Lateinamerika | Nummer 269 - November 1996 | USA

Kritik am neuen Wohlfahrtsgesetz

Die Einschnitte betreffen vor allem ImmigrantInnen

Seit Clinton das neue Wohlfahrtsgesetz mit den daran gekoppelten neuen Regelungen für legale ImmigrantInnen unterschrieben hat (vgl. LN 268), häufen sich die Proteste gegen dieses Gesetz. Selbst eingefleischte republikanische Hardliner wie der New Yorker Bürgermeister Giuliani sprechen sich offen gegen die Neuregelungen aus.

Almud Weitz

Die New York Times berichtet seit Anfang September in kurzen Abständen immer wieder über Auswirkungen und Reaktionen auf das neue ImmigrantInnengesetz. Die Artikel erscheinen teilweise auf der ersten Seite und kritisieren ausnahmslos das Gesetz. `Immigrant-bashing’ kommt in einer stark immigrantendominierten Stadt wie New York nicht an.
Auf der Meinungsseite kommen Finanzgiganten wie George Soros zu Wort, der als Reaktion auf das neue Gesetz einen Fonds zur Hilfe für legale ImmigrantInnen gegründet hat. Soros, ein aus Ungarn emigrierter US-Bürger, kritisiert den Kongreß scharf dafür, ein Wohlfahrtsgesetz mit Ungerechtigkeiten zu verbinden. Selbst Bürgermeister Giuliani hat sich dem allgemeinen Protestgeschrei angeschlossen, obwohl er im Großen und Ganzen hinter dem Wohlfahrtsgesetz steht. Ende September bezeichnete er die neue Regelung für ImmigrantInnen als “moralisch unvertretbar und nicht verfassungsmäßig”. “Ich halte es für grundsätzlich unfair und unvernünftig zu sagen, wir lassen Euch herein, wir nehmen all Euer Geld, wie werden Euer Einkommen genauso besteuern wie das aller anderen Bürger, aber Vorteile könnt Ihr nicht erwarten.” Die Stadt New York hat vor, eine Verfassungsklage gegen die neuen Regelungen für ImmigrantInnen einzureichen.

Erste Auswirkungen des Gesetzes: Keiner weiß was

Der bedeutendste Einschnitt des neuen Gesetzes besteht in der Einschränkung des Essensmarkenprogrammes. Ungefähr 1,8 von 25 Millionen Essensmarken-BezieherInnen sind legale ImmigrantInnen. Das Congressional Budget Office schätzt, daß von den 1,8 Millionen etwa 1 Million ihre Marken verlieren werden. Obwohl ImmigrantInnen in New York, Houston oder El Paso in Texas in absoluten Zahlen am meisten mit Sozialkürzungen rechnen müssen, treffen die Regelungen die texanische Grenzregion zu Mexiko proportional am stärksten. Einige der Landkreise dort sind sehr arm, haben Arbeitslosenraten bis zu 19 Prozent und einen ImmigrantInnenanteil von 8 Prozent. Diese wären von den Markenkürzungen besonders betroffen. Die Auswirkungen auf die Wirtschaft können in armen Gegenden wie dem Rio Grande-Tal fatal sein, wo teilweise die Hälfte aller Lebensmittel mit Marken gekauft werden.
New York hatte – ebenso wie New Jersey, Connecticut und Kalifornien – bereits Ende September damit begonnen, einige legale ImmigrantInnen aus dem Essensmarkenprogramm zu streichen. Die Verwirrung über die neuen Regelungen auf Seiten der Beamten war aber weiterhin enorm, so daß eine einheitliche Behandlung von Einzelfällen fragwürdig blieb. Der kalifornische Gouverneur Pete Wilson erließ bereits am 19. September eine Order, ab dem 22. keinem legalen Immigranten mehr Essensmarken auszugeben – und widerrief dies kurz darauf, als kalifornische Demokraten sich beim Weißen Haus beschwerten und der Regionaldirektor des Bundes-Essensprogramms öffentlich erklärte, daß kalifornische Beamte dem vorläufig nicht zu folgen hätten.
Mit Blick auf die landesweiten Irrungen und Wirrungen hat der Kongreß Anfang Oktober dann die Deadline zur Berechtigung auf Essensmarken bundesweit bis April kommenden Jahres verlängert. Das bringt zwar neuen SozialantragstellerInnen nichts, hilft aber wenigstens denen, die bisher schon BezieherInnen von Marken sind, nicht plötzlich ohne Unterstützung dazustehen.
Neben den Essensmarken wird auch die Bedeutung der Einschränkungen in bezug auf die Krankenversicherung immer deutlicher. Gouverneur Wilson, wie immer als Erster, hat bereits verlauten lassen, daß die Schwangerschaftsbetreuung für illegale Immigrantinnen demnächst wegfällt. Da ist der Schritt zur Einschränkung auch für legale Immigrantinnen nicht weit.
Wie zu erwarten war, hat das neue Gesetz zu einem sprunghaften Anstieg von Einbürgerungsverfahren geführt. Bereits Anfang September füllten sich an einigen Tagen ganze Stadien mit sechs- bis zwölftausend ImmigrantInnen in Houston, Texas oder San José, Kalifornien, die in einer Massenveranstaltung eingebürgert wurden. Bis Ende des Haushaltsjahres (das ist Ende September) waren 1,1 Millionen ImmigrantInnen US-Staatsbürger geworden – die Rekordzahl von 445.853 im letzten Jahr erscheint dagegen geradezu blaß. Die meisten der neuen StaatsbürgerInnen konzentrieren sich auf die Gebiete um New York, Los Angeles, Chicago, San Francisco, Miami und Houston, allesamt in Staaten mit großem WählerInnenanteil.

