Mexiko | Nummer 245 - November 1994

Kein Artikel von Gunther Dietz

LN-Mitarbeiter verhaftet und ausgewiesen

Eigentlich sollte an dieser Stelle eine Analyse der politischen Entwicklung in Mexiko nach den Präsidentschaftswahlen vom August dieses Jahres erschei­nen. Daraus ist nichts geworden. Gunther Dietz, Kulturwissenschaftler an der Univer­sität Hamburg und seit Anfang dieses Jahres Mitarbeiter der Lateiname­rika Nachrichten (vgl. LN 237, 239 und 243/244), der diesen Artikel schreiben wollte, wurde selbst Opfer der Re­pression, über die er schon mehrfach berichtet hat.

M.K.

Seit Juli dieses Jahres untersucht Gunther Dietz im Rahmen eines Dissertationssti­pendiums der Friedrich-Ebert-Stiftung Transforma­tionsprozesse in den Indígena-Gemeinden der Meseta Purhépecha im mexikani­schen Bundesstaat Michoacán. Er arbeitet auch für die Indígena-Nachrichten­agentur AIPIN (Agencia In­ternacional de Prensa India), die auf dem ganzen Kontinent tätig ist und über einen Beobachterstatus bei den Vereinten Na­tionen verfügt. Mit mehre­ren AIPIN-Mit­arbeiterInnen begleitete er einen 60 Ki­lometer langen Protestmarsch der Purhé­pecha-Indígenas nach Morelia, der Haupt­stadt des Bundesstaates Michoacán.
Die Entführung
Nach Abschluß der Indígena-Proteste wurde er am 28. September von drei be­waffneten Männern in Zivil festgenom­men, als er am Busbahnhof von Morelia auf die Rückfahrt nach Purhépecha war­tete. Dietz wurde in ein zweites Auto ver­frachtet, wobei es den Entführern gelang, Rogelio Marcado, Leiter des AIPIN-Re­gionalbüros von Michoacán, abzuschüt­teln, und wurde in die rund 500 Kilometer entfernte Hauptstadt (Mexiko, D.F.) ge­fahren.
Einer der Männer, die ihn verhaf­tet hatten, gab sich als Mitglied der “Nationalen Si­cherheit” (Seguridad Nacional), einer Art Geheimpolizei, aus. Der Hamburger Wissen­schaftler erhielt kei­nerlei Gelegen­heit, sich mit seiner Frau oder mit einem Ver­treter der Deutschen Botschaft in Verbin­dung zu setzen.
Die Verhöre
In der Hauptstadt angekommen, wurde Gunther Dietz in die Einwanderungsbe­hörde (Instituto Nacional de Migración) gebracht, wo ihm zuerst seine Tasche mit persönlichen Papieren und Unterlagen von AIPIN abgenommen wurde. Anschließend begann ein mehrstündiges Verhör durch zehn (!) Männer einer “Grupo Especial”, wobei er permanent gefilmt und seine Aussagen auf Tonband aufgenommen wurden. Obwohl er mehrmals auf den of­fiziellen Charakter seiner Studien hinwies und auch mehrere Kontakte zu Regie­rungsstellen angeben konnte, wurde er le­diglich über politische Kontakte in Mi­choacán ausgefragt und seine Arbeit als subversiv dargestellt.
Nach einer kurzen Pause wurde das Ver­hör weiter intensi­viert und mehrere Stun­den fortgesetzt. Ihm wurde sogar vorge­halten, daß er mit anderen AusländerInnen an einem “Komplott” in der Meseta Pur­hépecha beteiligt sei. Dabei wurden ihm unzählige Fotos von AusländerInnen vor­gelegt, die angeblich “Indios aufstacheln”. Auf vielen der Fotos waren fünf seiner StudentInnen aus Hamburg zu sehen, mit denen er im Juli im Rahmen einer Exkur­sion der Uni­versität Hamburg eine empiri­sche Studie in Michoacán durchgeführt hatte. Je län­ger das Verhör dauerte, um so abstruser wurden die Anschuldigungen: Zwischen­zeitlich rückte er sogar zum Or­ganisator einer In­dígena-Rebellion auf.
