Ecuador | Nummer 391 - Januar 2007

Ein bolivarianischer Aufbruch?

Nach dem Wahlsieg des Linkskandidaten Rafael Correa

In der Stichwahl um die ecuadorianische Präsidentschaft am 26. November 2006 erhielt der Linkskandidat Rafael Correa rund 57 Prozent der Stimmen und wird so am 15. Januar 2007 als neuer Präsident vereidigt. Der Kandidat der Alianza PAÍS, der zuletzt von Sozialdemokraten, Gewerkschaften und verschiedenen sozialen Bewegungen unterstützt wurde, wies damit den rechtspopulistischen Kandidaten Álvaro Noboa in die Schranken: Correas Sieg ist ein Sieg für die uneinige ecuadorianische Linke.

Jonas Henze

Noch am Wahlabend verkündete der siegreiche Linkskan­didat Rafael Correa das Ende der „langen und traurigen neoliberalen Nacht“ und erklärte, nicht er und sein Kandidat für das Amt des Vizepräsidenten Lenín Moreno hätten die Präsidentschaftswahl gewonnen, sondern das e­cua­doria­nische Volk. Correa kündigte zudem bereits einige interessante Be­setzungen von Ministerposten an. Unter anderem wird demnach Alberto Acosta Energieminister. Der Wirtschaftswissenschaftler Acosta hat zeitweise an der Universität Köln studiert und ist derzeit unter anderem für das Lateinamerikanische Sozialforschungsinstitut (ILDIS) tätig, der Vertretung der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung in der ecuadorianischen Hauptstadt Quito. Gustavo Larrea, Menschenrechtsaktivist und bisher Sprecher von Correas Wahlbündnis Alianza PAÍS, soll Innen- und Regierungsminister werden.
Auch nach der Wahl wiederholte Correa seine schon aus dem Wahlkampf bekannten Positionen: Er werde weder einen Freihandelsvertrag mit den Vereinigten Staaten unterzeichnen noch den 2009 auslaufenden Vertrag für die US-Militärbasis im ecuadorianischen Manta verlängern, da die Unabhängigkeit Ecuadors nicht zum Verkauf stehe.
Die Militärbasis in Manta wird von US-amerikanischen Militärs im Konflikt zwischen der kolumbianischen Guerillaorganisation FARC und der kolumbianischen Regierung genutzt. In der Vergangenheit war es immer wieder zu Vorfällen an der Grenze gekommen. Correa bezeichnete den Konflikt als internen Konflikt Kolumbiens, der keine Auswirkungen auf die Souveränität Ecuadors haben dürfe.
Correa kündigte weiterhin an, er werde das Gehalt des Präsidenten von monatlich 8.000 auf 4.000 US-Dollar senken. Wichtigstes Vorhaben sei jedoch die Einberufung einer ver­fassunggebenden Versammlung.

