Komprimierte Musikgeschichte
Der Sampler „Latin Jazz“ von Putumayo verspricht eine Reise durch ein halbes Jahrhundert Latinjazz, konzentriert sich aber auf die letzten Jahre
Seit der Kubaner Chano Pozo 1947 als Percussionist in der Big-Band von Dizzy Gillespie spielte, sind Latinelemente ein fester Bestandteil des modernen Jazz. Mit seinem schnellen und treibenden Spiel prägte er Be-Bop Klassiker wie Manteca und beeinflusste Dizzy Gillespie trotz seines frühen Todes 1948 nachhaltig. Gillespie, wie fast alle anderen Jazzgrößen, interpretierte immer wieder kubanische oder puertoricanische Melodien; viele Nuyoricans (New Yorker puertoricanischer Herkunft) und kubanische Musiker begreifen sich zuerst als Jazzmusiker, und dann erst als „Latinomusiker“. Doch umgekehrt prägte der Jazz auch die lateinamerikanische Musik – die Stile Salsa, ChaChaCha und Mambo wären ohne den Einfluss des Jazz nie entstanden.
Dieser Geschichte gegenseitiger Beeinflussung und Inspiration hat das Weltmusiklabel Putumayo nun einen Sampler gewidmet. Dass fast alle Stücke der Platte in New York aufgenommen wurden ist kein Zufall, schließlich war die Stadt das Zentrum des Austauschs zwischen Jazz und Latinomusik. Im Pressetext verspricht Putumayo, mit dieser Platte „die Protagonisten dieser bezwingenden Mischehe aus einem halben Jahrhundert mit ihren spannendsten Aufnahmen“ vorzustellen.
Der erste Track ist eine Aufnahme von 1957, Congo Mulence, ein schöner Hard-bop mit dem legendären Machito an der Perkussion und Cannonball Adderley am Saxophon. Man hört noch im Arrangement den Einfluss des Latin-Be-Bop von Gillespie/Chano Pozo, doch ist das Stück deutlich ruhiger, bluesiger und nicht so wild. Darauf folgen Stücke von der Creme de la Creme des Latin-Jazz und dabei wird deutlich, dass nicht nur „geborene“ Latinos guten Latin-Jazz spielen können. Der Schwede Carl Tjader ist mit einem fantastischen Flötensolo vertreten, und auch der isländische Perkussionist Tomás Einarsson gibt sich mit seiner Band die Ehre. Einen Höhepunkt der Platte stellt eine Aufnahme von 1972 dar. Ray Barretos Summertime ist eine Symbiose von bluesigem Jazz und lateinamerikanischen Trommelrhythmen. Hier ergänzen sich zwei afroamerikanische Musiktraditionen perfekt.
Dies ist leider nicht auf allen Tracks der Fall. Die meisten Stücke sind für große Bands und dementsprechend perfekt durcharrangiert. An Drive und tollen Rhythmen fehlt es ihnen nicht und auch die Solis sind von erster Güte. Doch ob dies wirklich „die spannendsten Aufnahmen“ des Latin Jazz sind, darf bezweifelt werden. Vieles klingt dann doch zu glatt, Ausflüge in die experimentelleren Sphären des Freejazz, wo Latinomusik auch seine Spuren hinterlassen hat, werden nicht gemacht. Auch scheint Putumayo das Gerücht verstreuen zu wollen, Latinjazz werde nur von größeren Formationen gespielt und sei ausschließlich von puertoricanischer und kubanischer Musik beeinflusst. Der ruhigere Bossa-Nova der sechziger Jahre, der eher in kleinen Ensembles gespielt wurde und vom brasilianischen Samba geprägt ist, wurde komplett ignoriert.
Das ist dann auch das Hauptproblem des Samplers: So repräsentativ, wie der Pressetext es andeutet, ist die CD eben nicht. Die genannten Stücke von Ray Barreto und Machito sind die einzigen Stücke, die vor 1980 eingespielt wurden. Die CD ist daher keine Reise durch die verschiedenen Welten und Zeiten des Latinjazz. Dafür handelt es sich um einen gelungenen Sampler von Big-Band Latinjazz der letzten Jahrzehnte. Eher tanzorientiert, mit viel Drive und tollen Soli, wird er sicher seine Freunde finden. Schade ist es trotzdem, dass der Urvater genau dieses Genres, Chano Pozo, nicht vertreten ist.
Der Sampler ist bei Putumayo Records erschienen und wird in Deutschland von ExilMusik vertrieben. www.exil.de