Erst am Abend wurde ihm erlaubt, die Botschaft zu benachrichtigen und seine Frau anzurufen, die daraufhin die “Mexikanische Liga für Menschenrechte” einschaltete, welche sich – allerdings ver­geblich – um seine Freilassung bemühte. Auch die Intervention der Friedrich-Ebert-Stiftung und des PEN-International blieb ohne Wirkung.
Statt dessen wurde er um Mitternacht zum dritten Mal verhört. Thema diesmal: Der Aufstand der ZapatistInnen und seine Kontakte zu Volks- und Nichtregierungs­organisationen in Chiapas – dabei war Gunther Dietz noch nie in Chiapas. Erst weit nach Mitternacht und nachdem er die Stimme verloren hatte, wurden die Ver­höre been­det. Ohne die Verhörprotokolle ausrei­chend einsehen zu können, mußte Gunther Dietz diese unterschreiben, bevor er in ein Gefängnis gefahren und bis zum nächsten Morgen in eine Einzelzelle ge­sperrt wurde. Zum ersten Mal nach ein­einhalb Tagen durfte er einige Stunden schlafen.
Die Ausweisung
Am nächsten Tag wurde er zwar von ei­nem Arzt im Gefängnis untersucht, doch weder seine Stimmbänder noch seine Grippe wurden behandelt. Sofort nach dem Arztbesuch wurde er zum internatio­nalen Flughafen gefahren, wo er erneut bis zum Abend eingesperrt wurde. Ein Vertreter der Migrationsbehörde erklärte ihm, daß seine Behörde keinerlei Einfluß auf seinen Fall habe. Die Entscheidung würde von der Geheimpolizei getroffen.
Um acht Uhr abends erfuhr er von einem Luft­hansa-Angestellten, daß er ausgewie­sen und mit der nächsten Maschine eine halbe Stunde später nach Frankfurt geflo­gen werden würde. Dort kam er krank und ohne Geld am nächsten Tag an, und fuhr per Anhal­ter zehn Stunden nach Hamburg.
Erst dort konnte er erneut Kontakt mit sei­ner Frau aufnehmen, die seit dreißig Stun­den keine Nachricht mehr von ihm hatte. Fast unnö­tig anzumerken, daß er weder seine Ta­sche mit den Doku­menten zu­rückerhielt, noch die Papiere, die er unter­schreiben mußte. Bis heute hat er den of­fiziellen Grund seiner Ausweisung nicht erfahren.
Gezielte Repression
Die gesamten Umstände der Verhaftung und Ausweisung von Gunther Dietz weisen darauf hin, daß er Opfer der gezielten Re­pression der mexikanischen Regierung geworden ist. Nicht zum ersten Mal hat die Regierung ihr unliebsame Ausländer­Innen des Landes verwiesen. Wer nicht nach Mexiko kommt, um in die neolibe­rale Wirtschaft zu investieren und Ge­schäfte zu machen oder alte Azte­ken- und Maya-Tempel zu besichtigen und die schönen Strände zu genießen, ist verdäch­tig. Und wer sich für die Lage der Ärm­sten der Armen, der Indígenas, inter­essiert, ist ganz besonders verdächtig. Ins­besondere deren Lage hat sich durch NAFTA, den Freihandelsvertrag mit den USA und Kanada, noch weiter ver­schlechtert. Doch Chiapas hat gezeigt, daß die Indígenas nicht mehr bereit sind, Un­terdrückung und Ausbeutung ohne Ge­genwehr weiter zu akzeptieren. Verände­rung ist angesagt. Doch statt auf Ent­wicklung setzt die mexikanische Regie­rung weiterhin auf Repression. Zeugen, zumal aus dem Ausland, sind da uner­wünscht.

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