonnen von Urankonzentrat gewonnen und zu yellow cake, Gelbkuchen also, weiterverarbeitet. Die Ziele der INB liegen hoch, in den nächsten Jahren soll der Abbau verdoppelt werden – zum Leidwesen der Anrainer.
Die Informationen über den Abbau und seine Folgen dringen nur spärlich bis zur Bevölkerung durch. 14 ländliche Gemeinden der Bezirke Caetité und Lagoa Real sind direkt betroffen, im weiteren Umfeld an die 30.000 Familien. Die INB versprach den Familien Arbeitsplätze. Doch heute, nach über zehn Jahren, sieht die Realität ganz anders aus. „Der Bergbau hat den Dorfbewohnern keine neuen Arbeitsplätze eingebracht, vielleicht aber der Stadtbevölkerung“, berichtet Elenilde Cardoso. Einige aus der Stadt hätten dort Arbeit gefunden, aber der Großteil der Minenarbeiter _innen kommt von auswärts. „Wenn wir das Minenunternehmen darauf ansprechen, sagen sie uns nur, dass es in unserem Dorf keine qualifizierten Fachkräfte gibt.”
Anfangs hatte die INB in den lokalen Schulen und Universitäten große Werbekampagnen organisiert. Es wurden Bildungsveranstaltungen unter dem Motto „Yellow Peace“ abgehalten, wo über die Notwendigkeit des Uranabbaus gesprochen wurde. Die Probleme und Risiken jedoch, das wurde vergessen, darüber zu informieren. Auf diesen Veranstaltungen wurden von den Verantwortlichen gelbe Kekse verteilt sowie einige Setzlinge zur Wiederaufforstung.
Trotz dieser Propaganda hat sich unter der Bevölkerung rasch eine massive Widerstandsbewegung aufgebaut. Florisvaldo Cardoso, Bauer aus dem direkt betroffenen Dorf Gameleira und selbst aktives Mitglied der Widerstandsbewegung, beschreibt die dramatische Situation: „Unsere Hausmauern sind durchzogen von Rissen. Wir sind der gesamten Verschmutzung ausgesetzt“, sagt er. Täglich werde in der Mine gesprengt, der Wind treibe den dichten Rauch und Staub direkt zu ihren Häusern. „Das Haus meines Nachbarn sehe ich dann nicht mehr, es verschwindet im Staub.” Und der Staub ist radioaktiv. Durch die täglichen Sprengungen in der Mine, angesetzt immer zur Mittagszeit, sind die Anrainer_innen einer starken Belastung des krebserzeugenden Radongases ausgesetzt.
Die Radonbelastung ist aber nicht die einzige Gefahr. Seit der Öffnung der Mine kam es mehrmals zu schweren Unfällen. Das Überlaufen der Schutzdämme in der Regenzeit, verseucht mit zurückgebliebenen Abwässern und Schlämmen, bereitet der Bevölkerung große Sorgen. Vor einigen Jahren gelangten auf diesem Weg große Mengen von Uran, Thorium und Radium in das Bachbett der Gemeinde Riacho da Vaca. Diese Unfälle wurden von der INB verschwiegen. Das ganze Minenabbaugebiet ist eingezäunt und wurde zum Sperrgebiet erklärt. So fällt es den Anwohner_innen schwer, den Verantwortlichen etwas nachzuweisen. In diesem konkreten Fall allerdings gelang es auf Druck der Öffentlichkeit, die Mine für mehrere Monate wegen Vernachlässigung der Sicherheitsvorkehrungen von den zuständigen Behörden zu schließen. Ein kurzfristiger Erfolg – bis die Behörden sie wieder öffneten.
Studien von Greenpeace sowie des im Bundesland Bahia zuständigen Institutes für Management von Wasserressourcen und Klima haben eine hohe Kontaminierung des Wassers festgestellt. In verschiedenen kleinen Stauseen, die der lokalen Bevölkerung dienen, wurden Überschreitungen der zulässigen Werte festgestellt – bis zum 47-fachen des erlaubten Grenzwertes. Auch viele der angrenzenden Brunnen sind bereits verseucht. Nach mehreren Anzeigen der Widerstandsbewegung bei den verantwortlichen Behörden hat dies dazu geführt, dass mehrere Brunnen versiegelt wurden. Dann hatten die Anwohner_innen kein Wasser mehr – und dies in einer semi-ariden Gegend wie dieser. „Die meisten der versiegelten Brunnen wurden bereits wieder geöffnet, denn wir sind abhängig von diesem Wasser“, berichtet Elenilde Cardoso. Die Bezirksverwaltung und die INB wollten keinerlei Verantwortung dafür übernehmen, blieben tatenlos. „Der zuständige Bezirksbeamte hat uns aber dazu ermutigt, die Brunnen wieder zu verwenden und uns versprochen, die Stromkosten der Pumpe zu übernehmen. Heute verwenden wir dieses Wasser, denn wir haben keine anderes”.
