Nicaragua | Nummer 371 - Mai 2005

Jeder mit jedem gegen die anderen

Daniel Ortega schließt seinen unliebsamen Konkurrenten Herty Lewites aus der FSLN aus

Mehr als ein Jahr vor dem offiziellen Beginn des Wahlkampfes um die Präsidentschaft tobt in Nicaragua bereits ein Machtkampf um die Kandidaturen. Seinen vorläufigen Höhepunkt fand dieser darin, dass FSLN-Chef Daniel Ortega den Ex-Bürgermeister von Managua, Herty Lewites, aus der Partei ausschließen und sich selbst zum Kandidaten krönen ließ. Die Parteibasis jedoch unterstützt mehrheitlich Lewites. Gleichzeitig lähmt ein Machtkampf zwischen Regierung und Legislative das Land. Im Parlament haben sich FSLN und Liberale gegen Präsident Enrique Bolaños verbündet.

Ralf Leonhard

Selbstherrlich hat sich Daniel Ortega, Chef der Sandinistischen Befreiungsfront (FSLN), am 7. März zum Präsidentschaftskandidaten seiner Partei ausrufen lassen. Vorwahlen werden diesmal nicht stattfinden. Damit entzieht sich der ehemalige Revolutionskommandant einem Kräftemessen mit seinem Herausforderer Herty Lewites, der als ehemaliger Bürgermeister von Managua (2000-2004) enorme Popularität genießt. Doch Lewites wurde nicht nur mittels einer vor zwei Jahren beschlossenen Statutenänderung die Kandidatur untersagt. Nebst seinem Wahlkampfmanager Víctor Hugo Tinoco wurde er außerdem aus der Partei ausgeschlossen. Die Verwendung der rot-schwarzen Farben und anderer Symbole der FSLN ist ihm nicht gestattet. Doch er hat Ortega, der sich bereits zum fünften Mal um die Präsidentschaft bewirbt, den Kampf angesagt.

Lewites hat die Basis hinter sich

Wenn Vorwahlen unter fairen Bedingungen stattfänden, könnte sich der Sohn jüdischer Einwanderer seines Sieges sicher sein. Jüngste Meinungsumfragen bescheinigen Lewites 59 Prozent Unterstützung bei den sandinistischen WählerInnen. Daniel Ortega kommt dagegen nur auf knapp über zehn Prozent. Auch wenn man in Rechnung stellt, dass die Umfrage von der konservativen Zeitung La Prensa in Auftrag gegeben wurde, die offen mit Lewites sympathisiert, so wird doch ein Trend bestätigt, der sich auch bei öffentlichen Veranstaltungen zeigt. Während Daniel Ortega vor allem die Parteisoldaten zu seinen Veranstaltungen kommandieren kann, bekommt sein Herausforderer spontanen Zulauf von all jenen, die sich nach mehr als 20 Jahren eine echte Erneuerung wünschen. Parolen, wie sie früher gegen die USA oder die Somoza-Diktatur skandiert wurden, werden jetzt gegen die Ortega-Clique gerichtet. Auch KünstlerInnen und Intellektuelle, die sich nach und nach von der „orthodoxen“ Linie der Partei entfernt haben, finden in Lewites einen neuen Hoffnungsträger: Carlos Mejía Godoy, Autor zahlloser Revolutionsschlager, komponierte ihm eigens eine Wahlkampfhymne. Und auch der Dichter Ernesto Cardenal fand sich in seinem Lager ein, ebenso wie die Schriftsteller Sergio Ramírez und Gioconda Belli. Ramírez erkennt an, dass Lewites es geschafft habe, die Basis mitzureißen, anders als er selbst vor zehn Jahren mit seiner abgespaltenen Sandinistischen Erneuerungsbewegung (MRS). Zuversichtlich meint Ramírez: „Ich glaube, jedes Mal, wenn Daniel Ortega und dessen Klüngel über Herty Lewites herfallen, wird dieser stärker.“
Daniel Ortega lässt unterdessen seine Frau Rosario Murillo in der Presse rufmörderische Artikel über Herty Lewites lancieren. Darin stellt sie den ehemaligen Tourismusminister der Revolutionsregierung als kleinbürgerlichen Geschäftemacher dar, der sich vor dem bewaffneten Kampf gegen die Diktatur gedrückt habe. Auch alte Etiketten der politischen Diffamierung wie „Verräter“ und „CIA-Agent“ werden dem lästigen Herausforderer angehängt. Manche Drohung kann gar als Aufruf zur Gewalt gegen Lewites verstanden werden.

