Hand in Hand gegen rebellische Dörfer
Im Bundesstaat Guerrero häufen sich die Überfälle von Militärs und Drogenhändlern auf aufständische Gemeinden
Die BewohnerInnen der Gemeinde La Morena in der Sierra Petatlán im südostmexikanischen Bundesstaat Guerrero arbeiteten gerade auf dem Felde, als sich am 16. Februar der Überfall ereignete. Eine Militäreinheit des 19. Bataillons der mexikanischen Armee fiel über die BewohnerInnen her und eröffnete das Feuer. Angeführt wurden die Soldaten von Personen in Zivil, welche die Dorfbevölkerung als Paramilitärs identifizierte, die im Dienst des Lokalfürsten Rogaciano Alba Álvarez stehen. In einem dramatischen Anruf informierte der Ökobauer Javier Torres Cruz die nächst gelegenen Menschenrechtsorganisationen: „Mein Onkel Isaias Torres Quiróz wurde durch einen Durchschuss am Oberkörper schwer verletzt“, er sei dringend auf medizinische Hilfe angewiesen. Die DorfbewohnerInnen hatten auch das mexikanische Rote Kreuz um Hilfe angefragt, doch dieses verweigerte die Entsendung einer Ambulanz, da die Sicherheit in dieser Region nicht gewährleistet sei. Zudem hätten sich die Militärs in zwei nahe gelegenen Gemeinden stationiert, woher ebenfalls sporadisch Schüsse zu hören seien.
Weder Ort noch Zeitpunkt des Überfalls waren zufällig gewählt. Vielmehr handelte es sich um einen Racheakt. Denn eine Woche zuvor war Rogaciano Alba Álvarez, „El Roga“ genannt, in Guadalajara von der Bundespolizei verhaftet worden. Alba gilt seit längerem als einer der größeren Fische im Sumpf von Politik, Drogenhandel und anderen Geschäften. Seine kriminelle Karriere begann er mit Marihuana-Großhandel in den 70er Jahren. Als jahrelanger Bürgermeister von Petatlán im Dienste der Revolutionären Institutionellen Partei PRI nutzte er sein Amt in den 1990er Jahren für die massive Abholzung der Sierra im Auftrag einer US-Firma. Dies brachte die lokale Bevölkerung auf den Plan, sich gegen die Vernichtung ihrer Lebensgrundlage zu organisieren. So waren die als „Ecologistas de la Sierra de Petatlán“ bekannten Gemeinden denn auch die erklärten Feinde von „El Roga“. Über 30 Morde an widerständigen Bauern und Bäuerinnen sollen auf sein Konto gehen.
Als seit dem Amtsantritt von Präsident Felipe Calderón die Auseinandersetzungen zwischen den konkurrierenden Drogenmafias eskalierten, musste er im Mai 2008 untertauchen: Eine gegnerische Mörderbande hatte eine Sitzung der Viehzüchtervereinigung, deren Präsident Alba war, unter Beschuss genommen und tags darauf dessen Familie überfallen. Resultat: 17 Tote.
Seinen Einfluss in der Region bewahrte er als Statthalter des mächtigen Kartells von Sinaloa dennoch. Im Volksmund war bekannt, dass Rogaciano Alba weiter mit der lokalen Militärführung gute Geschäfte machte. Die Militärs überfallen die Gemeinden regelmäßig mit Hurra-Rufen auf „El Roga“ und in Begleitung von Mördern der Drogenmafia.
Ein zweiter Grund für den kürzlichen Überfall auf La Morena findet sich darin, dass sich die mutigen Dorfbewohner Javier Torres Cruz und dessen Onkel Isaias Torres Quiróz zu einer Aussage gegen Alba entschlossen hatten. Dieser soll demnach der Auftraggeber des Mordes an Digna Ochoa sein.
Digna, eine bekannte Menschenrechtsanwältin, wurde 2001 in ihrem Büro in Mexiko Stadt durch zwei Schüsse ermordet. Kurz zuvor hatte sie die Ökobauern und -bäuerinnen von Petatlán besucht und sich für deren Verteidigung engagiert. Der Fall wurde damals von den Behörden mit dem skandalösen Untersuchungsresultat ad acta gelegt, sie habe Selbstmord begangen (siehe LN 353). Erst die neuen Zeugenaussagen aus La Morena führten zu einer zögerlichen Wiederaufnahme der Untersuchungen.
Javier Torres Cruz war nach seiner Aussage gegen Alba bereits im Dezember 2008 von Militärs verhaftet und den Paramilitärs übergeben worden. Zehn Tage lang wurde er gefoltert und verhört, schaffte es aber schließlich auf abenteuerliche Weise, seinen Häschern zu entfliehen. Das Kollektiv gegen Folter und Straflosigkeit CCTI hatte die Entführung damals sofort öffentlich gemacht und die Folter dokumentiert. Seither fanden in La Morena mehrere Kurse statt, um die Bevölkerung im Umgang mit Repression und Folter möglichst gut zu wappnen. Die vom Interamerikanischen Gerichtshof für Menschenrechte geforderten Schutzmaßnahmen für Javier Torres Cruz wurden jedoch bis heute von den Behörden nicht umgesetzt.
In den frühen Morgenstunden nach dem Überfall im Februar hatte sich eine ad hoc gebildete Beobachtungsmission aus den Menschenrechtsorganisationen CCTI, Tadeco und der Coddehum auf den mehrstündigen Weg in die abgelegene Region der Sierra gemacht. Dort musste sie feststellen, dass die Militärs offenbar gezielt Jagd auf Javier Torres Cruz und dessen Angehörige gemacht hatten. Javier selbst konnte fliehen, doch Javiers Großvater Anselmo sowie Huber Vega Coria waren von den Militärs verhaftet und per Helikopter ausgeflogen worden. Aufenthaltsort und Gesundheitszustand der beiden sind weiterhin unbekannt.
