Chile | Nummer 197 - November 1990

Journalistenverfolgung – wie gehabt!

Jens Holst

Es war wie in alten Zeiten. Juan Pablo Cárdenas saß morgens in seinem Büro in der Redaktion der Zeitschrift análisis, als jemand nach ihm verlangte, weil angeblich eines seiner Kinder verunglückt war. Doch der vermeintliche Sanitäter entpuppte sich sogleich als Geheimpolizist, der zudem nicht alleine kam, son­dern von zwei weiteren Agenten begleitet war. Einmal in den Redaktionsräumen der Oppositionszeitschrift, erklärten die drei Eindringlinge Cárdenas für verhaf­tet – ein Haftbefehl lag wie üblich nicht vor. Und so kam der Chefredakteur von análisis mal wieder ins Gefängnis, wo er schon so viele Monate seines Lebens zugebracht hatte.
Gerade vor dem Hintergrund der langen Liste von Gerichtsverfahren, Festnah­men, Haftstrafen und Einschüchterungsversuchen gegen seinen mutigen und entschiedenen Journalismus – vor einem Jahr wurde sogar sein Wohnhaus in einem Dorf südlich von Santiago von den berühmten “Unbekannten” in Brand gesteckt, zum zweiten Mal übrigens – erschiene die erneute Verhaftung von Cár­denas auf den ersten Blick nicht weiter verwunderlich. Aber…, hat sich in Chile in der Zwischenzeit nicht einiges verändert?. Gibt es dort nicht eine demokra­tisch gewählte Regierung unter dem Christdemokraten Patricio Aylwin? “Wie in den besten Zeiten der Diktatur” sagen die Spötter, “Problem des Übergangs (zur Demokratie)” sagen andere. Denn neben Juan Pablo Cárdenas wurden auch der Chefredakteur der kommunistischen Zeitung El Siglo, Juan Andrés Lagos, und ein Kommentarist von análisis, Alfonso Stephens, verhaftet. Allen wird im Prinzip dieselbe Anklage zur Last gelegt: Verunglimpfung der Streitkräfte. Auch das ist ein alter Hut aus der Zeit der Diktatur. Es bleibt festzustellen, daß die Prozesse gegen Journalisten der verschiedenen oppositionellen Medien seit der Amtsübernahme von Patricio Aylwin keineswegs abgenommen haben, son­dern genau das Gegenteil ist der Fall. Denn praktisch jede Enthüllung über Men­schenrechtsverletzungen in der Zeit der Pinochet-Herrschaft zieht nahezu un­weigerlich eine Strafanzeige des Heeres wegen Beleidigung der Streitkräfte nach sich.
Die gespaltene Haltung der christdemokratisch dominierten Regierung in dieser Frage. Bei der Eröffnung der 4. lateinamerikanischen Pressekonferenz in Santiago verließ Innenminister Enrique Krauss (DC) abrupt den Saal, als er zwei der Jour­nalisten erblickte, gegen die bereits Haftbefehle vorlagen: Juan Pablo Cárdenas und den Herausgeber von El Siglo, Guillermo Torres. Diese Geste mutet vor allem deshalb eher skurril an, weil der Minister andererseits seine moralische Unterstützung für die verfolgten Pressevertreter zum Ausdruck gebracht hatte. Fortsetzung des Altbekannten? Oder doch nur Probleme des Übergangs?
Eins hat sich mittlerweile auf jeden Fall geändert: Die Verfolgung der so oft beschworenen “Verunglimpfung der Streitkräfte” fällt ab sofort nicht mehr in die Verantwortung der Militärjustiz, sondern wird nun vor ordentlichen Gerichten verhandelt. Das heißt in erster Linie auch, daß in diesen Fällen keine Haftbefehle mehr von einem Militärstaatsanwalt ausgestellt und die Festnahmen nicht von mehr oder weniger geheimdienstlichen Armeeangehörigen durchgeführt werden dürften. Ob sich das Heer damit zufrieden geben wird, bleibt abzuwarten.
Und noch etwas Erfreuliches: Juan Pablo Cárdenas, der u.a. wegen eines abge­druckten Leserbriefs (!) verhaftet worden war, ist wieder frei. Sein Kollege Lagos von El Siglo sitzt allerdings noch im Gefängnis, der Kommentarist Stephens ebenfalls. Der Übergang zur Demokratie erfordert eben bestimmte Opfer…

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