Nummer 557 - November 2020 | Uruguay

KRATZER AM LACK VON LACALLE POU

Die Rechte verliert in Montevideo, die Linke im Landesinneren

Uruguays seit dem 1. März amtierender rechter Präsident Luis Lacalle Pou ist wegen seines erfolgreichen Corona-Managements mit hohen Popularitätswerten belohnt worden. Dennoch konnte sich das linke Parteienbündnis Frente Amplio bei den Kommunalwahlen am 27. September in Uruguays Hauptstadt Montevideo behaupten. Ein weiteres Warnsignal für Lacalle Pou war der erste 24-stündige Generalstreik des Gewerkschaftsbundes PIT-CNT am 17. September. Infolge der Coronakrise ist die Arbeitslosigkeit erstmals seit Jahren über die Zehn-Prozent-Marke gesprungen.

Von Karl-Ludolf Hübener

Sonne, blauer Himmel. Frühlingslüfte am Rio de la Plata. Auf der kilometerlangen Rambla Montevideos joggen, bummeln und radeln Hauptstädter*innen – nur vereinzelt mit Schutzmaske. Corona scheint Vergangenheit. Aber Entwarnung will die neue rechtskonservative Regierung nicht geben. Der Präsident Luis Lacalle Pou sonnte sich zeitweise in einem Popularitätshoch von über 80 Prozent. Der Grund: das allseits gelobte Management der Coronakrise.

Um die Hochburg der linken Frente Amplio (Breite Front) in Montevideo zu stürmen, reichten die Zustimmungswerte von Lacalle Pou allerdings nicht aus. Seine Kandidatin Laura Raffo kam zwar am 27. September mit fast 40 Prozent auf das höchste Einzelergebnis; doch da die mit mehreren Kandidat*innen ihrer Untergruppierungen angetretene Frente Amplio 52,1 Prozent erzielte, wird deren stärkste Einzelkandidatin Carolina Cosse neue Bürgermeisterin, obwohl sie bei der Wahl mit 20,7 Prozent hinter Raffo einlief.

In Uruguay ticken indes die Uhren seit dem 1. März zum ersten Mal seit 15 Jahren politisch anders als in Montevideo. Tabaré Vazquez von der Frente Amplio legte an diesem Tag Lacalle Pou die Präsidentenschärpe um, nachdem die seit 2005 regierende Frente Amplio abgewählt worden war. Es waren kaum zwei Wochen vergangen, als der 47-jährige Spross einer Politikerdynastie und Chef einer politisch „vielfarbigen“ Koalitionsregierung mit der Nachricht erster Covid-19-Infektionen in Uruguay konfrontiert wurde. Er reagierte schnell und entschieden, verließ sich auf den Rat von Wissenschaftler*innen. Die Grenzen zu den Nachbarländern wurden geschlossen, Flüge suspendiert. Dicht gemacht wurden Schulen, Kirchen, Theater, Kinos, Shoppingcenter und die Fußballstadien. Ausgangssperren wurden nicht verhängt. Der Präsident appellierte an das Verantwortungsbewusstsein der Uruguayer*innen. Mit Erfolg: Bislang beklagt das Land bei 2.206 Corona-Infizierten nicht mehr als 49 Todesopfer. Es ist die mit Abstand niedrigste Todesrate in der Region.

Zugute kam dabei der Regierung die geringe Bevölkerungsdichte in Uruguay. Flächenmäßig halb so groß wie die Bundesrepublik, leben dort gerade mal 3,5 Millionen Menschen. Die Hauptstadt Montevideo mit 1,3 Millionen Einwohner*innen lässt sich nicht mit den Betonwüsten und Armutsvierteln der Megastädte Buenos Aires oder São Paulo vergleichen. Die sozialen Gegensätze sind nicht so ausgeprägt wie in den meisten südamerikanischen Staaten.

Lacalle Pous Erfolg in der Coronakrise ist ein Erbe seiner Vorgänger

Lacalle Pou ließ die günstige Stimmung nicht ungenutzt verstreichen und reiste nach Buenos Aires. Dort zog er durch die liberal-konservative Medienlandschaft und warb ausgiebig für seine Regierung und für Investor*innen. Nicht nur für seine Corona-Politik wurde der neoliberal orientierte Präsident als „Staatsmann“ gefeiert. Weggelassen oder nur nebenbei angemerkt wurde in vielen Artikeln und Sendungen, dass die bislang erfolgreiche Corona-Politik Lacalles auch von den sozialen Errungenschaften der linken Vorgänger*innen zehrt. Frente-Amplio-Regierungen weiteten die Sozialpolitik aus, drängten so die Armut zurück, investierten massiv in das Gesundheitssystem und machten es vor allem_für alle Uruguayer*innen zugänglich. In einigen Artikeln scheint das „funktionierende staatliche Gesundheitssystem“ allerdings vom Himmel gefallen. Wenn es das nicht gäbe, wäre das kleine Land ebenso schlimm dran wie Argentinien, Brasilien, Peru, Chile und Ecuador, wo neoliberale Präsident*innen jahrelang im Gesundheitssystem wüteten.

