Inti-Illimani und Quilapayún auf Europatournee
Da ist zum einen Quilapayún, eine Gruppe, die 1965 in Chile gegründet wurde. Sie versucht, lateinamerikanische Folklore mit Elementen aus der Popmusik und der experimentellen Musik zu verknüpfen. Die Gruppe lebt seit 1973 in Frankreich und verbrachte dort 15 Jahre im Exil. Wiederholte Aufenthalte in Chile haben das Leben des Ensembles in den letzten Jahren stark verändert. So hat die Möglichkeit, Chile und Europa gleichzeitig erleben zu können, die Gruppe sehr bereichert. Freilich überwiegt nach wie vor die lateinamerikanische Prägung. Neben traditionellen Instrumenten werden auch Klavier, Synthesizer und E-Gitarren eingesetzt. Quilapayún hat bisher 25 Langspielplatten aufgenommen, die allesamt den Wunsch nach permanenter Einmischung in die Politik – wider alles Unrecht – lebendig werden lassen.
Inti-Illimani entstand 1967 in Santiago de Chile und spielte anfangs als reines Folkloreensemble. Zwar haben sie sich im Laufe der Zeit auch von der Musik anderer Kulturen und Stilrichtungen beeinflussen lassen, sie spielen jedoch nach wie vor auf – überwiegend traditionellen – akustischen Instrumenten. Vor dem Putsch wurde Inti-Illimani staatlich gefördert und galt neben Quilapayún als ein wichtiger Teil der “Nueva Canción Chilena”, einer Musikbewegung, die folkloristische mit politischen Elementen verband. Während einer Tournee 1973, die sie auch nach Berlin führte, wurde die Gruppe vom Putsch überrascht, eine Rückkehr war unmöglich: Bis 1988 lebten sie im Exil in Italien. Inti-Illimani wurden mit ihrer Musik zu einem Symbol des Widerstands gegen die Diktatur in Chile. Als die Gruppe nach 15 Jahren wieder ins Land einreisen durfte, entschied sie sich, endgültig zurückzukehren. Seitdem mischen sie sich wieder verstärkt in die Probleme vor Ort ein, viele Tourneen führen sie jedoch immer noch ins Ausland.
Im folgenden drucken wir Auszüge aus einem Interview mit Jorge Coulón von der Gruppe Inti-Illimani ab. Es geht dabei um die Erfahrungen des Exils und die Veränderungen der Musik während dieser Zeit, beziehungsweise um die aktuelle Platte.
Interview mit Jorge Coulón (inti illimani)
Frage: Hat das Exil eure politische Einstellung verändert?
J.C.: Ja, natürlich hat es einen starken Einfluß auf uns gehabt – im negativen wie im positiven Sinne. Jedenfalls war eine Veränderung unvermeidlich. Wir fanden uns in einer völlig anderen Realität wieder, inmitten ganz anderer Auseinandersetzungen, Debatten. In Chile hatten die Menschen 17 Jahre lang keine Möglichkeit zu einer wirklichen Diskussion, beziehungsweise sich neuen Ideen zu stellen – hier stagnierte alles. Wir dagegen in Italien taten gar nichts anderes, als permanent zu diskutieren, mit neuen Ideen zu spielen. Wir lebten während des Exils mitten in einem Land, das im politischen Bereich die weltweiten Ereignisse der letzten Jahre vorwegnahm – die italienischen Kommunisten gelangten zum Beispiel zu Positionen, die Gorbatschow später in der Sowjetunion vertrat.
In Chile gibt es aus meiner Sicht zwei Gruppierungen, die in ihrer Ideologie so dogmatisch sind, daß es kaum möglich ist, mit ihnen zu diskutieren: das Militär und die Kommunistische Partei. Der himmelweite Unterschied liegt natürlich darin, daß ich mich den Kommunisten sehr verbunden fühle…
Seid ihr weiterhin eine politische Gruppe?
Wir selbst sehen uns in der Hauptsache nicht als eine “politische” Gruppe – im Sinne einer Botschaft, die wir mit Musik unterlegen. Wir sind Musiker, die politische Positionen haben; wir haben unseren Platz in der Gesellschaft und greifen die vorhandenen Probleme auf. In diesem Sinne sind wir politisch.
Wie beurteilt ihr heute die doch sehr kämpferischen, pamphletarischen Texte, die ihr unter Allende und bis Mitte der siebziger Jahre schriebt?
