Nummer 391 - Januar 2007 | Queer

Im totel Winkel der Maquila

In Mexikos Maquiladora-Industrie werden Homosexuelle diskriminiert und belästigt

Ciudad Juárez im mexikanischen Bundesstaat Chihuahua ist geprägt durch die Maquila-Industrie und die direkte Nachbarschaft zu den USA. Die Arbeitsbedingungen in den Niedriglohnfabriken sind prekär und sexuelle Belästigung und Gewalt gegen Homosexuelle keine Ausnahme. Louise Thiel traf sich in Ciudad Juárez im Rahmen einer Forschungsarbeit zu sexueller Belästigung in der Maquiladora-Industrie mit zwei homosexuellen Maquila-Arbeitern, die über ihre Lebens- und Arbeitsbedingungen berichten.

Louise Thiel

Als ich in sein Auto steige legt mir Daniel die Hand auf den Arm. Dann lacht er plötzlich auf – sexuelle Belästigung könne dies ja nicht sein, weil er doch schwul sei, erklärt er. Wusste ich schon, denn so war er mir vorgestellt worden: als homosexueller Gewerkschaftsaktivist in Ciudad Juárez.
Wir sind auf dem Weg zu seinem Freund Oscar, der ziemlich weit außerhalb des Stadtzentrums wohnt. Hier in Ciudad Juárez, das direkt an der mexikanischen Nordgrenze liegt, ist eigentlich alles ziemlich weit draußen, denn die Stadt ist zerpflügt von unzähligen Industrieparks und den staubigen Arbeitersiedlungen in deren Umgebung. Von einem funktionierenden öffentlichen Nahverkehr ist Ciudad Juárez so weit entfernt, wie es den USA nahe ist.
Daniel und Oscar haben sich bei ihrer ersten Arbeit in einer der vielen Maquiladoras kennen gelernt. Die Weltmarktfabriken, die sich zu Dutzenden um Ciudad Juárez und entlang der gesamten mexikanischen Nordgrenze angesiedelt haben, profitieren von dem niedrigen Lohnniveau in Mexiko.
Die Arbeitsbedingungen in den Fabriken sind nicht nur wegen der Gesundheitsgefährdung extrem schlecht, die ArbeiterInnen leiden zudem unter geschlechtsspezifischer Diskriminierung und sexuellen Übergriffen. Frauen, Homosexuelle und andere Menschen, die in dem gängigen Wertesystem heterosexueller Männlichkeit nicht entsprechen, werden schlechter bezahlt und kaum befördert. In der Maquila kommt der Kategorie Geschlecht so eine zentrale Bedeutung als Orientierungsmuster und Ordnungskriterium zu.
Bis in die neunziger Jahre hinein wurden in den Maquilas vorwiegend junge Frauen eingestellt. Sie galten in den Managementetagen der Fabriken als geschickt, anpassungsfähig und fügsam. In den letzten Jahren allerdings wurden vermehrt Männer eingestellt. Dies ging einher mit einer stärkeren innerbetrieblichen Hierarchisierung. Die höher qualifizierten Jobs und Vorgesetztenposten werden fast ausschließlich von Männern eingenommen, die den Arbeitsalltag mit ihren sexistischen Denk- und Verhaltensweisen prägen. Als Daniel zeitweise als Gruppenleiter arbeitete, sah er sich einer Art Wettstreit unter Männern ausgesetzt, wer am schnellsten mit den meisten Arbeiterinnen anbändelt.

