Aktuell | Argentinien | Nummer 599 - Mai 2024

Kniefall vor Washington

Die Regierung in Argentinien richtet ihre Außenpolitik an den USA aus und nutzt die Gunst der Stunde für ihren Kampf gegen China

Nicht nur wirtschafts- und sozialpolitisch krempelt Präsident Javier Milei Argentinien um. Auch in der Außen- und der sogenannten Sicherheitspolitik bedeutet sein Amtsantritt am 10. Dezember 2023 eine 180-Grad-Wende – hin zum „Westen“, mitsamt dessen militärischen Bündnissen, weg von China und Akteur*innen aus Südamerika selbst, die einen unabhängigen Kurs anstreben. Der letzte Streich: Am 18. April stellte der argentinische Verteidigungsminister Luis Petri bei der NATO den Antrag, sein Land als „globalen Partner“ aufzunehmen.

Von Frederic Schnatterer
Neue außenpolitische Ausrichtung Milei blickt nach “Westen” (Foto: Cancillería Argentina)

Auch wenn man es als Lappalie abtun könnte: Die Symbolkraft ist nicht zu unterschätzen. Gleich zwei Mal erklang Anfang April auf argentinischem Staatsterritorium die Hymne der Vereinigten Staaten. Beide Male intoniert vom Orchester der Streitkräfte, beide Male im Beisein des ultralibertären Präsidenten Javier Milei und der Chefin des Südkommandos der US-Streitkräfte (Southcom), Laura Richardson.

Die Szenen wurden sowohl in der argentinischen Presse als auch in den sozialen Medien heiß diskutiert. Auch, weil nur kurz zuvor der Opfer des Malwinen-Krieges gedacht worden war. 1982 hatte Washington fest an der Seite des Vereinigten Königreichs gestanden. London hält die Inselgruppe im Atlantik bis heute unter Kontrolle.

Die Anekdote zeigt: Der Wind in der argentinischen Außenpolitik hat sich gedreht. In den Worten von Milei geht es um nicht weniger als eine „neue Doktrin in der Außenpolitik“. Das betonte er anlässlich des Besuchs von Richardson am 5. April. „In dieser vernetzten Welt, in der die Grenzen verschwimmen, was direkte Auswirkungen auf unsere Souveränität hat, ist es fundamental, strategische Allianzen zu schmieden“, sagte der Staatschef weiter. Die Grundlage dafür stelle ein „gemeinsames Weltbild“ dar.

Was sich Milei unter solch einer „strategischen Allianz“ vorstellt, machen er und Vertreter*innen seiner Regierung nahezu im Wochentakt deutlich. Zuletzt traf sich der argentinische Verteidigungsminister Luis Petri am 18. April in Brüssel mit dem stellvertretenden Generalsekretär der NATO, Mircea Geoană. Beim Besuch im Hauptquartier des Militärbündnisses übergab Petri das Gesuch seines Landes, als sogenannter globaler Partner in den Pakt aufgenommen zu werden.

Zwar ist ein „globaler Partner“ kein Vollmitglied – diesen Status dürfen derzeit nur Staaten Europas sowie die USA und Kanada innehaben –, trotzdem sind auf die Art assoziierte Länder militärisch eng an die NATO gebunden. So tauschen sie beispielsweise nachrichtendienstliche Erkenntnisse aus oder nehmen an gemeinsamen Einsätzen teil. Auch in den Bereichen Aus- und Aufrüstung, Ausbildung sowie Forschung gewährt der Status Vorteile für „globale Partner“. In Lateinamerika hat derzeit nur Kolumbien diesen Status inne.

Geoană zeigte sich erfreut über das Gesuch vom Río de la Plata. In einer nach dem Treffen verbreiteten Erklärung heißt es: „Argentinien spielt eine wichtige Rolle in Lateinamerika, und ich begrüße das heutige Ersuchen, die Möglichkeit einer NATO-Partnerschaft zu prüfen.“ Eine „engere politische und praktische Zusammenarbeit“ sei „für beide Seiten von Vorteil“. Wie schnell es mit der Aufnahme tatsächlich gehen wird, ist allerdings ungewiss. Notwendig für diese ist die Zustimmung aller 32 Mitgliedstaaten des Bündnisses. Gerade die Großbritanniens gilt angesichts des Konflikts um die Inselgruppe Malwinas (engl.: Falklands) keineswegs als sicher.