Ohne die notwendigen Möglichkeiten für die Selbstversorgung wird es für viele der Bauernfamilien immer schwieriger, ihr Überleben zu gestalten. Viele von ihnen sind heute abhängig von sozialen Programmen wie Bolsa Família (siehe LN 456) oder der Rente. Diejenigen Familien, die keinen Anspruch auf diese Unterstützung haben, sind von der Nachbarschaftshilfe abhängig. Das Überleben ist sehr schwierig. In einigen wenigen Dörfern gibt es noch bäuerliche Familien, die für ihren Eigenverbrauch und Verkauf produzieren. Wenn sie allerdings auf dem lokalen Wochenmarkt etwas von ihrer Produktion zu verkaufen versuchen, dann zeigt sich: Viele der Kund_innen wollen das Obst und Gemüse nicht. Es ist die Angst vor der radioaktiven Verstrahlung. „Die Leute wollen unsere Produkte nicht, kaufen sie nur, wenn es gar keine anderen gibt. Uran – das ist ein total giftiges Ding und die Radioaktivität ist hoch. Vor dem haben die Leute Angst”, schildert Florisvaldo Cardoso.
Die Perspektive der Familien sind schlecht. Nun plant die INB auch noch eine Ausweitung des Tagebaus. Die Mitarbeiter_innen der INB besuchen die Familien in ihren Häusern und versuchen, sie zum Verkauf ihrer Grundstücke zu überreden. Diejenigen, die nicht einlenken, werden vielfach unter Druck gesetzt. Laut den Mitarbeiter_innen der INB sei es besser, ein wenig zu bekommen als zwangsumgesiedelt zu werden. „Mein Traum war es, wie meine Mutter, meine Großeltern, die hier zur Welt gekommen, aufgewachsen und im hohen Alter verstorben sind, bis an mein Lebensende hier zu bleiben“, erläutert Florisvaldo Cardoso. Heutzutage aber habe sich hier alles verändert. „Ich möchte nicht, aber ich muss voraussichtlich mein Grundstück wegen der Vergrößerung des Abbaugebietes verlassen.”
Zurück im Dorf Riacho da Vaca. In dem neu aufgebauten Haus, wo Elenilde mit ihrem Ehemann und der vor kurzem geborenen Tochter lebt. Was sind ihre Zukunftspläne? Die Antwort ist ernüchternd: „Ich möchte nicht an die Zukunft denken. Früher habe ich noch darüber nachgedacht, aber jetzt habe ich Angst davor“, erläutert sie. „Wenn man so viele Probleme sieht, Kinder, die mit Anomalien auf die Welt kommen, oder die Tiere, die ohne Pfoten oder mit zwei Schädeln auf die Welt kommen, dann bereitet einem das große Angst, um über die Zukunft nachzudenken.“ Was kann noch alles passieren? Das Auslaufen der giftigen Substanzen hier komme andauernd vor, die Luft und das Wasser würden immer mehr verschmutzt. Die Probleme würden noch mehr zunehmen, sagt sie. Erst kürzlich habe sie zwei Cousinen verloren. Eine sei an Leukämie, die andere wegen eines Nierenkrebs verstorben. „Ob es einen direkten Zusammenhang mit dem Uranabbau gibt, das wissen wir nicht, aber wir haben Angst davor, über die Zukunft nachzudenken.”
Trotz dieser düsteren Perspektive wird die Widerstandsbewegung nicht so einfach aufgeben. Es gibt noch viele unbeantwortete Fragen, die die INB und die Bundesregierung in Brasília noch beantworten müssen. Denn auf den gesetzlich vorgeschriebenen, öffentlichen Anhörungen haben sie Fragen gestellt, rund um die konkreten Probleme. Sie wollen Antworten. Und die neben der Uranmine lebenden Familien versuchen weiterhin, mit Hilfe der Pfarrei und verschiedenen sie unterstützenden Nichtregierungsorganisationen, Lösungen zu finden und ihre Rechte einzufordern. Denn ohne Unterstützung können sie den Kampf gegen die Uranmine von nebenan nicht gewinnen.

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