Außerdem ist seit dem Überfall Alfonso Torres Cruz, ein weiterer Onkel von Javier, verschwunden. Laut Aussagen der DorfbewohnerInnen wurde dieser ebenfalls durch die Kugeln getroffen, konnte aber zunächst in die Berge entfliehen. Doch bereits am Tag darauf wurde Alfonso tot aufgefunden; die genauen Umstände seines Todes sind ungeklärt.
Um den Aufenthaltsort des untergetauchten Javier Torres Cruz zu erfahren, habe laut CCTI ein Soldat mit einem Funkgerät der Gemeinde mit Javier kommuniziert, „ihn bedroht und angeschrieen, dass sie hinter ihm her seien und seine Familie in ihrer Gewalt hätten“.
Die Menschenrechtsorganisationen fordern nun vom mexikanischen Staat, dass der Überfall auf La Morena strafrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen müsse. Zudem müssten „die vom Interamerikanischen Menschenrechtshof angeordneten Schutzmaßnahmen für die Familie Torres endlich umgesetzt werden.“
Notwendig wäre aber vor allem ein Ende der Kollaboration von politischen und wirtschaftlichen Interessen mit der organisierten Kriminalität. Sogar die mexikanischen Untersuchungsbehörden geben auf ihrer Homepage zu: „Die Stärke des organisierten Verbrechens wurzelt in der Erstellung von Allianzen und Verbindungen auf allen Ebenen, inklusive der politischen und der militärischen. Mit Hilfe von Korruption erreichen die Verbrecher ihre Straflosigkeit.“ Doch dagegen handeln mag die mexikanische Regierung kaum.
Einzelne, spektakulär inszenierte Verhaftungsaktionen wie diejenige von Rogaciano Alba dienen vielmehr der Simulierung von Handlungsentschlossenheit und sollen die Öffentlichkeit über die weit reichenden politisch-militärischen Verstrickungen mit dem Drogenhandel hinwegtäuschen. So ist es wenig verwunderlich, dass Rogaciano Alba erst mal „wegen fehlender Beweise“ nur in Untersuchungshaft sitzt. Von Untersuchungen bezüglich der Ermordung von Digna Ochoa und den Morden in Guerrero ist bisher gar nicht die Rede.
Der kürzliche Überfall auf La Morena zeigt vielmehr, dass die Zusammenarbeit von staatlichen Institutionen mit dem organisieren Verbrechen weiter an der Tagesordnung ist.
Kasten:
Präventivkrieg in Guerrero
Die zugespitzte Situation in Guerrero erklärt sich auch vor dem Hintergrund der verstärkten Aktivitäten der Guerilla Revolutionäre Armee des Aufständigen Volkes ERPI insbesondere in der bergigen Region der Sierra. Die Guerilla bedeutet für die lokalen Machtinteressen ein Hindernis. Die ERPI denunzierte explizit die Zusammenarbeit von Drogenbanden mit dem Militär in Sachen Aufstandsbekämpfung.
Ende Oktober 2009 kamen Jacobo Silva Nogales und Gloria Arenas, zwei Gründungsmitglieder der ERPI, nach über zehn Jahren Haft frei. Sie verstehen sich inzwischen als Teil der „Anderen Kampagne“ der Zapatistas und arbeiten seit ihrer Freilassung auf zivilem Weg für die anderen politischen Gefangenen. Kaum ein Zufall, dass wenige Tage nach ihrer Freilassung der regionale Anführer der ERPI, Omar Guerrero Solís alias Comandante Ramiro, von einem „Narcoparamilitär“, so die Guerilla, ermordet wurde. Die Militarisierung des Bundesstaates Guerrero hat ihren historischen Höchststand erreicht, wie auch der erfahrene soziale Aktivist Bertoldo Martínez Cruz im Gespräch bestätigt: „Die Militärs sind präsenter als in den Zeiten des schmutzigen Krieges in den 1970er Jahren. Das Hauptproblem für das Militär ist jedoch nicht der Drogenhandel, sondern die soziale Bewegung.“
Kasten:
Ein Jahr nach den Morden an Raúl und Manuel
Diesen Februar jährte sich das Verschwindenlassen mit anschließender Folter und Errmordung der beiden indigenen Aktivisten Raúl Lucas Lucía und Manuel Ponce Rosas von der Organisation für die Zukunft des Volks der Mixtecos (OPFM) in Ayutla. An einer Pressekonferenz am Jahrestag des Doppelmords bedauerten die Mixtecos, dass keinerlei Fortschritte in der Aufklärung des international viel beachteten Doppelmordes vorliegen. Instanzen wie die EU und die UNO waren vor Ort, hunderte Menschenrechtsorganisationen protestierten, doch die lokalen Behörden der PRI stellen sich taub – und werden vom PRD-Gouverneur und von der PAN-Regierung gedeckt.
In den letzten zwölf Jahren seien in dieser Region Nahe der Grenze zu Oaxaca rund 20 indigene Anführer der Mixtecos ums Leben gekommen, so ihr Sprecher Arturo Campos. Die selektiven Morde durch Paramilitärs begannen nach dem Massaker von El Charco vom Juni 1998, als dem Militär erstmals Dokumente über die Guerilla ERPI in die Hände fielen.
Die Mixtecos leben seit der Ermordung des Präsidenten und des Sekretärs ihrer indigenen Organisation vor einem Jahr in Angst, kündigten aber nun doch die Gründung einer neuen sozialen Organisation namens Völker für die Regionale Entwicklung (Poder) an, welche den Faden der Organisierung wieder aufnehmen und den Gemeinden aus ihrer Marginalisierung helfen soll.