GROSSE TATEN BLEIBEN
Nachruf auf Doktor Alfredo Bauer
Es schmerzt uns, dass am frühen Sonntagmorgen des 22. Mai 2016 der Arzt, Aktivist und Schriftsteller Alfredo Bauer (*14.11.1924) im Alter von 91 Jahren verstarb. Eine der tiefstberührenden Geschichten der argentinischen Linken bleibt: Das Leben Alfredo Bauers. Es verdient eigentlich mehrere Biographien und unzählige Hommagen. Sein Beitrag zu unserer argentinischen Kultur auch über die Grenzen des Landes hinaus war von weit größerer Wirkung, als in diesen wenigen Absätzen darstellbar. Mit 14 Jahren kam Alfredo 1939 mit seinen Eltern aus Wien nach Buenos Aires. Wie hunderte andere jüdische Familien flohen sie vor dem Nationalsozialismus, ohne zu ahnen, sich vor den schrecklichsten Verbrechen des 20. Jahrhunderts gerettet zu haben. Als Schüler der Pestalozzi-Schule wurde er von dem viel geschätzten emigrierten deutschen Sozialdemokraten und früherem Reichstagsabgeordneten August Siemsen unterrichtet. Hier erwachte Bauers politisches Bewusstsein. Die Pestalozzi-Schule war schließlich eine der wenigen deutschsprachigen Schulen Argentiniens, die sich stark gegen den Nationalsozialismus positionierte. Später studierte Bauer Medizin in Buenos Aires und wurde zu einem herausragenden Gynäkologen und Geburtshelfer. Als ich die Gelegenheit zu einem Interview hatte, erzählte er voller Stolz, er habe im Laufe seiner Karriere 5.000 Babys „zur Welt gebracht“. Dies allein genügte ihm nicht. Don Alfredo kämpfte unermüdlich für eine Welt, in der diese Babys es besser haben sollten, in der Menschen verschiedener Herkunft friedlich und gleichberechtigt miteinander leben sollten.
Schon in jungen Jahren wurde Alfredo Mitglied der Kommunistischen Partei, während des Kalten Kriegs sollte er zum argentinischen Sprecher für die Entwicklung der Deutschen Demokratischen Republik werden. Während des zweiten Weltkriegs hatte ihn sein Lehrer Adolf Walter Freund (1899-1983) dazu aufgefordert, für die Zeitung Volksblatt zu schreiben und sich der antifaschistischen Exilorganisation Austria Libre („Freies Österreich“) sowie dem legendären, als Wiege des argentinischen Sozialismus geltenden Verein Vorwärts anzuschließen. Im Laufe seines Lebens war Bauer in vielen weiteren kulturellen und sozialen Organisationen aktiv. Außerdem veröffentlichte er zahlreiche Artikel in der deutschen Zeitung Argentinisches Tageblatt, in der Zeitschrift Tiempo und in der Wochenzeitung Propósitos y Nueva Era. Seine fast vierzig Bücher und Übersetzungen stehen für seinen unermüdlichen Einsatz und sein breites Wissen, über Marxismus, Religion, Psychologie, Mutterschaft und Sexualität. Sein Lebenswerk galt aber dem deutschen Humanismus. Er bemühte sich unablässig, diese Geisteshaltung vor der nationalsozialistischen Barbarei zu retten. Bauer schrieb sowohl auf Spanisch als auch auf Deutsch. Besonders Stolz war er auf seine Übersetzung des argentinischen Nationalepos Martín Fierro. Erwähnt werden sollten außerdem jene fünf seiner Romane, die von den Schriften seines Urgroßvaters inspiriert waren. Sie berichteten über die Ereignisse der europäischen Revolutionen von 1848. Eine Tante Alfredos hatte diesen Schatz noch vor ihrer Deportation zu verstecken vermocht. Sie überlebte den Genozid und übergab die Schriftstücke später ihrem Neffen.
Alfredo Bauer wurde sowohl in Argentinien als auch in Berlin und Wien ausgezeichnet und als einer der bemerkenswertesten Exilschriftsteller des Nationalsozialismus anerkannt. In jedem einzelnen seiner Werke schimmert die unerschütterliche Berufung durch, sich mit der conditio humana, dem universellen Sein und der Emanzipation des Menschen auseinanderzusetzen. Als österreichischer Argentinier, Kommunist und Arzt hat uns Alfredo Folgendes mitgegeben: „Das authentische einer Nation und das Universelle müssen eine Symbiose bilden, um diesen Weg stets aufwärtsgewandt zu beschreiten, im Sinne der gesamten Menschheit.“
Lieber Weggefährte Alfredo Bauer, noch sind wir nicht am Ziel, aber wir laufen weiter. Danke, dass du uns so viel Weisheit geschenkt und so viel Hoffnung gegeben hast, um den Weg zu erhellen.