Vorbild Morales

Direkt nach Amtseintritt werde er dafür einen Volksentscheid einleiten. Correa beruft sich auf den Artikel 104 der ecuadorianischen Verfassung, wonach der Präsident ein Plebiszit zur Verfassungsreform anberaumen kann – eine Interpretation, die von vielen nicht geteilt wird. Vielmehr benötige der Präsident die Zustimmung des Kongresses, um eine verfassunggebende Versammlung einberufen und diese mit weitreichenden Vollmachten ausstatten zu können.
Correa skizzierte derweil, wie sich die neue Regierung die verfassunggebende Versammlung vorstelle. Alle EcuadorianerInnen sollen kandidieren können, wenn sie genügend UnterstützerInnen gesammelt haben. Die Unterstützung durch eine Partei soll nicht erheblich sein, der Staat will für gleiche Wahlwerbung aller KandidatInnen sorgen und diese wohl auch finanzieren. Wenn die Versammlung erst installiert sei, werde es keine gegenseitige Blockade zwischen dieser und dem Kongress geben, sondern eine Aufgabenaufteilung. Wie in Bolivien so soll auch in Ecuador der Kongress nicht etwa aufgelöst, sondern mit beschränkten Aufgaben (vor allem fiskalischer Natur) betraut sein, während die asamblea eine neue Verfassung ausarbeiten und beschließen soll.
Auch wenn davor gewarnt wird, zu hohe Erwartungen an eine verfassunggebende Versammlung zu richten, findet dieses Vorhaben Correas viel Unterstützung. So bekundeten unter anderem die Indigenen-Organisation CONAIE, ihr politischer Arm Pachakutik und die Demokratische Volksbewegung (Movimiento Popular Democratico, MPD) ihre Unterstützung der gewählten Regierung und ihres Vorhabens einer Verfassungsreform.
Nicht nur bezüglich der asamblea constituyente sind Ähnlichkeiten zur Agenda des Bolivianers Evo Morales zu erkennen. So erklärte etwa der zukünftige Energieminister Acosta, die Regierung werde in ihrer Politik den Grundsatz anerkennen, dass es ohne Souveränität keine Entwicklung geben könne. Unmittelbar nach der Wahl begann der designierte Minister, die Verträge mit den in Ecuador tätigen Erdölkonzernen zu überprüfen. Correa hatte im Wahlkampf immer wieder erklärt, der derzeitige Zustand, dass die Gewinne aus der Erdölproduktion zu großen Teilen bei den transnationalen Konzernen landeten, sei nicht vertretbar.
Überprüft werden sollen auch die Verträge mit den Energieversorgern sowie mit den Mobilfunk-Anbietern, da die beiden großen Anbieter Porta und Movistar/Telefónica für im lateinamerikanischen Vergleich überhöhte Preise stünden.

Und Vorbild Kirchner

Das zweite große Vorhaben Correas ist ein neuer Umgang mit der Staatsverschuldung. Wie Néstor Kirchner in Argentinien möchte auch Correa die Unabhängigkeit seines Landes und seiner Politik von internationalen Kreditgebern und dem Internationalen Währungsfonds erreichen. Ob er Neuverhandlungen der Kredite anstrebt oder doch ein einseitiges Moratorium durch seine Regierung beabsichtigt, ließ Correa im Wahlkampf offen.
So reagierten auch die Finanzmärkte auf den Wahlsieg Correas: Der Wert ecuadorianischer Schuldentitel fiel umgehend. Correa erklärte, das Leben sei wichtiger als die Schulden, und signalisierte damit, dass er eine andere Verwendung der Staatsfinanzen beabsichtigt. Zugleich machte er aber deutlich, dass es keine einseitige Einstellung der Zahlungen geben werde – was selbst einige der nervös gestimmten Spekulanten für glaubwürdig hielten. Auch in Ecuador läuft es also auf eine Nachverhandlung der Kredite mit dem Ziel der Verbesserung der Konditionen hinaus.
Der bilaterale Freihandelsvertrag zwischen Ecuador und den USA ist mit dem neuen Präsidenten wohl erst einmal vom Tisch. Im Gegensatz zu seinen Nachbarn Peru und Kolumbien, die beide erst vor kurzem Freihandelsverträge mit den USA abgeschlossen haben, wird Ecuador also eine unabhängigere Handelspolitik betreiben.

Wie weiter mit dem Bolivarianismus?

