Jagan im Kreuzfeuer
Neubelebung ethnischer Konflikte nach umstrittenem Wahlergebnis
Der Stein des Anstoßes für den afroguyanisch dominierten People’s National Congress (PNC) war die Art und Weise der Siegesverkündung. Obwohl noch 60.000 Stimmen ihrer Auszählung harrten, verkündete der Vorsitzende der Wahlkommission, Doodnauth Singh, bereits den Wahlsieg von Janet Jagan, der weißen, US-amerikanischstämmigen 77jährigen Witwe des im März 1997 verstorbenen Cheddi Jagan (vgl. LN 274). Singh verteidigte seine Position mit dem Argument, daß Jagan schon 45.000 Stimmen in Führung gelegen hätte und somit der Wahlsieg ihr nicht mehr zu nehmen gewesen sei. Der PNC teilt diese Auffassung nun ganz und gar nicht: mit 10.000 Stimmen Vorsprung hätten sie gewonnen, wenn alles mit rechten Dingen zugegangen wäre. Desmond Hoyte, Parteiführer des PNC und Ex-Präsident (1985-92) erklärte eine Woche nach der Wahl nachdrücklich „das Land unregierbar zu machen.“ Seine AnhängerInnen hatten diesem Vorhaben schon Vorschub geleistet. Ausschreitungen, Bombenanschläge und Auseinandersetzungen – noch ohne Todesopfer – zwischen verfeindeten ParteianhängerInnen sind seit der Vereidigung von Janet Jagan am 19. Dezember an der Tagesordnung. In der Form der Vereidigung liegt weiterer Zündstoff. Sie fand nämlich in einer geheimen Zeremonie statt, ohne daß Öffentlichkeit oder Opposition vorab darüber informiert wurden. Doodnauth Singh behauptete, daß dies auf Anraten des Armeechefs Joseph Singh und des Polizeichefs Laurie Lewis geschehen sei, um zu erwartende gewalttätige Proteste zu verhindern. Sowohl Armee- als auch Polizeichef bestreiten jedoch, einen entsprechenden Ratschlag erteilt zu haben. Zudem hatte der PNC auf juristischem Wege versucht – unterstützt von acht anderen Parteien – den Wahlsieg anzufechten und vor allem die Vereidigung der Präsidentin zu verhindern. In erster Instanz wurde der einstweiligen Verfügung auch stattgegeben; demnach hätte Singh keinen Wahlsieger erklären und Janet Jagan weder als Staatspräsidentin eingeschworen werden noch ihre Amtspflichten wahrnehmen dürfen. Das Problem war nur, daß die Gerichtsdiener diesen Beschluß Frau Jagan kurz nach der Vereidigung überbrachten, weshalb sie sich daran nicht gebunden fühlte. Trotz der gerichtlichen Verfügung nahm sie in den folgenden Tagen an der Vereidigung mehrerer Kabinettsmitglieder teil, was die Opposition weiter in Rage brachte.
Die Verfassung frißt ihre Schöpfer
Am 12. Januar mußte schließlich der oberste Gerichtshof über die verfahrene Situation entscheiden. Die oberste Richterin, Desiree Bernard, hob dabei die Verfügung der ersten Instanz auf und erklärte die Präsidentschaft für legal. Ihr Argument: die Verfassung gebe ihr schlicht und ergreifend nicht die Möglichkeit, die Wahlergebnisse und damit die Präsidentschaft aufzuheben. Eben jene Verfassung, die 1980 vom damaligen Parteichef der jetzigen Oppositionspartei PNC, Forbes Burnham, gegen sämtliche gesellschaftliche Widerstände durchgepeitscht wurde. Ex-Diktator Burnham hatte damals dem Staatspräsidenten, sprich sich selbst, in der Verfassung weitreichende Machtbefugnisse zusichern lassen, die sich nun gegen seine eigene Partei wenden. Noch am selben Tag verabschiedete der designierte Ministerpräsident und Interimsstaatspräsident nach Cheddi Jagans Tod, Sam Hinds, einen Erlaß, der Versammlungen und Protestmärsche für einen Monat verbieten sollte. Als weitergehendes Mittel stünde nur noch die Verhängung des Ausnahmezustands zur Disposition. „Die Regierung kann uns mit keinem Mittel an Protesten hindern“, reagierte Desmond Hoyte auf den Erlaß. Schon unmittelbar nach der Gerichtsentscheidung wurden die Proteste mit Vehemenz fortgesetzt. Tausende gingen auf die Straße, zuerst friedlich demonstrierend, um dann in der Nacht zum Dienstag Autoreifen und Kartons in Brand zu setzen sowie Straßensperren zu errichten. Die Polizei wußte sich nur noch mit Tränengas zu helfen.
Neuwahlen als Lösung?