Überraschend kam für Lacalle Pou eine wenig schmeichelhafte Nachricht aus Santiago de Chile. Die dort ansässige renommierte UN-Wirtschaftskommission für Lateinamerika und die Karibik CEPAL stellte in einer Studie fest: Uruguay hat bislang nur 0,7 Prozent des Bruttosozialprodukts an Geldern zur Verfügung gestellt, um die Folgen der Covid-19-Pandemie abzumildern. Damit belegt das Land den drittletzten Platz in Lateinamerika. CEPAL habe sich „geirrt“ und „schlecht analysiert“, zeigte sich Lacalle Pou irritiert. Er forderte, die Zahlen noch einmal zu überprüfen. Die CEPAL-Chefin Alicia Bárcena konterte: „Das sind nun mal die Zahlen.“ Die Berechnungen basierten auf offiziellen Angaben aus Montevideo. Der Schutzschirm war nicht für alle aufgespannt. 220 Volksküchen stillten den Hunger der von Regierung Vergessenen.

Wenig schmeichelhafte Nachrichten aus Santiago de Chile

Wappnen gegen Kritik muss sich auch künftig die „vielfarbige“ Koalition, die von liberal-konservativen bis rechtsextremen Parteien reicht. Wie von der Verfassung vorgesehen, legte sie Ende August ihren Haushaltsentwurf für die nächsten fünf Jahre vor. „Das ist ein realistischer und optimistischer Haushalt“, meinte der Präsident. Der Entwurf ist allerdings mit offenen und verdeckten Kürzungen gespickt, im Regierungsjargon „Einsparungen“ genannt. Das könnte zu „grausamen Verwüstungen“ führen, fürchtet Danilo Astori, Vizepräsident und Wirtschaftsminister der vergangenen linken Regierungen. Der Entwurf droht, soziale Errungenschaften abzubauen. Kritiker*innen rechnen mit einer Zunahme von Armut und Ungleichheit sowie mit Lohn- und Gehaltssenkungen, auch im öffentlichen Sektor. Bereits im März kürzte Lacalle Pou per Dekret die Budgets aller Ministerien um 15 Prozent.

Die Popularität des Präsidenten erhält erste Kratzer

Sorge bereitet die wirtschaftliche Situation. Das Bruttosozialprodukt ist um 3,5 Prozent zurückgegangen. Die Arbeitslosigkeit hat die Zehn-Prozent-Marke übersprungen. Unverzagt sagt die Regierung in den nächsten Jahren ein Wachstum von durchschnittlich über zwei Prozent voraus. „Extrem optimistisch“, urteilte Gabriela Mordecki, Direktorin des Wirtschaftsinstituts an der staatlichen Universität in der Hauptstadt.

Die Regierung will so schnell wie möglich das Wirtschaftsleben normalisieren. Schon seit April hat die Regierung die Schutzmaßnahmen vorsichtig und schrittweise gelockert. Auf dem Bau wird wieder betoniert und gehämmert. Geschäfte und Shoppingcenter locken wieder Kund*innen an. Auch der Fußball rollt wieder über den Rasen, aber ohne Zuschauer*innen.

Ein großes Fragezeichen steht allerdings hinter dem wichtigen, von Corona besonders gebeutelten Tourismussektor. Ende des Jahres beginnen Hochsommer, Ferien- und Urlaubszeit und damit auch die touristische Hochsaison an den Stränden.

Ein Warnsignal für Lacalle Pou war der erste 24-stündige Generalstreik des nach wie vor starken Gewerkschaftsbundes PIT-CNT am 17. September. Die Popularität des Präsidenten erhält erste Kratzer.

Aber trotz ihres Sieges in Montevideo ist auch für die Frente Amplio noch lange kein Zeichen des Rückgewinns linker Mehrheiten im Land. Vor allem im Landesinneren hat sie bei den Kommunalwahlen Stimmen und Bürgermeisterposten verloren, vor allem an die regierende Blanco-Partei Lacalle Pous. Ursachen- forschung und Selbstkritik sind angesagt.

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