Einbürgerung im Massen-verfahren – Wahlhilfe für die Demokraten?

Demokraten werden mit Blick auf die anstehenden Wahlen von den Einbürgerungen deutlich mehr profitieren als Republikaner. Präsident Clinton hat wiederholt betont, daß er die neuen Regelungen für ImmigrantInnen im Falle einer Wiederwahl erleichtern möchte. Republikaner, allen voran Pete Wilson, werden dagegen weiterhin als ImmigrantInnen-Gegner angesehen. Es ist daher nicht erstaunlich, daß viele Republikaner die Masseneinbürgerungen so kurz vor den Präsidentschaftswahlen als Wahltaktik der Clinton-Administration kritisieren. Ein kürzlich veröffentlichtes internes Memorandum von Clinton und Gore hat die Spekulationen um ein politisches Motiv hinter den Masseneinbürgerungen verstärkt: “Das INS (Immigration Naturalization Service) warnt uns davor, den Weg zur Einbürgerung zu rasch freizumachen. Wir könnten öffentlich kritisiert werden, eine pro-demokratische Wählermühle anzutreiben, und sogar riskieren, vom Kongreß gestoppt zu werden.”
Beamte der Immigrationsbehörde betonen jedoch, daß das “Citizenship U.S.A.”- Programm, von Al Gore im letzten Jahr mit großem Rummel eingeleitet und vom republikanisch dominierten Kongreß bewilligt, nun endlich Früchte zeigt, und daß ein Großteil des derzeitigen Booms darauf zurückzuführen ist.
MexikanerInnen gehören zu der Einwanderungsgruppe, die sich bisher am wenigsten um die Einbürgerung bemüht hat: Eine INS-Studie Anfang der 90er Jahre zeigt, daß nur 17 Prozent der legalen mexikanischen EinwandrerInnen sich um die US-amerikanische Staatsangehörigkeit bemühten, verglichen mit 63 Prozent aller EinwandrerInnen aus der ehemaligen Sowjetunion. Dieser Trend hat sich definitiv ganz gravierend geändert, vor allem in diesem Jahr. Lateinamerikanische AktivistInnen hoffen, daß der forcierte Einbürgerungstrend positive Auswirkungen auf eine stärkere politische Organisierung der Latinos hat.
Der Trend heißt dennoch: Je härter, desto besser, denn mit dem neuen Gesetz ist es noch nicht genug. Der Kongreß hat Ende September bereits ein weiteres Immigrationsgesetz verabschiedet, mit dem Grenzkontrollen verschärft, Deportationen von Kriminellen erleichtert und öffentliche Bezüge von legalen ImmigratInnen eingeschränkt werden. Nur aufgrund des Drucks von DemokratInnen haben die republikanischen ParteiführerInnen eine – pikanterweise besonders von Bob Dole verfochtene – Klausel herausgenommen, die es den einzelnen Staaten erlauben würde, Kinder von illegalen ImmigrantInnen vom öffentlichen Schulsystem auszuschließen. Diese Regelung wird nun als separater Gesetzesentwurf verhandelt.

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