Guerilla statt Woodstock
„Die Guerilleros sind müde“ von Bruno Barreto
Wenn er dazu eingeteilt ist, den gekidnappten US-Botschafter Elbrick zu bewachen, versucht Fernando, in seinem radebrechenden Englisch über Politik zu diskutieren. Die beiden Männer scheinen sich nicht unsympathisch zu sein. Währenddessen sitzt die junge Guerillera René in der Küche und blättert verträumt in einer Illustrierten mit Fotos von Woodstock. Kleine Fluchten, Momente innerer Widersprüchlichkeit in einer Ausnahmesituation. Rio de Janeiro im September 1969: Die Guerilleros von der MR-8 („Revolutionäre Bewegung des 8. Oktober“) halten den US-amerikanischen Botschafter Charles Burke Elbrick in einer konspirativ angemieteten Villa gefangen. Ihre Forderung an die regierende Militärjunta ist die Freilassung von fünfzehn politischen Gefangenen und die Verlesung ihres Manifestes in Radio und Fernsehen.
Wie schafft man es, über ein so kontroverses Thema wie die historische Entführung eines US-Botschafters durch linke Guerilleros einen erklärtermaßen „ausgewogenen“ Film zu drehen? Und das noch dazu auf der Grundlage eines Bestsellers, der von einem der Entführer selbst geschrieben wurde? Der Brasilianer Bruno Barreto, der seit Anfang der Neunziger Jahre in den USA lebt und dort mehrere Filme realisiert hat, ist bisher eher durch opulente Literaturverfilmungen von Jorge Amado wie „Dona Flor und ihre beiden Ehemänner“ oder „Gabriela“ bekannt geworden. Zehn Jahre lang bemühte Barreto sich, das 1979 erschiene Buch „O que é isso, companheiro?“ von Fernando Gabeira zu einem Filmdrehbuch umzuarbeiten. Gabeira, der den Film auf der Berlinale mitpräsentierte, gab Barreto dabei freie Hand. So sind bis auf die Figur des Fernando die Charaktere der meisten Guerilleros fiktiv oder vereinigen in sich Merkmale verschiedener tatsächlich existierender Personen.
Hardcore-Kämpfer und Mittelklasse-Kids
Fernando, René und einige der anderen Guerilleros wirken wie Kinder aus behütetem Elternhaus, die mit leidenschaftlichem Ernst, aber teilweise gefährlichem Dilettantismus versuchen, sich der militärischen Disziplin und der klandestinen Existenz einer Guerillaorganisation anzupassen. Ihre Motive, in den Untergrund zu gehen, die Schlüsselfrage, wann für wen der Punkt erreicht ist, wo er oder sie sich für den bewaffneten Widerstand entscheidet – das alles kommt in dem Film etwas zu kurz, bleibt merkwürdig amorph.
Als sich zu Beginn des Films der junge Journalist Fernando (Pedro Cardoso) gemeinsam mit seinem Freund Cézar, einem ehemaligen Theologiestudenten, der Guerillaorgansiation anschließt, wird schnell klar, daß beide sich nicht gerade für militärische Operationen eignen. Auch kommen Fernando ziemlich bald Zweifel am Sinn der Banküberfälle und anderer punktueller Aktionen, bei denen unter anderem Cézar der Polizei in die Hände fällt. Um ihn und andere Gefangene freizubekommen und die internationale Öffentlichkeit aufmerksam zu machen, schlägt Fernando einen gewagten Coup vor: die Entführung des US-amerikanischen Botschafters. Die nationale Guerillaführung stimmt der Aktion zu, entsendet jedoch zwei erfahrene Kader nach Rio, um die Guerillazelle und ihre Anführerin Maria (Fernanda Torres) zu unterstützen. Eine problematische Konstellation, denn der Spanien-Veteran Toledo und Jonas, ein Hardcore-Kämpfer, der „diese Mittelklassekinder einfach haßt“, verkörpern militärische Disziplin und die rückhaltlose Bereitschaft, das Vorhaben mit allen Konsequenzen durchzuführen. Entsprechend entwickeln sich die vier Tage, in denen sich die Guerilleros mit dem Entführten versteckt halten, zu einem Nervenkrieg nach innen und außen. Auch für Maria, die anfangs äußerst straight und unnahbar wirkende Anführerin der Guerillazelle, denn auf einmal trifft sie auf Kader, die noch härter agieren als sie. Und das in einer Situation, wo sie plötzlich mit eigenen Ängsten und Widersprüchen konfrontiert ist.
Zwar konzentriert sich der Film im ersten Teil auf die Perspektive der Guerilleros. Parallel werden jedoch bereits zwei weitere Akteure eingeführt: Botschafter Charles Elbrick sowie ein Geheimpolizist, der später auf die Entführer angesetzt werden wird. Beide zeigt Barreto bewußt in beruflichen und privaten Situationen. So erscheint der Geheimpolizist als typischer Befehlsempfänger, nicht grundsätzlich unsympathisch, aber beklemmend in der routinierten Abgebrühtheit, mit der er, nachdem er politische Gefangene gefoltert hat, nach Hause geht und sich zu seiner Frau ins Bett legt. Erst als sie Verdacht schöpft und ihn direkt fragt, ob auch er bei seiner Arbeit „diese Kinder foltern“ würde, zeigen sich bei ihm Risse in der Fassade.
Die private Seite des Politischen
Durchgängig sympathisch wird dagegen der US-Botschafter Charles Burke Elbrick dargestellt: kein kalter Krieger, sondern jemand, der in der Lage ist, einfühlsam zu beobachten und zuzuhören. Die politischen Diskussionen, die Elbrick und Fernando führen, dienen Barreto jedoch primär dazu, die psychologische Dynamik herauszuarbeiten. Barreto, der sich vehement vom klassischen Polit-Thriller à la Constantin Costa-Gavras („Missing“) distanziert, geht es um die menschlichen Dramen, die die Situation produziert. „Die Guerilleros sind müde“ ist so zu einer subtilen und einfühlsamen Studie zum Täter-Opfer-Verhältnis in Entführungssituationen geworden. Auch wenn die Entführer aus Sicherheitsgründen immer ihr Gesicht vermummen, sitzen sich in der kleinen Kammer, wo Elbrick gefangengehalten wird, auf einmal nicht mehr abstrakte Positionen, sondern Individuen gegenüber.
Positiv ist auf jeden Fall, daß Barreto auf gängige Klischees und Schwarz-Weiß-Malerei verzichtet und versucht, sich allen handelnden Personen mit der gleichen Offenheit zu nähern. „Die Guerilleros sind müde“ hat Momente von großer psychologischer Dichte und Intensität. Der Film interessiert sich dagegen kaum für den politischen Hintergrund der Entführung, was auf eine andere Art zur Verengung des Blickwinkels führt: Die Militärdiktatur und die Rolle der US-Außenpolitik – also auch die konkreten gesellschaftlichen Funktionen und Verantwortlichkeiten von jemandem wie Elbrick, der als Privatperson recht tolerant und zugänglich wirkt – das alles bleibt schemenhaft und vage. Barreto stellt demonstrativ nicht die politische Seite des Privaten, sondern die private Seite des Politischen in den Vordergrund. Aber ist es sinnvoll, diese beiden Perspektiven gegeneinander auszuspielen?
„O que é isso, companheiro?“, Regie: Bruno Barreto; Brasilien 1996, 105 Minuten.