Eigentlich haben wir immer darauf geachtet, in unseren Texten nicht zu plakativ, zu oberflächlich engagiert zu sein. Eine Ausnahme war natürlich der “Canto al Programa” (eine Sammlung von “Agitprop”-Liedern über die Vorzüge der sozialistischen Regierung). Ansonsten legten wir schon von jeher Wert auf das Poetische in unseren Liedern. Politische Aussagen haben auch ihren Platz, aber für einen Wahlkampf würden wir inzwischen keine Lieder schreiben – dazu wären sie uns viel zu kurzlebig.
Ich glaube, daß unser altes Kampflied aus der Allende-Zeit “El pueblo unido” in seiner Aussage weiterhin gültig bleibt. Da wir jedoch in keinster Weise auf einer Nostalgiewelle reiten wollen, singen wir es fast nur noch im Ausland…
Hat sich das neoliberale Modell aus eurer Sicht auch auf die Musik-Szene in Chile ausgewirkt?
Ich bin nicht der Ansicht, daß Konkurrenz an und für sich schlecht ist – solange es sich um die Gunst des Publikums dreht. Heute gibt es eine harte ökonomische Konkurrenz zwischen den Gruppen. Im Gegensatz zu den Allende-Jahren, als wir “Inti-Illimani” gründeten, gibt es heute natürlich kaum noch eine öffentliche – staatliche – Unterstützung für eine Entwicklung von Musik. Besonders die jungen Musiker haben es schwer, wenn sie sich nicht völlig den Bedingungen des Marktes anpassen wollen. Die Authentizität geht dabei verloren – aber das ist heute freilich überall so. Vielleicht müßte man als Musiker versuchen, wieder einen engeren, direkteren Kontakt zu ihrem Publikum herzustellen. Wenn die Musiker sich gegen die Kommerzialisierung der Musik-Szene wehren wollen, müssen sie ihre gesellschaftliche Funktion wieder wahrnehmen.
Was ist in der Zeit des Exils mit Eurer Musik geschehen?
Wenn man unsere erste und unsere letzte Produktion gegenüberstellte, könnte man einen extremen Bruch feststellen; bezieht man aber all das ein, was in den 20 Jahren dazwischen passiert ist, dann erkennt man durchaus einen langsamen, kontinuierlichen Wandel, eine logische Entwicklung. Das Exil hat uns natürlich enorm beeinflußt, durch Musikstile, die wir in Europa kennenlernten und vorher kaum gekannt hatten – zum Beispiel die mediterrane Musik oder die des Balkans. Auf irgendeine Art und Weise, und sei es unbewußt, haben alle diese Stile ihre Spuren bei uns hinterlassen; in Chile hätten wir uns mit Sicherheit anders entwikkelt.
Was unsere Texte betrifft, so hat sich manches geändert, aber vieles ist immer gleich geblieben: Beispielsweise haben wir von Anfang an auch anspruchsvolle Texte verwendet, Texte von Dichtern wie Patricio Manns, andererseits aber greifen wir Volkslieder und poesía popular auf oder vertonen sie neu. Diese sind zwar auch von “philologischem” Interesse, wichtiger ist aber die gewisse Naivität, die Ursprünglichkeit, die sie auszeichnet.
Auf Eurem letzten Album finden sich neben instrumentalen Stücken einige bekannte lateinamerikanische “Schlager” – wie der vals peruano “Fina Estampa” -, aber nur wenige neue Texte. Seid Ihr vorsichtiger geworden?
Na ja, ich weiß nicht. Vielleicht könnte man das als vorsichtig bezeichnen. Ängstlichkeit ist es jedenfalls nicht. Was die “Schlager” angeht: am Anfang sahen viele es als eine Art Provokation, daß wir diese “Musik zweiter Klasse” spielten. Tatsächlich kennt aber diese Lieder wirklich jeder in Lateinamerika und sie schaffen eine Identität, die man nicht unterschätzen sollte; in den traurigsten und emotionalsten Momenten des Exils haben alle diese Lieder gesungen und nicht etwa das “Venceremos” oder “El pueblo unido”…
Tourneedaten:
Inti-Illimani:
24.05. Amsterdam * 28.05. Berlin, 20 Uhr, Passionskirche am Marheinekeplatz * 01.06. Münster, 20 Uhr, Uni, Hörsaal 1 * 02.06. Trier * 03.06. Halle, Open-Air, tagsüber. (Genaueres bei D. Ott, 0761-31690) * 04.06. Greifswald, Open-Air (siehe Halle).
Quilapayún:
30.04. Leipzig, 14.30 Uhr, Sachsenplatz * 01.05. Erfurt, 11.30 Uhr (Ort erfragen bei D. Ott, 0761-31690) * 07.06. Frankfurt a.M., 16 Uhr, Opernplatz * 09.06. Berlin, 17 Uhr, Lustgarten.