Mexiko | Nummer 274 - April 1997

Intergalaktisches in Spanien

Interview mit Tom Kucharz, Mexiko-Gruppe Dresden

Im August 1996 haben auf Einladung der Zapatistischen Armee der Nationalen Be­frei­ung (EZLN) 3000 Menschen aus allen Teilen der Welt am “1. Interkontinentalen Tref­fen gegen den Neoliberalismus und für eine menschliche Gesellschaft” im süd­me­xi­kanischen Chiapas teilgenommen. Diskutiert wurde einerseits über die Folgen der Glo­ba­lisierung der Wirtschaft für Politik, Kultur und die Lebensbedingungen der Men­schen, andererseits über die Widerstandsperspektiven der Linken.

Boris Kanzleiter

Seit dem Treffen in Chiapas hat man wenig gehört aus Me­xi­ko und von denjenigen, die sich frischen Wind für die Lin­ke aus dem Lakandonischen Ur­wald erwarten. Welche Ini­tia­tiven bereitet Ihr momentan vor?

Auf einer europäischen Sit­zung in Zürich wurde letzten Dezember von 160 Delegierten von 54 Gruppen aus 14 europäi­schen Ländern vereinbart, den Be­schluß von Chiapas umzu­set­zen, ein “2. Interkontinentales Tref­fen gegen den Neoliberalis­mus und für eine menschliche Ge­sellschaft” in Europa zu orga­ni­sieren. Wir einigten uns auf den Vorschlag, das Treffen vom 26. Juli bis zum 3. August in Spanien durchzuführen. Auf ei­ner ähnlich gut besuchten zwei­ten Sitzung Anfang März in Bar­celona haben wir das Projekt konkretisiert. Unser Vorschlag ist jetzt, eine zentrale Auftakt­veranstaltung in Madrid zu ma­chen, dann über mehrere Tage the­matische Diskussionen in ver­schie­denen Städten durchzufüh­ren und zum Abschluß alle Teil­nehmerInnen in einem von Land­ar­beiterInnen besetzten Land­strich in Andalusien wieder zu­sam­mentreffen zu lassen. Über die­sen Vorschlag führen wir mo­men­tan eine weltweite Befra­gung durch, weil es uns sehr wich­tig ist, zu erfahren, was an­dere Gruppen und Einzelper­so­nen davon halten.

Die technische Organisation des Treffens ist eine Sache, die an­de­re allerdings, welche in­halt­liche Debatten man führen möchte. Sieht es da nicht ein biß­chen dünn aus?

Die Befragung dient auch dazu, die Inhalte des nächsten In­ter­kontinentalen Treffens nä­her zu bestimmen. Bei der nächsten Vorbereitungssitzung, die wir an Os­tern in Prag durch­führen wer­den, wird die Befra­gung dann aus­gewertet. Prag ha­ben wir übri­gens ausgewählt, weil es uns sehr wichtig ist, mehr osteu­ro­pä­ische Gruppen einzu­beziehen. Über die inhaltliche Diskussion ent­scheiden diejeni­gen, die sich in die Vorbereitung des Treffens ein­mischen und daran teil­neh­men. Bisher ist der Diskus­sions­stand, daß zu den Themen große Ar­beitsgruppen ge­bildet werden sollen, die be­reits in Chiapas im Mittelpunkt standen. Dies sind beispiels­weise: die Wirt­schaft und ihre Horror­ge­schich­ten, Be­wegungen in der Kultur – vom Farbtupfer zum Cyberspace, so­wie die grundlegende Frage­stel­lung: Welche Politik brau­chen wir? Letztlich hat das “Zwei­te Inter­kontinentale Treffen” be­reits be­gonnen, denn die Diskus­sionen im Vorbereitungs­pro­zeß sind ge­nauso wichtig wie das Treffen an sich.

Gibt es eigentlich eine inhalt­liche Diskussion zwischen den eu­ro­pä­ischen Gruppen und den Za­pa­tistas?

Das ist schwierig. In Chiapas ist die Situation militärisch und politisch sehr gespannt, und das er­schwert die Bedingungen für eine Debatte ganz erheblich. Schließlich kämpfen die Zapati­stas um das Überleben und da ge­rät die inhaltliche Diskussion oft in den Hintergrund. Aber ich bekomme mit, daß verschiedene Gruppen aus Europa einen regen Kontakt mit den Zapatistas pfle­gen und eine politische Diskus­sion führen. Die EZLN hat uns zur Vorbereitungssitzung nach Bar­celona eine Grußbotschaft per Video geschickt und sie hat auch betont, auf jeden Fall eine De­le­gation aus Chiapas zum In­ter­kontinentalen Treffen nach Spanien zu senden.

Welche politischen Organisa­tionen in Spanien tragen die Idee des Treffens? Hier in der Bun­desrepublik sind es ja nur sehr wenige und zudem schwa­che Gruppen, die sich bisher für die Initiative interessieren.

Mittlerweile sind auf interna­tionaler Ebene nicht nur die So­lidaritätsgruppen in den Prozeß ein­gebunden, sondern eine Reihe von Gruppen aus verschiedenen so­zialen Bewegungen und viele Ein­zelpersonen. Im spanischen Staat reicht das Spektrum von Haus­be­setzerInnen, Leuten, die sich in der Bildungspolitik enga­gieren, Frau­en­projekten und Ge­werk­schaftlern bis zu den Land­be­set­zerInnen in Andalu­sien. Dort unter­stützen ganze Dörfer die Zapatistas, auch im Bas­ken­land ist das Interesse sehr groß. Al­lein in Madrid haben sich im Ja­nuar 220.000 Men­schen an der Be­fra­gung über das geplante “Zwei­te In­terkontinentale Tref­fen gegen den Neoliberalismus und für eine menschliche Ge­sell­schaft” betei­ligt.

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