Kein Artikel von Gunther Dietz
LN-Mitarbeiter verhaftet und ausgewiesen
Seit Juli dieses Jahres untersucht Gunther Dietz im Rahmen eines Dissertationsstipendiums der Friedrich-Ebert-Stiftung Transformationsprozesse in den Indígena-Gemeinden der Meseta Purhépecha im mexikanischen Bundesstaat Michoacán. Er arbeitet auch für die Indígena-Nachrichtenagentur AIPIN (Agencia Internacional de Prensa India), die auf dem ganzen Kontinent tätig ist und über einen Beobachterstatus bei den Vereinten Nationen verfügt. Mit mehreren AIPIN-MitarbeiterInnen begleitete er einen 60 Kilometer langen Protestmarsch der Purhépecha-Indígenas nach Morelia, der Hauptstadt des Bundesstaates Michoacán.
Die Entführung
Nach Abschluß der Indígena-Proteste wurde er am 28. September von drei bewaffneten Männern in Zivil festgenommen, als er am Busbahnhof von Morelia auf die Rückfahrt nach Purhépecha wartete. Dietz wurde in ein zweites Auto verfrachtet, wobei es den Entführern gelang, Rogelio Marcado, Leiter des AIPIN-Regionalbüros von Michoacán, abzuschütteln, und wurde in die rund 500 Kilometer entfernte Hauptstadt (Mexiko, D.F.) gefahren.
Einer der Männer, die ihn verhaftet hatten, gab sich als Mitglied der „Nationalen Sicherheit“ (Seguridad Nacional), einer Art Geheimpolizei, aus. Der Hamburger Wissenschaftler erhielt keinerlei Gelegenheit, sich mit seiner Frau oder mit einem Vertreter der Deutschen Botschaft in Verbindung zu setzen.
Die Verhöre
In der Hauptstadt angekommen, wurde Gunther Dietz in die Einwanderungsbehörde (Instituto Nacional de Migración) gebracht, wo ihm zuerst seine Tasche mit persönlichen Papieren und Unterlagen von AIPIN abgenommen wurde. Anschließend begann ein mehrstündiges Verhör durch zehn (!) Männer einer „Grupo Especial“, wobei er permanent gefilmt und seine Aussagen auf Tonband aufgenommen wurden. Obwohl er mehrmals auf den offiziellen Charakter seiner Studien hinwies und auch mehrere Kontakte zu Regierungsstellen angeben konnte, wurde er lediglich über politische Kontakte in Michoacán ausgefragt und seine Arbeit als subversiv dargestellt.
Nach einer kurzen Pause wurde das Verhör weiter intensiviert und mehrere Stunden fortgesetzt. Ihm wurde sogar vorgehalten, daß er mit anderen AusländerInnen an einem „Komplott“ in der Meseta Purhépecha beteiligt sei. Dabei wurden ihm unzählige Fotos von AusländerInnen vorgelegt, die angeblich „Indios aufstacheln“. Auf vielen der Fotos waren fünf seiner StudentInnen aus Hamburg zu sehen, mit denen er im Juli im Rahmen einer Exkursion der Universität Hamburg eine empirische Studie in Michoacán durchgeführt hatte. Je länger das Verhör dauerte, um so abstruser wurden die Anschuldigungen: Zwischenzeitlich rückte er sogar zum Organisator einer Indígena-Rebellion auf.
Erst am Abend wurde ihm erlaubt, die Botschaft zu benachrichtigen und seine Frau anzurufen, die daraufhin die „Mexikanische Liga für Menschenrechte“ einschaltete, welche sich – allerdings vergeblich – um seine Freilassung bemühte. Auch die Intervention der Friedrich-Ebert-Stiftung und des PEN-International blieb ohne Wirkung.
Statt dessen wurde er um Mitternacht zum dritten Mal verhört. Thema diesmal: Der Aufstand der ZapatistInnen und seine Kontakte zu Volks- und Nichtregierungsorganisationen in Chiapas – dabei war Gunther Dietz noch nie in Chiapas. Erst weit nach Mitternacht und nachdem er die Stimme verloren hatte, wurden die Verhöre beendet. Ohne die Verhörprotokolle ausreichend einsehen zu können, mußte Gunther Dietz diese unterschreiben, bevor er in ein Gefängnis gefahren und bis zum nächsten Morgen in eine Einzelzelle gesperrt wurde. Zum ersten Mal nach eineinhalb Tagen durfte er einige Stunden schlafen.
Die Ausweisung
Am nächsten Tag wurde er zwar von einem Arzt im Gefängnis untersucht, doch weder seine Stimmbänder noch seine Grippe wurden behandelt. Sofort nach dem Arztbesuch wurde er zum internationalen Flughafen gefahren, wo er erneut bis zum Abend eingesperrt wurde. Ein Vertreter der Migrationsbehörde erklärte ihm, daß seine Behörde keinerlei Einfluß auf seinen Fall habe. Die Entscheidung würde von der Geheimpolizei getroffen.
Um acht Uhr abends erfuhr er von einem Lufthansa-Angestellten, daß er ausgewiesen und mit der nächsten Maschine eine halbe Stunde später nach Frankfurt geflogen werden würde. Dort kam er krank und ohne Geld am nächsten Tag an, und fuhr per Anhalter zehn Stunden nach Hamburg.
Erst dort konnte er erneut Kontakt mit seiner Frau aufnehmen, die seit dreißig Stunden keine Nachricht mehr von ihm hatte. Fast unnötig anzumerken, daß er weder seine Tasche mit den Dokumenten zurückerhielt, noch die Papiere, die er unterschreiben mußte. Bis heute hat er den offiziellen Grund seiner Ausweisung nicht erfahren.
Gezielte Repression
Die gesamten Umstände der Verhaftung und Ausweisung von Gunther Dietz weisen darauf hin, daß er Opfer der gezielten Repression der mexikanischen Regierung geworden ist. Nicht zum ersten Mal hat die Regierung ihr unliebsame AusländerInnen des Landes verwiesen. Wer nicht nach Mexiko kommt, um in die neoliberale Wirtschaft zu investieren und Geschäfte zu machen oder alte Azteken- und Maya-Tempel zu besichtigen und die schönen Strände zu genießen, ist verdächtig. Und wer sich für die Lage der Ärmsten der Armen, der Indígenas, interessiert, ist ganz besonders verdächtig. Insbesondere deren Lage hat sich durch NAFTA, den Freihandelsvertrag mit den USA und Kanada, noch weiter verschlechtert. Doch Chiapas hat gezeigt, daß die Indígenas nicht mehr bereit sind, Unterdrückung und Ausbeutung ohne Gegenwehr weiter zu akzeptieren. Veränderung ist angesagt. Doch statt auf Entwicklung setzt die mexikanische Regierung weiterhin auf Repression. Zeugen, zumal aus dem Ausland, sind da unerwünscht.