Kunst | Nummer 275 - Mai 1997

“Kunst: eine Leidenschaft mit Risiko”

Víctor Delfín, ein Maler und Bildhauer zwischen indigenistischer Tradition und Moderne, über Kunst und Politik in Peru

Der Bildhauer und Maler Víctor Delfín gehört zu den renommiertesten peruanischen Künstlern der Gegenwart. Delfíns Kunst fußt in seinem Bewußtsein als Mestize, für die Kultur seiner Vorfahren und des traditionellen Kunsthandwerks einerseits, und den Ausdrucksformen der modernen Kunst andererseits. Immer wieder hat er sich in seinen Werken auch politisch geäußert und ist heute einer der prominentesten Streiter für die Menschenrechte in Peru.

Christian Harkensee

Ein kühles, stilles Morgenlicht liegt noch wie ein zartes Luftgewebe über Barranco. Noch ist die Straße menschenleer, ab und an nur braust ein zeternd hupendes Taxi vorrüber oder ein scheppernder Bus poltert mit klirrenden Scheiben durch die Schlaglöcher. Die Calle Domeyer zweigt von der Hauptstraße ab, und sie endet schon nach wenigen Metern an einem Tor hoch über den Klippen der Bucht von Lima. Víctor Delfín, ein kleiner alter Mann mit in Würde zerfurchtem indianischem Gesicht, langem grauem Haar, die sehnigen Beine ragen aus farbbeklecksten Shorts, schaut einen Moment lang listig wachsam hinter seinen großen Brillengläsern hervor. Freundlich heben sich seine Augenbrauen, und er läßt ein in sein Atelier, vor dessen weiten Fenstern von Horizont zu Horizont der Pazifische Ozean tobt.
Geboren 1927 als Sohn eines Erdölarbeiters im Norden des Landes, verschenkte er bereits als Kind selbstgebastelte Spielzeugautos aus Holz, Draht, und Blechdosen, und als Schüler verkaufte er Zeichnungen, um sich Zeichenutensilien kaufen zu können. Mit zehn Jahren mußte er von der Schule, und wie so viele peruanische Kinder zum Lebensunterhalt der Familie beitragen. Jahre verbrachte er als Straßenhändler, Hilfsarbeiter in Fabriken und auf Baustellen, doch vom Zeichnen ließ er nie. Er bestand die Aufnahmeprüfung für den Eintritt in die Kunstakademie von Lima, seinerzeit für einen Bewerber ohne Schulabschluß eine Sensation, die ihm ein Stipendium einbrachte.

Eine Generation von Künstlern auf der Suche nach ihren Wurzeln

Lateinamerika schien in den fünfziger Jahren nach Krieg und Zuwandererwelle kulturell neu zu erwachen. Der Kunststudent Víctor Delfín stürzte sich in die Bohème von Lima, die so sein wollte wie jene in Paris oder New York.
“Zu Beginn habe ich all diese “-ismen” aufgesaugt wie ein trockener Schwamm, die Befehle der Generäle Bréton, Picasso, Henry Moore, beinah bis zur Selbstvergessenheit. Doch da gab es in mir einen rebellischen Geist, der mir keine Ruhe ließ, der fragte: Wo bleibt die Seele?” Er ging auf die Suche, und gehörte zu jener Generation peruanischer Künstler wie auch Alberto Quintanilla, Tilsa Tsuchiya und Fernando de Szyzlo, die ihre indigenen Wurzeln neu entdeckten in einer Zeit, in der die politische und kulturelle Nomenklatura des Landes voller rassistischer Ressentiments und Ignoranz auf die “cholos”, wie sie Mestizen und Indios abfällig nennt, herabblickte. Nicht etablierte Ausstellungen und Wettbewerbe besuchte diese junge Generation, sondern Dörfer und Märkte und Werkstätten, sie stiegen hinauf nach Macchu Picchu, durchschritten die Ebenen von Nazca, studierten in den Museen die lustvolle, bunte Formenwelt der Keramiken und der farbenprächtigen, meisterhaft gewebten Stoffe präkolumbiner Kulturen. Während Künstler wie Szyzlo die Farben und Formen der indigenen Tradition in ihre abstrakte Malerei zu integrieren suchten, wandte sich Delfín dem Figurativen zu.