Aus der Sicht Ecuadors ist damit eine verstärkte südamerikanische Zusammenarbeit von vitalem Interesse. Der zukünftige Innenminister Larrea erklärte, die neue Regierung wolle die Beziehungen mit allen „Bruderländern“ ausbauen und mit der lateinamerikanischen Integration vorankommen. Langfristig sei der Traum der Alianza PAÍS eine lateinamerikanische Gemeinschaft.
Die genaue Orientierung zwischen den verschiedenen Wegen der südamerikanischen Integration ist jedoch noch nicht klar. Der designierte Präsident Correa spekulierte öffentlich über einen möglichen Beitritt des derzeitigen Andengemeinschafts-Mitglieds Ecuadors zum Mercosur, da die Andengemeinschaft CAN aufgrund der Freihandelsverträge Perus und Kolumbiens mit den USA nicht mehr funktioniere. Mit der gleichen Begründung war zuvor Venezuela unter Hugo Chávez aus der CAN ausgetreten und ist jetzt assoziiertes Mitglied des Merco­sur. Correas zukünftiger Energieminister Acosta erklärte anderslautend gegenüber der kolumbianischen Tageszeitung El Tiempo, man werde die CAN wiederbeleben und sich gleichzeitig dem Mercosur und der Südamerikanischen Staatengemeinschaft (Comunidad Sudamericana de Naciones, CSN) annähern.
Während die Alianza PAÍS also noch nach ihrer Position in Bezug auf die südamerikanische Integration sucht, verbanden verschiedene südamerikanische Regierungen die Gratulation zum Wahlsieg Correas mit Ideen zur Ausgestaltung des Integrationsprozesses. Nachdem die venezolanische Regierung in einer Erklärung den Wahlsieg Correas feierte und betonte, Ecuador habe „Unabhängigkeit und Freiheit“ wiedergewonnen, unterstrich der venezolanische Energieminister Rafael Ramírez die Möglichkeit einer Zusammenarbeit im Bereich der Erdölproduktion. Auch der argentinische Staatschef Néstor Kirchner verband seine Gratulation mit der Bitte um eine verstärkte Zusammenarbeit und signalisierte Correa seine Unterstützung für dessen Anliegen eines Beitritts zum Mercosur.
Der bolivianische Präsident Evo Morales wusste sich ebenfalls an dieser „bolivarianischen Gratulationsrunde“ zu beteiligen – machte Correa jedoch ein konkreteres Angebot: Auf Einladung von Morales nahm Correa am 8. und 9. Dezember am zweiten Gipfel der Südamerikanischen Staatengemeinschaft CSN in Cochabamba, Bolivien teil, bei dem sich ein Großteil der südamerikanischen Staatschefs über die Zukunft des Integrationsvorhabens auseinandersetzten. Mit verschiedenen süd­amerikanischen Präsidenten kam Correa in der Folge zu Gesprächen zusammen, so sprach er zum Beispiel mit dem brasilianischen Präsidenten Lula über gemeinsame Infrastrukturvorhaben.

Correa vor Regierungsantritt

Die konkrete politische Agenda der Regierung Correa ist über die bis jetzt skizzierten Grundsätze und die angekündigten „Großprojekte“ hinaus noch unklar. Genauso offen ist, wie sich der – ebenfalls neu gewählte – Kongress in puncto verfassunggebender Versammlung, aber auch in Bezug auf die Zusammenarbeit im politischen Alltag verhalten wird.
Die neue Regierung könnte auf einen Dialog mit dem Kongress setzen, würde sich dann aber leicht bei den eigenen WählerInnen unbeliebt machen. Ebenso könnte sie es zu einer Konfrontation mit dem Parlament kommen lassen. Aber gerade für diesen Fall erscheint die Möglichkeit der Umsetzung einer neuen Politik nicht als besonders realistisch. Einfach wird es Correa jedenfalls nicht haben, einen politischen Wandel in Ecuador zu befördern.
Der gewählte Präsident hat aber die Chance, die durch Korruption, gegenseitige Blockade und starke Ablehnung der Politik innerhalb der Bevölkerung beschädigte Demokratie in Ecuador zu stärken. Sollte dies gelingen, könnte das auch eine Konsolidierung der nach wie vor fragmentierten Linken in Ecuador vereinfachen.
In jedem Fall wird sich Ecuador regional neu positionieren. Das Verhalten der Regierung Correa kann die Konstellation zwischen hegemonialen Marktinteressen der USA und den Versuchen einer verstärkten regionalen Integration, aber auch zwischen Andengemeinschaft und Mercosur maßgeblich beeinflussen. Die Zukunft der südamerikanischen Zusammenarbeit hängt unter anderem davon ab. Interessant ist dies gerade auch in Hinsicht auf das Integrationsprojekt Südamerikanische Staatengemeinschaft (CSN). Ob diese sich von einer Idee zum realen Projekt entwickelt, wird sich in den nächsten Jahren entscheiden.


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