Rivalität alter Bekannter

Der Konflikt zwischen den beiden Politikern begann bereits vor zehn Jahren, als Herty Lewites sich erstmals um das Bürgermeisteramt von Managua bewerben wollte. Die FSLN stellte jedoch den Ortega-Vertrauten Carlos Guadamuz auf. Daraufhin gründete Lewites die Bürgerliste Sol, die einen Achtungserfolg erzielte und den Sieg des Liberalen Carlos Cedeño ermöglichte. Fünf Jahre später konnte Lewites sich als offizieller sandinistischer Kandidat durchsetzen und gewann. Aber im Wahlkampf und während seiner Amtsführung bemühte er sich um größtmögliche Überparteilichkeit. Ortega-AnhängerInnen, die der Korruption überführt wurden, feuerte er.
Als Daniel Ortega 2001 erneut im Kampf um die Präsidentschaft unterlag, bemühte sich Herty Lewites um ein korrektes Verhältnis zu Präsident Enrique Bolaños. Seine diskret ausgeübte Brückenfunktion lag durchaus auch im Interesse von Daniel Ortega, ging es doch darum, Ex-Präsident Arnoldo Alemán mit einer breiten politischen Allianz vor Gericht und hinter Gitter zu bringen. Alemán konnte tatsächlich seiner Immunität als Abgeordneter entkleidet und wegen Korruption verurteilt werden. Doch die USA goutierten dieses Bündnis nicht und veranlassten Präsident Bolaños, die Allianz mit den Sandinisten aufzugeben und die Einheit der Liberalen anzustreben. Seither wird die Innenpolitik noch stärker von Intrigen beherrscht: Daniel Ortega paktiert mit dem inzwischen in Hausarrest entlassenen Arnoldo Alemán, um die wichtigsten Posten in Justiz und anderen Institutionen zwischen den beiden Parteien aufzuteilen. Die Gruppe um Lewites hält eine Gesprächsbasis zum Präsidenten aufrecht und lässt kein gutes Haar am Kuhhandel der zwei Caudillos.
Daniel Ortega hat mittlerweile sogar in einem Interview mit der spanischen Zeitung El País zugegeben, dass Lewites größere Aussichten auf einen Wahlsieg habe, ließ jedoch durchblicken, dass es ihm lieber sei, wie bisher aus der Opposition zu agieren. Das ist auch die wahrscheinlichste Perspektive. Denn ein sandinistischer Kandidat hat nur Chancen, wenn das konservative Lager – wie derzeit – gespalten ist. Teilen sich aber auch die sandinistischen Stimmen, ist eine Verlängerung der liberal-konservativen Herrschaft abgesichert.

Ringen um Verfassungsreform

Daniel Ortegas eigenartige Allianz mit dem in Hausarrest sitzenden Ex-Präsidenten Arnoldo Alemán erbost nicht nur so manche ParteigenossInnen, sie hat das Land in ein rechtliches Limbo versetzt. Denn keiner weiß derzeit, ob Verfügungen des Präsidenten oder der Nationalversammlung rechtsgültig sind. Anfang des Jahres hatte die Nationalversammlung mit den Stimmen von FSLN und Liberalen eine Verfassungsreform beschlossen, die die Macht des Parlaments stärkt und die Rechte des Präsidenten einschränkt. Unter anderem ist die Legislative seither befugt, die DirektorInnen staatlicher Institutionen zu benennen. Präsident Bolaños rief daraufhin den Zentralamerikanischen Gerichtshof an, um diese Reform anzufechten, und bekam auch Recht. Daraufhin brachte das Parlament die Sache vor den Obersten Gerichtshof, der wiederum mit Vertrauensleuten von Ortega und Alemán besetzt ist. Dieser erklärte die Reform erwartungsgemäß für rechtens, was zu unklaren Verhältnissen bezüglich der Machtbefugnisse im Land führte und das politische Leben zum Stillstand brachte.
Die Vereinigung der zivilgesellschaftlichen Organisationen, die die ungesunde Stärkung der extrem machtpolitisch agierenden Legislative kritisiert, hat sich in dieser Frage auf die Seite der Exekutive geschlagen obwohl sie ansonsten gegen die Privatisierungspläne des Präsidenten eintritt, und eine Unterschriftenkampagne dagegen initiierte.
Enrique Bolaños, der sich von der vereinigten Opposition in die Enge getrieben sieht, rief den Ausnahmezustand aus, der von der Justiz prompt außer Kraft gesetzt wurde. Wie das Kräftemessen ausgeht, ist noch nicht abzusehen. Denn auch der Dreiergipfel, den Daniel Ortega zur Entschärfung der Institutionenkrise vorgeschlagen hat, will nicht so recht vorankommen.

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