Bilder von Alltagsszenen im Altiplano

Nach Abschluß seines Kunststudiums wurde er Dozent und schließlich Direktor der Kunstakademien von Puno am Titicacasee und Ayacucho, Zentrum des peruanischen Kunsthandwerks. “Ich ging morgens auf den Markt von Ayacucho, sah die Stoffe aus Lamawolle, Hüte, Sättel aus Leder, kleine Spielzeugkühe aus Quinoafasern, so vieles und mehr, und fühlte mich wie in einer riesigen Akademie”. In dieser Zeit entstander flach und geometrisch wirkende, rationalistische Bilder; Landschaften und Porträts, streng durchkomponiert und in traditionellen Farben gehalten. Bilder von täglicher Arbeit: Maurerkolonnen auf dem Gerüst, Marktfrauen mit ihrer Ware, der Bauer auf der Scholle. Die Farbe des Bildes atmet den herben Duft der Erde des Altiplano. Dem Kulturministerium war dies schon zu revolutionär: Delfín wurde von seinem Posten entlassen.
Er ließ das reaktionäre Lima hinter sich, ging nach Santiago de Chile. Die sechziger Jahre lösten hier eine Welle der Rückbesinnung auf die kulturellen Wurzeln Lateinamerikas aus. Pablo Nerudas “Canto General” erscholl über den Kontinent, Violeta Parra machte das chilenische Volkslied populär, und ihre Kinder Angel und Isabel Parra gründeten die Bewegung des “Neuen Gesanges”. Einige Jahre lebte Delfín mit den Parras, aus seinem Atelier im Zentrum Santiagos wurde später gar die legendäre “Peña de los Parra”, wo auch Víctor Jara seine ersten musikalischen Schritte wagte. Delfín gab Zeichen- und Malkurse an den Kulturinstituten von Los Condes und Providencia. Erst hier bekam er das Gefühl, seine künstlerische Identität gefunden zu haben.

“Retablos” – eine Brücke zum Mestizo-Barock

Das Resultat seiner Suche, “den Durst nach der Wirklichkeit zu stillen”, waren seine bemerkenswerten “Retablos”, bemalte flache Kästen mit räumlichen Szenen, mit denen er eine Brücke schlägt zu den berühmten “Retablos” von Ayacucho, bemalten Tafeln oder mit prunkvollen Goldschmiedearbeiten gestaltete Tryptichone mit religiösen oder anekdotischen Szenen, die einst Kirchen- und Hausaltäre schmückten und zu den herausragensten Arbeiten des sogenannten Mestizo-Barock gehören. In seinen “Retablos” ersetzte Delfín das traditionelle Thema zunächst durch die plastische Umsetzung von Methaphern der populären Poesie, wie z.B. einem Schwarm Tauben oder Rosetten von Blüten, später gar durch erdachte, illusionistische Elemente aus Metall, Holz und Gips.

