Haiti | Nummer 358 - April 2004

Hatten die USA die Finger im Spiel?

Jeffrey Sachs kommentiert die Rolle der US-Regierung bei Aristides Abgang

Der Ökonom Jeffrey Sachs ist Direktor des Earth Institute an der Columbia Universität in New York. Er war wirtschaftlicher Berater verschiedener lateinamerikanischer Länder. Im folgenden dokumentieren wir einen Kommentar von Sachs aus der US-Zeitschrift Christian Science Monitor vom 8. März über die jüngsten Vorgänge in Haiti und die Verwicklungen der Bush-Administration:

Jeffrey Sachs

Wären die Umstände nicht so unglücklich, es wäre eine Farce, wie die Vereinigten Staaten den ehemaligen Präsidenten Jean-Bertrand Aristide aus Haiti entfernt haben. Laut Herrn Aristide unterrichteten ihn US-Beamte in Port-au-Prince, Rebellen seien auf dem Weg zum Wohnsitz des Präsidenten, und er und seine Familie würden wahrscheinlich nicht überleben, bestiegen sie nicht sofort ein bereitstehendes Flugzeug, das für ihre Ausreise ins Exil von den Vereinigten Staaten gechartert worden war. Die USA hätten deutlich gemacht, so sagte er, dass sie ihm keinen Schutz am offiziellen Wohnsitz bieten würden, obwohl dies leicht hätte arrangiert werden können.
Tatsächlich hätten die USA eine Verstärkung der Sicherheitsgarde Aristides blockiert und ihm den Einstieg ins Flugzeug verweigert, bis er eine Rücktrittserklärung unterschrieben hatte, sagte Aristides Anwalt.
Dann wurde Aristide für 24 Stunden der Zugang zu einem Telefon verweigert. Er wusste nichts über seinen Zielort bis er schließlich in der Zentralafrikanischen Republik abgesetzt wurde. Aber dieser zentrale Teil des Schlachtplans ging augenscheinlich nicht ganz auf: Aristide benutzte ein Mobiltelefon, um die Welt darüber zu unterrichten, dass er gewaltsam aus Haiti entfernt worden sei. Die Vereinigten Staaten weisen Aristides Beschuldigungen als lächerlich zurück. Außenminister Colin Powells offizielle Version der Ereignisse ist eine Leugnung der Anschuldigungen, die sich allein auf die Aussagen der US-Regierung stützt. Im Wesentlichen teilt uns Washington mit, nicht zurückzublicken, sondern nur nach vorn. Diese Verweigerungshaltung ruft Groucho Marxs alten Spruch ins Gedächtnis: ‘Wem wirst du glauben, mir oder deinen eigenen Augen ?’.
Es gibt mehrere tragische Aspekte an dieser surrealistischen Geschichte. Als erstes ist da die offenbare Unfähigkeit der Vereinigten Staaten, ehrlich über Angelegenheiten wie das Stürzen anderer Regierungen zu sprechen. Statt dessen wischen sie solche entscheidenden Fragen einfach beiseite wie: Haben die Vereinigten Staaten Aristide militärischen Schutz verweigert? Haben die USA Waffenlieferungen an die Rebellen geschickt, die sich letzten Monat in Haiti mit High-Tech-Ausrüstung zeigten, die vom US-Militär letztes Jahr nachgewießenermaßen in die Dominikanische Republik gebracht worden war, vor die Haustür Haitis? Warum gaben die Vereinigten Staaten dem Ruf europäischer und karibischer Staatschefs nach einem Kompromiss nicht nach, einem Kompromiss, den Aristide bereits akzeptiert hatte? Und vor allem: Finanzierten die USA einen Staatsstreich in Haiti, ein Szenario, das auf Grund der Hinweise sehr wahrscheinlich erscheint?
Nur jemand, der nichts über amerikanische Geschichte und die Administrationen von George Bush senior und junior weiß, würde diese Fragen von der Hand weisen. Die USA haben wiederholt Staatsstreiche und Aufstände in Haiti und benachbarten karibischen Ländern finanziert. Die jüngste vorhergehende Episode in Haiti ereignete sich 1991, während der ersten Bush-Administration, als Schläger, die auf CIA-Gehaltslisten standen, unter den Führern der paramilitärischen Gruppen waren, die Aristide nach seiner Wahl von 1990 aus dem Amt jagten.
Einige der Akteure in der jetzigen Runde sind bekannt aus der vorherigen Bush-Administration. Eine Schlüsselfigur ist unter anderem der stellvertretende US-Außenminister Roger Noriega, der lange Jahre auf Aristide herumhackte, und von dem allgemein angenommen wird, entscheidend bei Aristides Abgang mitgewirkt zu haben. Er wird es wesentlich schwerer finden, Waffen schwenkende Rebellen zum Rückzug zu bewegen.
Als 1991 Mitglieder des Ausschusses, der die Interessen der Schwarzen im Kongress vertritt, verlangten, die Rolle der USA beim Sturz von Aristide zu untersuchen, lachte die erste Bush-Administration sie aus – genau so wie dies die heutige Regierung angesichts neuer Anfragen von Ausschussmitgliedern tut.
Im Endeffekt wird jeder, der die Administration in Bezug auf Haiti in Frage stellt, als naiv und unpatriotisch diffamiert. Aristide selbst wird beschuldigt, seine Pflicht versäumt zu haben, da er scheiterte, sein Land aus der Armut zu führen. In Wahrheit fror die US-Administration alle multilaterale Entwicklungshilfe von dem Tag an ein, als George W. Bush sein Amt antrat, wodurch sie Haitis Wirtschaft austrocknete. Die US-Funktionäre wussten mit Sicherheit, dass das Hilfsembargo eine Krise in der Zahlungsbilanz, einen Anstieg der Inflation und einen Einbruch des Lebensstandards bedeuten würde, was alles auch zur Rebellion beitrug.
Eine andere Tragödie dieser Geschichte ist das Schweigen der Medien, wenn es darum geht, all die Fragen zu stellen, die nach Antworten verlangen. Genauso wie im Krieg gegen den Irak wegen vermeintlich vorhandener Massenvernichtungswaffen es die Mainstream-Medien anfänglich versäumten, Fragen nach den Zielen der Regierung zu stellen, weigerten sich große Nachrichtenorganisationen, die Berichte der Regierung über Haiti anzufechten. Die Medien waren nicht clever genug, Aristide zu finden, oder auch nur darauf hinzuweisen, dass Aristide von der Außenwelt abgeschirmt wurde.
Angesichts einer gewaltbereiten US-Regierung, die in großen Teilen der Welt straffrei handelt, kann nur das Beharrern der Öffentlichkeit darauf, die Wahrheit zu erfahren, uns und andere vor unserem eigenen schlimmsten Verhalten bewahren.”

Übersetzung: Aruschan Wartumjan / LN

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