Kolumbien | Nummer 449 - November 2011

Journalisten als Feinde der Demokratie beschimpft

Interview mit dem kolumbianischen Journalisten Hollman Morris Rincón

Mit Reportagen über den kolumbianischen Bürgerkrieg und seine Opfer ist der 42-jährige Journalist Hollman Morris Rincón national und international bekannt geworden. Am 25. September erhielt er den Menschenrechtspreis der Stadt Nürnberg. Nach zahlreichen Morddrohungen lebt Morris mit seiner Familie derzeit in Washington mit einem Stipendium der Harvard University.

Interview: Knut Henkel

Herr Morris, Sie haben den Menschenrechtspreis der Stadt Nürnberg erhalten. Welche Bedeutung hat der Preis für Sie?
Das ist eine Botschaft an die Journalisten in Kolumbien, in ihrer Arbeit auch auf die Opfer der Gewalt zu achten. Mit dem Preis will man aus meiner Sicht diejenigen Journalisten unterstützen, die in allen Winkeln der Erde unterwegs sind, um auf humanitäre Dramen aufmerksam zu machen und die Opfer zu Wort kommen zu lassen. Zugleich ist der Preis aber auch ein Appell, die Erinnerungsarbeit und die solide Recherche zu fördern – um beides ist es in Kolumbien nicht zum Besten gestellt.

Sie haben 2010 Kolumbien verlassen, wenige Tage bevor Juan Manuel Santos als neuer Präsident vereidigt wurde. Warum?
Ich hatte mich für das Stipendium der Nieman Foundation bei der Harvard University beworben und wollte einmal mit meiner Familie in Ruhe leben. Schließlich war ein paar Monate vor der Wahl nicht einmal klar, ob Álvaro Uribe Vélez für eine dritte Amtszeit kandidieren würde. Das wäre für mich persönlich und meine Familie sicherlich riskant gewesen. Andererseits war ich nach all den Jahren der Arbeit unter diesen Bedingungen ausgebrannt. Ich habe mich daher entschieden, eine Pause einzulegen und das Forschungsstipendium anzunehmen. (Das Programm der Nieman Foundation soll ausländischen Journalist_innen, die zur Zielscheibe werden, weil sie Diktatoren und privilegierte Oligarchien herausfordern, eine sichere, wenn auch nur zeitweilige Zuflucht bieten, Anm.d.Red.)

Im September 2011 hat der Oberste Gerichtshof den ehemaligen Geheimdienstchef Jorge Noguera zu 25 Jahren Haft wegen der Bildung einer kriminellen Vereinigung verurteilt. Wie denkt jemand, der vom Geheimdienst systematisch bespitzelt wurde, über das Urteil?
Es ist ein Fortschritt, ein Signal des Obersten Gerichtshofs an die demokratischen Strukturen in Kolumbien. Mit dem Urteil ist bewiesen, dass der Geheimdienst DAS von Paramilitärs infiltriert wurde. Das hatten Recherchen von Journalisten der Wochenzeitung Semana und andere Medien ans Tageslicht gefördert. Man sollte in diesem Kontext nicht vergessen, dass der damalige Präsident Álvaro Uribe Vélez sich trotz erster Beweise öffentlich vor seinen Geheimdienstchef gestellt hat und die Journalisten der Semana vehement beschimpfte. Warum? Weil sie akribisch recherchiert hatten. Ihnen wurde vom obersten Repräsentanten des Landes unterstellt, dass sie ihre Arbeit nicht richtig gemacht hätten. Auch aus dieser Perspektive, der eines Journalisten, halte ich das Urteil für sehr wichtig.

Der DAS hat auch systematisch oppositionelle Politiker, Menschenrechtsaktivisten und Journalisten wie Sie ausspioniert…
Ja, und da steht ein Urteil gegen Noguera und die anderen Verantwortlichen noch aus.