Auf die Unterstützung der USA dürfte Milei indessen zählen können. Das machte Washington noch am Tag von Petris Brüssel-Besuchs deutlich. So kündigte die US-Botschaft in Argentinien an, dass die Vereinigten Staaten dem südamerikanischen Land 40 Millionen US-Dollar „ausländischer Militärfinanzierung“ zur Verfügung stellen werden – ein „Zuschuss, der den wichtigsten Partnern vorbehalten ist“. Mit dem Geld solle die „Modernisierung der Verteidigungsfähigkeiten“ unterstützt werden. Es sei das erste Mal seit 2003, dass Argentinien eine derartige Finanzspritze aus Washington erhalte.

Buenos Aires kann das Geld gut gebrauchen. Nur wenige Tage zuvor hatte die argentinische Regierung 24 „F-16“-Kampfjets von Dänemark gekauft – ein als „historisch“ bezeichnetes Geschäft. Der Kauf stelle „die wichtigste Beschaffung von Militärflugzeugen seit 1983“ dar, erklärte Verteidigungsminister Petri noch vor Ort. Die Jets seien „mit der besten Technologie ausgestattet“ und gehörten „zu den besten Flugzeugen, die am Himmel über Südamerika und der Welt fliegen“. Inklusive Nachrüstungsarbeiten dürften sie laut Medienberichten bis zu 650 Millionen US-Dollar kosten – viel Geld für ein Land wie Argentinien, das extrem verschuldet ist und sich in einer wirtschaftlichen Dauerkrise befindet.

Besonders der Umstand, dass die Jets aus US-Produktion stammen, ist von Bedeutung. Im vergangenen Jahr hatte die stellvertretende Staatssekretärin des US-Verteidigungsministeriums, Mira Resnick, die Frage nach den künftigen Kampfflugzeugen Argentiniens als „von nationalem Interesse für die Vereinigten Staaten“ bezeichnet. Die argentinische Luftwaffe wird künftig auf Nachrüstungs- und Pflegearbeiten aus den Vereinigten Staaten angewiesen sein.

Ausgestochen wurde bei dem Deal die Volksrepublik China. Jahrelang hatte zuvor der Kauf von „JF-17 Thunder“-Kampfjets aus chinesischer Produktion im Raum gestanden. Das moderne Flugzeug, das die Volksrepublik gemeinsam mit Paktistan entwickelt hat, wäre auch wegen seiner laut Medienberichten geringeren Anschaffungskosten von Parteigänger*innen des Expräsidenten Alberto Fernández vorgezogen worden.

Auf einem Treffen Mitte April in Buenos Aires, das der Gründung des Thinktanks „Argentinisches Zentrum für nationale Verteidigung und Souveränität“ diente, kritisierten die Exminister*innen Nilda Garré und Jorge Taiana den nun geschlossenen Deal. Garré erklärte, dieser gehe auch auf den Besuch der Southcom-Chefin sowie den von CIA-Chef William Burns zurück, der nur wenige Wochen vor Richardson nach Argentinien gereist war. Beide hätten kategorisch klar gemacht: „keine Zusammenarbeit mit China. Ohne Wenn und Aber.“

Auf die Unterstützung der USA kann Milei zählen

Tatsächlich ist Mileis Kniefall vor Washington im Rahmen der Konkurrenz zwischen den USA und China zu sehen. Unter den vergangenen Regierungen konnte die Volksrepublik die Vereinigten Staaten in der Region Südamerika insbesondere auf wirtschaftlicher Ebene überholen. Mittlerweile ist China der zweitwichtigste Handelspartner Argentiniens nach Brasilien. Mileis Vorgänger Fernández vertiefte die Beziehungen zu Peking. Höhepunkt seines außenpolitischen Kurses hätte die Aufnahme des Landes in den BRICS-Staatenbund zum 1. Januar 2024 sein sollen.

Einmal im Amt, zog Milei den Beitrittswunsch sofort zurück. Und auch sonst agiert die junge argentinische Regierung wie der willige Verbündete, den die USA in der Region benötigen. Bereits im Wahlkampf hatte Milei stets betont, fest an der Seite des „Westens“ stehen zu wollen. Seine ersten Auslandsreisen führten den Ultrarechten in die USA und nach Israel. Die dortige argentinische Botschaft plant er von Tel Aviv nach Jerusalem zu verlegen.