„Zu verspielt“ für Führungspositionen

Mit gefälschten Papieren fing Daniel, damals gerade vierzehn Jahre alt, in den Sommerferien in der Maquila an. Das erste Mal eigenes Geld zu verdienen sei ein großartiges Gefühl gewesen, sagt er. Er schmiss die Schule, um für seine Großmutter, bei der er aufwuchs, finanziell sorgen zu können.
Auch Oscar brach die Schule mit sechzehn Jahren ab. Sein Vater starb und er musste die Familie finanziell unterstützen. Männer gelten trotz breiter weiblicher Erwerbstätigkeit in Ciudad Juárez weiterhin als die Verantwortlichen für die Sicherung des Familienunterhalts, so jung sie auch sein mögen. Die Welt der Maquila-Industrie war für Oscar damals vollkommen unbekannt. Die Umgangsformen dort und die starken Reaktionen auf seine Homosexualität nahm er als bedrohlich wahr. In seiner Familie, so erzählt er, sei er als Schwuler immer akzeptiert und geliebt worden. Für unser Gespräch will er dennoch lieber in ein anderes Zimmer gehen, wo uns die Mutter und die Schwester nicht hören können.
In der Maquila sah sich Oscar zum ersten Mal in seinem Leben mit Spott und Zurückweisung aufgrund seiner sexuellen Orientierung konfrontiert. Woher denn seine ArbeitskollegInnen gewusst hätten, dass er schwul sei, frage ich ihn. Eine kurze, irritierte Stille, dann brechen Daniel und Oscar in ungläubiges Gelächter aus. Weil mensch in Mexiko einen Homosexuellen drei Meilen gegen den Wind erkennen könne, an dem gepflegten Äußeren, der engen Kleidung, den Gesten, an allem einfach, erklären sie mir.
Am 9. November diesen Jahres verabschiedete das Stadtparlament von Mexiko-Stadt ein Gesetz zur Legalisierung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften. Die Lebenswirklichkeit jedoch ist für viele Homosexuelle in Mexiko weiterhin von Diskriminierung und Gewalt geprägt. Oscar bekam von seinen Vorgesetzten täglich zu hören, dass er sich die langen Haare abschneiden solle, dass er auf der Arbeit nicht so „weiblich“ herumlaufen dürfe. Er hat immer in der gleichen Maquila gearbeitet, und wenn sein Gruppenleiter nicht da war, hat er dessen Arbeit übernommen. Trotzdem wurde er nie offiziell befördert. Die Vorgesetzten sind der Ansicht, dass Homosexuelle dafür „zu verspielt“ seien. Und weisen ihnen trotzdem die schweren Arbeiten zu oder lassen sie das gleiche Pensum mit weniger Leuten verrichten. Einige Manager erklären ganz offen, dass sie keine Homosexuellen als Gruppenleiter haben wollen. Als einmal Leute von der Aufsicht in ihre Abteilung kamen, wurde ein Transvestit, der dort arbeitete, für diesen Tag in einen Winkel der Maquila versetzt, in dem er kaum noch für andere sichtbar war. Er versuchte später sich darüber zu beschweren, aber wie so oft bei solchen Anliegen ohne Erfolg.
Auch unter KollegInnen sei es sehr schwierig, als Homosexueller akzeptiert zu werden, erklären Oscar und Daniel. Schlechte Nachrede und offene Beleidigungen sind auf der Tagesordnung. Nur wer sich zum Clown mache werde als Unterhaltungswert toleriert und gleichzeitig doch irgendwie verspottet. Daniel lehnt das ab, er fordert bei jeder Gelegenheit eine gesellschaftliche Anerkennung seiner Identität und seiner Rechte. Eine Zeitlang war er bei der Arbeit von einem homosexuellen Vorgesetzten geschützt worden, doch schließlich folgte der Rausschmiss wegen seines rebellischen Verhaltens.