Der Dozent für politische Wissenschaft und Recht an der Universität von Guyana, Mark Kirton, sieht nur in Neuwahlen eine Lösung. Der PNC hätte die erste Runde gewonnen, weil er sich dem Demonstrationsverbot erfolgreich widersetzt hätte. Desmond Hoyte schloß sich dieser Forderung selbstverständlich an, dennoch sind Neuwahlen mehr als unwahrscheinlich. Schließlich wurde die Regierung Jagan nach anfänglichem Zögern inzwischen von vielen Staaten anerkannt, darunter die USA, die Ex-Kolonialmacht Großbritannien und die Mitgliedsstaaten der Caribbean Community (CARICOM), der Guyana angehört. Zunächst hatten nur so illustre Länder wie das Nachbarland Surinam, Dominica, Nordkorea, Brasilien und Ägypten Jagan zu ihrem Wahlsieg gratuliert. Der selbst frischgewählte jamaikanische Ministerpräsident Patterson forderte eine friedliche Lösung des Konflikts, enthielt sich aber vorerst einer Gratulation. Gerade auf die Unterstützung der karibischen Nachbarländer legte Janet Jagan besonderen Wert: „Die lokale, regionale und internationale Situation verlangt, daß wir in der Karibik entweder zusammen schwimmen oder untergehen.“ Die CARICOM ließ sich nicht lumpen und schickte eine ranghohe Abordnung nach Guyana, mit dem derzeitigen Vorsitzenden, dem Ministerpräsidenten Grenadas, Keith Mitchell an der Spitze. Mitchell nannte als Ziel der Friedensmission, der CARICOM, eine unabhängige Einschätzung der Lage in Guyana zu ermöglichen, „um zu versuchen, die Tendenz zur Eskalation der Gewalt zu stoppen.“ Diese unabhängige Einschätzung sah Desmond Hoyte indes schon vor Ankunft der Abordnung am 14. Januar nicht gegeben. Schließlich hätte die CARICOM nach anfänglichem Zögern die Regierung Jagan anerkannt, ohne das Urteil des obersten Gerichtshofes abzuwarten. Dies habe dazu geführt, „die Gefühle im Land aufzupeitschen.“ Immerhin vermochte die CARICOM-Delegation sowohl den PNC als auch die PPP zur Unterzeichnung eines Abkommens zu bewegen und zumindest während der Untersuchung der CARICOM die Demonstrationen auszusetzen. Der Konflikt ist damit natürlich nicht gelöst, zumal der Hintergrund letztlich in der ethnischen Segmentierung Guyanas liegt, die den gesamten Wahlkampf und angesichts des umstrittenen Wahlergebnisses die Zeit danach beherrschte.
Jagan als Streitpunkt
51 Prozent der guyanischen Bevölkerung ist indischstämmig. Sie sind Nachfahren indischer KontraktarbeiterInnen, die zu 94 Prozent auf dem Lande leben und die People’s Progressive Party (PPP) wählen. Diese ist zwar formal multiethnisch orientiert, vertritt aber traditionell die Interessen der Indischstämmigen. Der PNC, hingegen, formal ebenfalls multiethnisch, steht in erster Linie für die Interessen der 39 Prozent Schwarzen und Mulatten, die überwiegend in den Städten leben. Schon die Ankündigung der PPP, die weiße, in den USA geborene Janet Jagan als Präsidentschaftskandidatin zu nominieren, stieß bei den Afrikanischstämmigen auf offene Ablehnung. Dabei lebt die 77jährige schon seit 1943 in Guyana, also um einiges länger als viele der Wähler und WählerInnen. Aber allein die Tatsache, einer jüdischen, US-amerikanischen Familie zu entstammen und überdies den US-amerikanischen Akzent nicht abgelegt zu haben, reichte für viele AfroguyanerInnen aus, sie als unqualifiziert für das höchste Staatsamt anzusehen. Und das, obwohl sie durchaus politische Erfahrung aufzuweisen hat, agierte sie doch seit ihrer Ankunft in Guyana als Gewerkschafterin, Abgeordnete und Ministerin. Das Problem liegt also tiefer: von 1964 bis 1992 waren die AfroguyanerInnen mittels des PNC und regelmäßigen Wahlbetrugs an der Macht. 1992 fanden nach langer Zeit erstmals wieder ‘relativ’ korrekte Wahlen statt.
Fünf Jahre PPP-Regierung
Die PPP gewann, was bei der Bevölkerungszusammensetzung auch nicht weiter verwundern kann. In den letzten fünf Jahren fühlen sich nun viele AfroguyanerInnen übervorteilt, wie die Jahre zuvor eben die IndoguyanerInnen. Der afroguyanische Herausgeber einer Monatszeitung, Gerald Wilabus, drückt das Empfinden vieler AfroguyanerInnen aus: die ausschließende Politik der PPP habe viele Schwarze während der letzten 5 Jahre marginalisiert. Die Aussicht nun weitere 5 Jahre der gleichen Regierung ausgesetzt zu sein, habe die Spannungen zwischen den Afro- und IndoguyanerInnen immens erhöht. Zumindest der Informationsminister der PPP, Moses Nagamootoo, zeigt sich einsichtig. Man müsse die Beziehungen zwischen den Ethnien überdenken und anders gestalten. Er will mit gutem Beispiel vorangehen und bei den öffentlichen Gesellschaften unter seiner Ägide dafür sorgen, daß die Minderheiten zu mindestens 50 Prozent im Vorstand vertreten sind. Dem Vorsatz müssen nun aber auch Taten folgen. Denn schon 1992 wurde eine Kommission für die ethnischen Beziehungen eingerichtet, die selbst nach Meinung der Regierung wirkungslos blieb. Dieser Einschätzung kann angesichts des Wahlkampfs und den darauffolgenden Auseinandersetzungen nur beigepflichtet werden.