Sie haben Kolumbien vor einem Jahr verlassen, weil Sie und ihre Familie nicht mehr sicher waren. Denken Sie derzeit an eine Rückkehr?
Derzeit habe ich meine Arbeit hier in Washington, wo ich mit meiner Familie endlich einmal Luft holen kann. Ich lerne Englisch und arbeite an einer Studie zum Geheimdienst in Kolumbien, habe Verpflichtungen in Washington. Natürlich verfolge ich die Entwicklung in Kolumbien und es ist positiv, dass sich der Ton der Regierung merklich verändert hat. Jedoch macht das die Angriffe aus dem Präsidentenpalast nicht ungeschehen. Eine öffentliche Richtigstellung ist aus meiner Sicht und aus der vieler Kollegen angebracht, denn es war schließlich kein Dorfpolizist, der uns als Feinde der Demokratie bezeichnet hat.

Es war der Präsident persönlich – eine Extremsituation?
Ja, definitiv, denn so wie ich haben viele Kollegen, die über den Konflikt in Kolumbien mit all seinen Facetten berichteten, schlicht Angst. Eine so extreme Situation habe ich in den siebzehn Jahren meiner Berufserfahrung nie erlebt und ich bin nie zuvor persönlich durch den Präsidenten angegriffen und diffamiert worden.

Wie beurteilen Sie die aktuelle Situation in Kolumbien nach einem Jahr unter Juan Manuel Santos? Der erhielt international viel Beifall.
Ich denke, dass die neue Regierung mit dem Landgesetz und dem Gesetz der Opfer die Initiative ergriffen und Hoffnung gesät hat. Noch wichtiger ist vielleicht der neue Umgangston, der weniger aggressiv ist. Die politische Oposition wird nun mit Respekt behandelt, gleiches gilt für die Menschenrechtsverteidiger. Allerdings fehlen konkrete Taten und damit meine ich die Wiederherstellung des guten Leumunds der Menschenrechtsorganisationen, der Journalisten und Anwälte. Sie wurden systematisch stigmatisiert und delegitimiert – und das ist in Kolumbien gleichbedeutend mit einer Todesdrohung. Auch die Medienkommission der Organisation Amerikanischer Staaten hat in diesem Sinne an die kolumbianische Regierung appelliert.

Gibt es denn Signale, dass eine derartige offizielle Entschuldigung aus dem Präsidentenpalast kommen könnte?
Es hat in den ersten Monaten der Regierung Signale gegeben, derzeit aber nicht. Aber da bin ich aus Informationen aus Kolumbien angewiesen, denn ich lebe seit einem Jahr in den USA.

Glauben Sie, dass diese Regierung den Willen aufbringt, die politischen Strukturen der letzten acht Jahre zu ändern?
Was ich sehe, sind Widersprüche im politischen Diskurs der Regierung. So hat Präsident Santos beim Regierungsantritt angekündigt, dass er die Justiz in Kolumbien respektieren werde. Im Mai hat er jedoch ein Urteil der Gerichte gegen den General Jesús Armando Arias Cabrales wegen Menschenrechtsverbrechen im Kontext der Erstürmung des Justizpalastes 1985 kritisiert.

Ist guter Journalismus in Kolumbien noch möglich?
Mir gefällt, was die investigative Abteilung der Wochenzeitung Semana recherchiert, ich bin auch froh, dass die Tageszeitung El Espectador die Wikileaks-Depeschen erhalten hat und sie auswertet und publiziert. Es gibt nach wie vor gute Medien in Kolumbien, aber es müsste mehr und vor allem vielfältigere Medien geben. Kolumbien ist das Land mit den meisten Binnenflüchtligen weltweit, aber es gibt nur El Tiempo als einzige überregionale Tageszeitung, zwei große Fernsehkanäle und zwei Radionetze. Das ist nicht sonderlich gesund für eine Demokratie. Aus meiner Sicht ist Kolumbien ein krankes Land, welches dringend medizinische Hilfe braucht.

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