Die vermeintliche Zugehörigkeit „zur westlichen Tradition“ begründet Milei mit einer „natürlichen Affinität“, die auf dem „Streben nach Freiheit und Privateigentum“ basiere. Anfang April warnte der Präsident beim Besuch der Southcom-Chefin, diese „Werte“ seien heute in Gefahr, weshalb „wir heute mehr denn je die Bande der Freundschaft zwischen denjenigen stärken, die diese Werte vertreten“. Mileis Sprecher Manuel Adorni wiederum bezeichnete die ersten Monate der Regierung als „Botschaft Argentiniens an die Welt“: „Nach Jahrzehnten der scheinheiligen Pakte hat Argentinien beschlossen, sich wieder in das Konzert der Nationen einzugliedern und eine Führungsrolle einzunehmen.“

Teil dessen soll auch der Anfang April verkündete Bau eines gemeinsamen Marinestützpunkts mit den USA auf der südlichen Insel Feuerland sein. Der Stützpunkt direkt vor der Antarktis mache „Argentinien und die Vereinigten Staaten zum Eingangstor zum weißen Kontinent“, erklärte Milei and der Seite Richardsons. Von Feuerland aus lässt sich die Schifffahrt um den südlichen Zipfel Südamerikas besonders gut kontrollieren, ebenso wie der Zugang zur Antarktis.

Mit am Tisch bei den Gesprächen zwischen US-Offiziellen und Vertreter*innen der argentinischen Regierung sitzt immer die „Sorge“ über den wachsenden Einfluss Chinas. Das zeigt auch der orchestrierte Aufschrei über eine von der Volksrepublik betriebene Raumstation in der argentinischen Provinz Neuquén. Kurz vor Richardsons Besuch erklärte der US-Botschafter in Argentinien, Marc Stanley, in der Tageszeitung La Nación: „Es überrascht mich, dass Argentinien den chinesischen Streitkräften erlaubt, in Neuquén zu operieren.“ Weiter behauptete er, es seien Soldaten der chinesischen Volksarmee, „die dieses Weltraumteleskop bedienen“.

Der Bau der Raumstation war 2014 von der damaligen Regierung unter Cristina Fernández de Kirchner genehmigt worden. Deren Nachfolger Mauricio Macri, heute ein Verbündeter Mileis, handelte einen Zusatzvertrag aus, laut dem die Basis nur zu zivilen und wissenschaftlichen Zwecken genutzt werden darf. Das Kooperationsabkommen gilt bis 2064. Zuletzt hatten 2019 auch diplomatische Vertreter*innen aus den USA die Station besucht. Trotzdem beeilte sich die Milei-Regierung, anzukündigen, eine erneute „technische Inspektion“ der Weltraumstation beantragen zu wollen.

„Keine Zusammenarbeit mit China. Ohne Wenn und Aber“

Deutlich weniger von den Medien aufgegriffen, machten die USA bereits Anfang März einen wichtigen Schritt, um ihre Kontrolle über strategische Handelsrouten in der Region auszuweiten. So unterzeichnete die Allgemeine Hafenbehörde Argentiniens (AGP) eine Absichtserklärung, die ein wenig definiertes „Engagement“ des Ingenieursstabs der US-Armee zur „technischen Kooperation“ auf der Wasserstraße Paraguay-Paraná ermöglicht.

Die in der Region als Hidrovía bezeichnete Wasserstraße verläuft auf einer Länge von fast 3.500 Kilometern entlang der Flüsse Paraguay und Paraná und ist von immenser wirtschaftlicher und strategischer Bedeutung für die gesamte Region. Sie ermöglicht eine durchgehende Schifffahrt zwischen den Häfen von Argentinien, Brasilien, Bolivien, Paraguay und Uruguay.

Auch hier steht im Hintergrund der Versuch Washingtons, China von strategischen Feldern zu verdrängen. Über die Hidrovía wird der überwiegende Teil der argentinischen Agrarexporte transportiert. Zuletzt stieg auch der Export illegaler Drogen über die Wasserstraße in Richtung Europa massiv an.

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