Ein Skulpturengarten auf den Klippen vor der Stadt

Er kehrte zurück nach Lima, kaufte eine heruntergekommene Villa in Barranco, das zu jener Zeit, den späten sechziger Jahren, nicht mehr als ein verschlafener Küstenort war. Nach Delfín entdeckten weitere Künstler, Schriftsteller, Dichter, Intellektuelle den beschaulichen Ort mit der Kolonialkirche und der baumüberdachten Plaza, wo das Zwitschern der Vögel morgens noch den Verkehrslärm übertönt, und machten ihn zu einer “Künstlerkolonie” von kontinentalem Rang, nicht zuletzt Delfíns Freund und Weggefährte Mario Vargas Llosa, der vor seiner Übersiedlung nach Spanien nach seiner Niederlage im Präsidentschaftswahlkampf 1990 gegen Alberto Fujimori in unmittelbarer Nachbarschaft wohnte.
Im Laufe der Jahre erlebte das Haus auf den Klippen vor Lima gleichsam eine kreative Explosion. Den Garten mit Blumenbeeten in versteckten Winkeln und windumtosten Terassen zieren zahlreiche Skulpturen, die Wände in seinem Atelier hängen voller großer Ölbilder. In manchen Porträts liest sich der Kommentar des Künstlers, das ganze Spektrum seiner Leidenschaften: Der liebevolle Blick, den ihm seine Tochter erwidert, eine Mischung aus Trotz und Zuneigung im Gesicht einer Freundin, der schneidende Schmerz des Christus, der von den Bajonetten des peruanischen Militärs durchbohrt am Boden liegt, der dumme, ignorante Ausdruck im feisten rosa Gesicht eines Generals, der mit seinem fetten Hintern auf einer Staatsflagge sitzt, die notdürftig einen Berg Totenschädel verhüllt.
“Wenn jemand verrückte Ideen hat, Ideen von Rebellion, von Weite angesichts der Natur, dann drückt er sie aus, und somit manifestiert sich das Ich, das Persönliche, das Unverwechselbare. Die Kunst ist kein Beruf, sie ist eine Leidenschaft, der man sich hingibt mit allen Risiken. Ich male keine angenehmen Themen, es gefällt mir zu streiten, wenn ich ausstelle.”
“Nur wenn ich gegen meinen eigenen Erfolg rebelliere, kehre ich zu den Wurzeln zurück und entwickle mich fort. Ich mache mir keine Schwierigkeiten über das Ziel, daß ein Kunstwerk haben könnte. Ich sehe die Kunst weder als eine Art Wettbewerb, noch glaube ich, daß ich eine Art Erleuchteter bin, der anderen den Weg vorgeben könnte.”

Monumentale Skulpturen aus Schrott und Wut

Mit der Rückkehr nach Lima wuchs in Delfín die Wut über die Ignoranz, die ihm begegnete. “Als ich nach Barranco kam, war ich ein sehr unruhiger Mensch, mit einem Ruf hin bis zur Gewalttätigkeit. Ich nahm ein paar Stücke Eisen, Schrott, Abfall- und fing an, meine ganze Wut, Frustration auszudrücken gegen diese rassistische Gesellschaft, wie ich sie erlebt habe, man nannte uns “diese cholos, diese negros”. Ich habe all dies wahrgenommen und mein “Bestiarium” (eine Serie großer, wuchtiger Tierplastiken aus Stahl) geschaffen: Jedem Stück verpaßte ich ein gewaltiges Geschlechtsorgan, groß, gewalttätig. Und unvorstellbarerweise genau das Publikum, daß ich damit angreifen wollte, jene die ihr Schäfchen im Trockenen haben, hat diese Sachen gekauft wie verrückt.”
Erst als Bildhauer eroberte sich der studierte Maler seinen Platz in der Kunstszene: Es folgten Ausstellungen, Verkäufe, Preise in Peru, in Chile, Ecuador, Kolumbien, schließlich schaffte er den Sprung nach Nordamerika, blieb zwölf Jahre lang in New York. Eine eigene Galerie im Greenwich Village, Ausstellungen im Hauptquartier der OAS, Versteigerungen bei Sothebys, Empfänge, Vernissagen.
Und doch zog es ihn wieder zurück nach Peru, nach Lima, nach Barranco. Seit Anfang der achtziger Jahre lebt er wieder ständig dort und hat den politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Niedergang Perus in Zeiten von Militärdiktatur und Terrorismus durchgestanden.
Das Peru der späten achtziger und frühen neunziger Jahre war ein Staat in Auflösung. Der “Sendero Luminoso”, die maoistische Guerilla des “Leuchtenden Pfades”, rief zu einem “reinigenden Blutbad mit einer Million Toten” auf und trieb den Terror bis in das Zentrum von Lima. Bombenanschläge und Schießereien in den Straßen, das öffentliche Leben erlahmte, die Menschen trauten sich vor Angst nicht mehr aus den Häusern. Angesichts von Wirtschaftskrise und Terrorismus war das Regime von Präsident Alan García nicht mehr Herr der Lage.
Auch für Víctor Delfín begann eine Zeit der Isolation und der Furcht – nicht nur um die physische Existenz, sondern auch um das geistige Überleben in einer Zeit, in der “an Kunst, an Glück, an Liebe nicht zu denken war”.
Eine dröhnende, bleierne Stille herrscht in der verwaisten Skulpturenwerkstatt, aus Mangel an Leinwand werden alte Bilder übermalt. Sein früher zügelloser, aufbrausender Charakter ist einer beständigen, kämpferischen Natur gewichen, die nicht weniger leidenschaftlich ist.

