Ecuador | Nummer 583 - Januar 2023 | Sport

GUTES BEISPIEL, SCHLECHTES BEISPIEL

Queerfeindlichkeit ist tief in Ecuadors Fußball-Fankultur verankert. Dabei kann das Gemeinschaftsgefühl der Fans auch Positives bewirken

Die Fußballweltmeisterschaft (WM) in Katar war in den vergangenen Monaten in aller Munde, hierzulande wurde hitzig diskutiert: Boykott oder Public Viewing? Im Gegensatz dazu war von einem symbolischen Boykott in den ecuadorianischen Medien kaum die Rede. Immerhin ist es schon ein Ereignis an sich, dass sich die Nationalmannschaft qualifiziert hat. Laut Informationen der ecuadorianischen Botschaft in Doha reisten mehr als 5.000 ecuadorianische Fans nach Katar, um die Nationalmannschaft zu unterstützen. Ein Kommentar.

Von Valeria Bajaña Bilbao

Zu Besuch bei den „Kämpfern“ Der Fußballverein Aucas ist ein Raum der ärmeren Menschen – aber vor allem der Männer (Foto: Luis Herrera R.)

Wenn man vergessen kann, unter welchen Umständen die jüngsten Spiele stattfanden, funktioniert der Sport als eine Art Ablenkung ohne tiefere politische Bedeutung. Doch selbst wenn man die zahllosen Menschrechtsverletzungen rund um die WM in Katar ignoriert, passieren in der Fangemeinde Dinge, die Bände über die politischen Realitäten im Fußball sprechen. Die homofeindlichen Gesänge ecuadorianischer Fans während des Eröffnungsspiels sind dafür das perfekte Beispiel. Deswegen leitete die FIFA, auch wenn es fast ironisch klingt, ein Disziplinarverfahren gegen den ecuadorianischen Fußballverband ein.

In einem der Videos, die im Netz kursieren, sieht man im Fanblock Ecuadors Hunderte gelb gekleideter Fans, die undeutlich einen Text grölen. Obwohl dieser in den meisten Aufnahmen in den lauten Stadiongeräuschen untergeht, erkennt man etwas von der letzten Strophe. Es bedarf keiner besonders ausgeprägten Vorstellungskraft, um die homofeindlichen Ausdrücke zu identifizieren – ich habe viele dieser Gesänge selbst miterlebt und erfahren, wie oft das Wort maricón als Beleidigung gegenüber schwulen Menschen benutzt wird. Die ecuadorianischen Fans bei der WM nutzten ihre homofeindlichen Gesänge, um alten Gegnern eins auszuwischen. Aber so etwas geschieht nicht nur bei wichtigen Turnieren. Ob im Stadion oder gar während eines „freundlichen“ Spiels unter Nachbarn, sind solche Beschimpfungen im Fußball kein Einzelfall.

In diesem Kontext spiegelt Fankultur gesellschaftliche Verhältnisse wider und verdeutlicht, warum Fußball eben doch politisch ist. Wenn Fans solche Ausdrucksformen benutzen, sagt dies viel über deren Haltung gegenüber queeren Menschen aus – und über die Diskriminierungspraktiken, die hinter diesen Beleidigungen stehen. In einem Land, das noch viel dafür tun muss, die Rechte der LGBTQAI+-Community zu gewährleisten, sollten solche Gesänge nicht einfach überhört werden. In vieler Hinsicht ist Fußball und Fankultur von einer cis-männlichen Dominanz geprägt. Auch wenn es in den vergangenen Jahren Fortschritte gegeben hat, werden queerfeindliche Ausdrucksformen weiterhin geduldet, verharmlost oder zumindest nicht kritisch hinterfragt.

In solchen Räumen wird durch derartige Ausdrucksformen festgelegt, wer dazugehört und wer ausgegrenzt wird. Als Frau habe ich mich nicht immer willkommen gefühlt in dieser Kultur der Hinchada (Fußballgemeinde); als junges Mädchen empfand ich sie als bedrohlich. Lauter Männer, die sich betrinken, während sie den Fernseher oder die Spieler auf dem Feld anbrüllen – was soll da schon schief gehen? Später war ich davon überzeugt, dass Fankultur, wie andere männerdominierte Räume, dazu dient, toxisches männliches Verhalten zu reproduzieren.

Doch wann immer die schlechten Beispiele drohen, alles Gute am Fußball zu überschatten, gibt es jemanden, der einen doch noch an das Gute in der Fankultur glauben lässt. Für mich ist das mein Vater, mit dem ich zwei der WM-Spiele Ecuadors per Skype angeschaut habe. Und auch wenn ich nicht glaube, dass mein Vater das Politische am Fußball sieht, liefert er mir ein gutes Beispiel für die positive Kraft der Fangemeinde.

Mein Vater ist schon Zeit seiner Jugend leidenschaftlicher Fußballfan. Besonders schwärmt er von einem Stadion im Süden seiner Heimat Quito, wo er als junger Mann mit brennender Leidenschaft seine Mannschaft Aucas anfeuerte. Im Süden der Stadt lebten in den 1970er-Jahren vor allem Arbeiter*innenfamilien, während die urbane Elite, die früher im Zentrum lebte, begann, in den nördlichen Teil der Stadt zu ziehen. Mein Vater erzählt im Zusammenhang mit seiner Liebe für den Aucas-Fußballverein auch von seinen Erfahrungen mit der Armutsdiskriminierung, die entlang dieser geographischen Aufteilung der Stadt verlief.

In seinen Anfangsjahren war Aucas eine kraftvolle Mannschaft und der Verein wirtschaftlich stark. Aber seit ich mich erinnern kann, war er ein Fußballverein des Südens der Stadt, ein Verein der einfachen Leute. Über die Jahre hinweg verschlechterte sich die Mannschaft und spielte oft in der dritten Liga. Im Jahr 2017 stieg Aucas zum ersten Mal wieder auf.

Seinen größten Erfolg feierte der Verein im Oktober 2022 mit seiner Qualifikation für die Copa Libertadores de America für 2023. Für die Stadtviertel Quitos, die von der Politik traditionell am wenigsten beachtet werden, fühlte es sich wie ein Wunder an. Der Sieg hat bis heute eine symbolische Kraft und sorgte, wenn auch nur begrenzt, für die Sichtbarkeit der Aucas-Fans.

Für meinen Vater und viele andere schafft der Verein einen Raum für Menschen, die sich dem Klassismus in der Gesellschaft entgegenstellen, indem sie ihrem Team den Rücken stärken. Sie besuchen das Stadion auch mit dem Gefühl der Zugehörigkeit, inmitten einer Gesellschaft, von der sie oft diskriminiert werden. Umso passender ist in diesem Kontext der Name des Vereins. Aucas kommt aus dem Kichwa und bedeutet „Kämpfer“.

Und wenn der Erfolg einer Fußballmannschaft die Kraft besitzt, dem Klassismus einer Gesellschaft den Kampf anzusagen, könnte aus diesem guten Beispiel nicht noch etwas Besseres erwachsen? Nämlich ein sicherer Raum, an dem alle, die sonst Diskriminierung erleben, dieses stärkende Gemeinschaftsgefühl genießen können.


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