Sexuelle Belästigung und Gewalt

Daniel und Oscar erzählen mir, dass es in der Maquila auch einige homosexuelle Arbeiter gebe, die aber mit Frauen verheiratet seien und Kinder hätten. Hier kommt die in Mexiko wichtige Unterscheidung in „aktive“ und „passive Schwule“ zum Tragen. Die so genannten Passiven werden verächtlich Jotos genannt, sie werden verachtet und verspottet. Die Aktiven hingegen werden eigentlich gar nicht als homosexuell gesehen, sie gelten als ‚echte’ Männer, egal ob sie Frauen oder Männer begehren. Als Oscar von einer Affäre mit einem bestimmten Vorgesetzten erzählt, erntet er ein anerkennendes Lachen von Daniel. Einen ‚richtigen’ Mann herumzubekommen scheint etwas besonders Beachtenswertes zu sein. Männlichkeit wird hier als ein Zusammenspiel aus aktiver Sexualität und beruflicher Machtposition gedacht.
Besonders beliebt zum Erobern neuer Affären ist das gemeinsame Tanzen gehen mit Arbeitskollegen am Freitagabend. Die Flirtversuche sind dabei jedoch nicht unbedingt von allen erwünscht. Und Oscar berichtet, dass er einmal nur knapp einem Vergewaltigungsversuch entkommen konnte, nachdem ein Vorgesetzter ihn mit dem Auto nach Hause gefahren hatte.
Auch bei der Arbeit ist sexuelle Belästigung gegenüber Homosexuellen gang und gäbe. Nicht nur verbal, sondern auch körperlich. Schwule bekommen anzügliche Bemerkungen zu hören oder werden einfach angefasst. Meistens dann, wenn niemand anderes hinguckt, wenn es keine ZeugInnen gibt und sie sich schlecht wehren können. Auch Erpressungen sind üblich, denn in den innerbetrieblichen Machtstrukturen sind die Arbeitsplätze ziemlich ungehindert von der Willkür der unmittelbaren Vorgesetzten abhängig. Wer nicht gefügig ist oder sexuellen Aufforderungen nicht nachgeben will, sieht sich schnell in einen anderen Turnus versetzt oder bekommt solange Beschwerdeeinträge, bis es zur Kündigung kommt. Oftmals bedarf es auch gar nicht einer formalen Entlassung, weil viele den einzigen Ausweg aus dem bedrängenden Arbeitsklima nur in der Suche nach einem anderen Arbeitsort sehen. Denn Beschwerden über sexuelle Belästigung sind nur selten erfolgreich und die Täter kommen meist unbehelligt davon.
Zusätzlich reagieren die KollegInnen auf das für viele unangenehme Outing mit Unverständnis und Spott. Und auch der Rechtsweg ist schwierig, denn in Fällen sexueller Belästigung steht Aussage gegen Aussage, und die ArbeiterInnen in den Maquilas können sich die langwierigen und teuren Verfahren kaum leisten.

Polizeigewalt und Straflosigkeit

Bei der Arbeit in ihrer ersten Maquila haben sich Daniel, Oscar und noch einige andere überwiegend Homosexuelle zu einem kleinen Kreis zusammengeschlossen. Am Anfang haben sie auch alle in der gleichen Gegend gewohnt. „Um uns gegenseitig zu beschützen“, erklären sie mir. Ich will wissen wovor, und bereue schon im nächsten Moment meine Frage. „Vor der Gesellschaft“, sagt Daniel, „denn wir leben in einer Gesellschaft von Machos. Die durchaus auch gewalttätig werden.“ Ein Freund von ihnen wurde von zwei Polizisten vergewaltigt, mit vorgehaltener Pistole an der Schläfe. Er zeigte die Polizisten an, denn er kannte das Nummernschild und hätte sie bei einer Gegenüberstellung identifizieren können. Doch wurden die Täter nie gefasst. Straflosigkeit und korrupte Polizisten sind in Ciudad Juárez keine Seltenheit.
„Meistens sind die Aggressionen aber eher verbal“, schränken Daniel und Oscar ein. Bei der Arbeit, auf der Straße, in den Gewerkschaften, dauernd werden sie als „Schwuchteln“ beschimpft. Dabei sei die Diskriminierung von Homosexuellen in Ciudad Juárez noch weniger schlimm als weiter im Landesinneren. Wegen der räumlichen Nähe zu den USA und auch, weil es eine Großstadt ist, sei die Situation hier viel offener und toleranter, erklärt mir Daniel. Während der Zeit seines Militärdienstes im Süden des Bundesstaates Chihuahua habe er dort eine Zeitlang auch in einer Maquiladora gearbeitet. Bereits nach einem Monat wurde ihm grundlos gekündigt, trotz seiner weit reichenden Arbeitserfahrungen in dem Bereich.
Daniel ist es wichtig seine Homosexualität nicht zu verstecken. Und wenn er sich provoziert fühle, dann schlage er auch zurück. Denn die Schwuchtel, erklärt er, habe er im Hintern, nicht in den Händen. Mit seinen Händen sei er ‚ganz Mann’, könne er arbeiten und sich verteidigen.
An meinem letzten Tag in Ciudad Juárez sehe ich Daniel morgens, als er mich mit dem Auto mit in die Stadt nimmt. Wir halten auf dem Weg an einer Bank an, wo er die Telefonrechnung seiner Gewerkschaftsorganisation bezahlen muss. Ob ich mit reingehen soll, frage ich. „Bitte“, antwortet mir Daniel, „ich werde immer gerne in Begleitung einer schönen Frau gesehen.“ Es ist eben schwierig, sich in einer sexistischen Umgebung zu behaupten.

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