Chile | Nummer 452 - Februar 2012

Hinzpeter brandmarkt Mapuche

Regierung facht erneute Repressionswelle gegen Indígenas an

Nach Waldbränden in der ersten Januarwoche bei Carahue in der Region Araucanía verdächtigte der chilenische Innenminister Rodrigo Hinzpeter die Mapuche-Organisation Coordinadora Arauco-Malleco (CAM), die Brände absichtlich gelegt zu haben. Damit löste er eine Gewaltwelle gegen die indigenen Gemeinden aus.

Alina Rodenkirchen

„Er will ein ganzes Volk brandmarken, er sagt uns damit, dass alle Mapuche Verbindungen mit terroristischen Organisationen haben, dass wir alle Terrorakte verüben würden“, so der Mapuche-Anwalt Lautaro Loncón. Er, das ist der chilenische Innenministers Rodrigo Hinzpeter. Der Hardliner stellte die Mapuche unter Generalverdachtmacht, nachdem in der Stadt Carahue am 5. Januar sieben Feuerwehrmänner bei Löscharbeiten ums Leben gekommen waren. Lautaro Loncón reichte Beschwerde vor dem Berufungsgericht in Santiago ein und forderte präventive Schutzmaßnahmen für die Mapuche-Gemeinden.
Die Mapuche, größte indigene Gemeinschaft in Chile, stehen seit dem Entstehen des chilenischen Staats im Konflikt mit diesem. Wegen ihrer Forderungen nach Rückgabe ihrer Territorien, die inzwischen verkauft, von Großgrundbesitzer_innen illegal besetzt oder von transnationalen Konzernen ausgebeutet wurden, sind sie immer wieder massiver Repression ausgesetzt. Gleichzeitig gehören die Mapuche zu der ärmsten Bevölkerung Chiles.
Héctor Llaitul, Anführer der CAM, der aufgrund einer unter Folter erpressten Aussage im Gefängnis sitzt, gab in einer Erklärung bekannt, dass die CAM nicht für die Ereignisse in Carahue verantwortlich sei. Trotzdem hielt Hinzpeter an seinen Anschuldigungen fest, die Mapuche als eigentliche Verantwortliche für den Tod der Feuerwehrmänner zu identifizieren. Seitdem überschlugen sich die Ereignisse. Einheiten der chilenischen Polizei, der Carabineros, rückten in Mapuche-Gemeinden ein, sperrten Straßen und führten Durchsuchungen durch, die in gewalttätigen Auseinandersetzungen mit vielen Verletzten endeten.
Für besondere Empörung sorgte hierbei der Fall von Teresa Millacheo, einer schwangeren Mapuche, die nach einem Polizeieinsatz mit Atemnot und Erbrechen ins Krankenhaus eingeliefert werden musste. Die Carabineros hatten illegalerweise Tränengas bei einer Durchsuchung eingesetzt.
Furore machte außerdem ein Video einer Polizeidurchsuchung in Metrenco, bei der Carabineros Guillermina Painevilu, die ihren zweijährigen Sohn auf dem Arm trug, zu Boden warfen, beschimpften, mit dem Gewehrkolben schlugen und sie anschließend mit gezogener Waffe bedrohten. Zusammen mit ihrer Tochter Jessica Guzmán Painevilu, die dieses Video mit ihrem Handy aufnahm, wurde sie anschließend festgenommen und in Handschellen abgeführt. „Wenn ich das Video nicht gemacht hätte, hätte uns wahrscheinlich keiner geglaubt, mit welcher Gewalt die Carabineros gegen uns vorgehen“, erklärte Guzmán, nachdem sie zusammen mit ihrer Mutter bei der Verhandlung in Temuco freigesprochen wurde. Das Gericht entschied, dass die Festnahmen illegal waren.
Die Anwältin der Angeklagten, Maria del Rosario Salamanca, sagte in einem Interview: „Sie haben keinerlei Verbrechen begangen, sie standen lediglich im Vorgarten ihres Hauses und haben die Polizeidurchsuchung auf Video aufgenommen.“ Wäre eine chilenische Frau mit ihrem Sohn auf der Hauptstraße Avenida Alemania gestanden und hätte zugeschaut, wie Barrikaden gebaut werden, dann wären die Carabineros mit Sicherheit nicht zu ihnen nach Hause gekommen und hätten sie festgenommen, erläuterte Salamanca. „Ich bin davon überzeugt, dass dies eine diskriminierende Handlung war.“
Die Polizeiübergriffe gehen indes weiter wie zum Beispiel in der Region von Ercilla mit gewaltsamen Polizeiaktionen und Tränengasangriffen. Der Sprecher des Mapuche-Studentenverbandes FEMAE, José Ancalao, erklärte, die Carabineros und Spezialeinheiten versuchten, eine Konfrontation zu provozieren, bei denen es Tote geben würde. Ancalao wurde bereits selbst bei Bildungsprotesten von der Polizei zusammengeschlagen und festgenommen.
Solidarität erfahren die betroffenen Mapuche von den Studierendenvertreter_innen, die durch die massiven Bildungsproteste 2011 an politischem Gewicht gewonnen haben. Noam Titelman, Sprecher der Universidad Católica aus Santiago, brachte die Besorgnisse auf den Punkt, als er anmerkte, wenn sich die Öffentlichkeit nicht dem Thema widme, könne es womöglich einen neuen Matías Catrileo geben.
Matías Catrileo ist einer der Jugendlichen, die in den letzten Jahren bei friedlichen Landbesetzungen von den Carabineros erschossen wurde (siehe LN 407). Der Carabinero Walter Ramírez, der den jungen Mapuche erschoss, wurde lediglich zu einer Bewährungsstrafe von drei Jahren und einem Tag verurteilt. Mapuche aber, die durch Proteste wie durch Landbesetzungen oder durch die Entwendung von Holz von den Grundstücken der Forstunternehmen auf ihre Lage aufmerksam machen und gegen die illegalen Landnahmen demonstrieren, haben wesentlich schlimmere Strafen zu erwarten. Grundlage hierfür ist in vielen Fällen das Anti-Terror Gesetz, das nun auch gegen die vermeintlichen Mapuche-Brandstifter angewendet werden soll. Verdächtige können dann bis zu zehn Tage in Haft bleiben, bis es zu einer formalen Anklage kommt. Sie können über einen langen Zeitraum in Untersuchungshaft gehalten werden. Staatsanwälte können ihre Beweise sogar vor der Verteidigung geheim halten und es werden anonyme Zeugen zugelassen.
Aber nicht nur die Studierenden äußern sich kritisch über das Verhalten der Exekutive. Der Bürgermeister von Carahue, Pedro Vera, ging von Anfang an nicht von einem terroristischen Anschlag aus. „Für uns war das, was in Casa de Piedra passierte, ein Unfall.“ Es sei Rassismus und Diskriminierung gegenüber den Mapuche, wenn in diesem Fall das Antiterrorgesetz angewendet werde und im Fall der verheerenden Waldbrände von Quillón oder Torres del Paine nicht, sagte Vera in einem Interview mit dem Radiosender ADN. Selbst der örtliche Kommandant der Feuerwehr, Héctor Rebolledo, meinte, dass die Brände durch die Herstellung von Holzkohle ausgelöst wurden. Laut Statistiken der Nationalen Forst-Gesellschaft Chiles sind im letzten Jahrzehnt 54 Prozent der Waldbrände in der Region durch Unfälle, wie Fahrlässigkeit oder Unachtsamkeit, verursacht worden. Mittlerweile sind zwei Personen festgenommen worden, die angeblich die Brände verursacht haben sollen. Bis jetzt sind die Gutachten über die mögliche Ursache der Brände noch nicht fertig – und die Repräsentanten der Staatsanwaltschaft möchten sich noch nicht auf eine Hypothese festlegen. Die Verdächtigen Jorge Urrutia Hormazábal und Jorge Agurto Luengo sind keine Mapuche. Gegen sie wurde auch nicht das Anti-Terror-Gesetz angewendet und sie wurden schon wieder auf freien Fuß gesetzt.
Rodrigo Hinzpeter, der durch seine Anschuldigungen die Grundlage für die Repression gelegt hatte, versucht sich nun aus der Affäre zu ziehen. In dem Verfahren wegen der von Anwalt Lautaro Loncón eingereichten Beschwerde legte er dem Berufungsgericht einen Bericht vor, in welchem er bestreitet, bestimmte Personen oder Gruppen für die Feuer verantwortlich zu machen. „Es wurden Passagen meiner Erklärung umgeschrieben. Ich habe weder angeordnet noch gefordert, dass es Untersuchungen gegen Mitglieder einer Ethnie geben soll“, beteuerte der Innenminister. Anders sah das Beschwerdeführer Loncón und erklärte, dass Hinzpeter keinerlei Beweise für seine Anschuldigungen vorlegen könne und nun den Medien die Schuld in die Schuhe schiebe. Das Berufungsgericht befand in einem einstimmigen Beschluss, dass die Aussagen über eine Verbindung der CAM mit den Waldbränden keine Bedrohung für die Mapuche-Gemeinden darstellen würden. Dass nach den haltlosen Anschuldigungen Hinzpeters die Repression gegen die Mapuche wieder losgetreten wurde, hat das Gericht dabei wohl nicht in Betracht gezogen.

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