Ein “Park der Liebe” für ein Land in der Krise

Stärker als je zuvor fühlte er sich mit seinem Land und seinen Mitmenschen verbunden, und er machte ihnen auf dem Höhepunkt der Krise ein herrliches Geschenk, daß ihn schlagartig im ganzen Land bekannt machte: Einen Hymnus an die Liebe, den “Parque del Amor”. Der Park, auf einem Felsen am Meer im Stadtteil Miraflores gelegen, ist zu einem Wallfahrtsort für Liebespaare aus dem ganzen Land geworden. Die geschlängelten Umfassungsmauern mit zahlreichen verborgenen Sitznischen und Durchbrüchen, gaudiesk bunt gefliest, sind geschmückt mit Zitaten aus den schönsten Liebesgedichten peruanischer Dichter, laden ein zum Verweilen und Entdecken.
“Ich denke, daß man als Künstler die Gabe hat, seine Sensibilität auszudrücken. Wie könnte ich unempfindsam sein angesichts eines vergewaltigten Mädchens, eines toten Kindes, eines verschwundenen Studenten? Wie kann man da still sein? Wie kann man sich isolieren, wenn man aus dem Haus geht und nur Elend, Unordnung, Korruption, Gewalt sieht? Die Jahre des Terrors, gegen den Staat und von ihm ausgehend, haben viele von uns hartherzig gemacht, wir haben einen Teil unserer Seele verraten. Man hat mich in den letzten Jahren gelehrt, demütig, bescheiden, standhaft zu sein, die Stirn zu bieten, keine Angst zu haben…Carajo!”
Überraschend gewann 1990 der japanstämmige Agraringinieur Alberto Fujimori, ein populistischer Außenseiter, die Präsidentenwahlen. Die ökonomische Krise und die ersten Folgen der neoliberalen Wirtschaftsreformen brachten das Land an den Rand des Abgrunds und das soziale Pulverfaß zum explodieren. Im April 1992 putschte Fujimori mit Hilfe des Militärs gegen sein eigenes Amt, setzte die Verfassung außer Kraft, löste das Parlament auf und stattete sich selbst mit weitreichenden Vollmachten aus. Die folgende Großoffensive der Armee gegen die zahlreichen im Land operierenden Guerillabewegungen brachte mit der Verhaftung von “Sendero”-Chef Abimael Guzman einen großen Erfolg, der das Land weitgehend befriedete. Die Wirtschaftsreformen griffen, stoppten die rasante Inflation und führten zu einem bescheidenen Wachstum. Doch der Preis dafür ist hoch. Steigende Arbeitslosigkeit, die Schere zwischen arm und reich klafft weiter auseinander, an den grundsätzlichen Problemen hat sich nichts geändert. Fujimori schaffte die demokratische Verfassung ab, ersetzte sie durch ein autokratisches, ihm beinah absolute Macht garantierendes Gesetzeswerk. Eine beispiellose Terroristenhatz überzieht das Land mit dem Ergebnis, daß tausende “Verdächtiger” zum Teil seit Jahren ohne Prozeß in Haft sitzen. Noch heute “verschwinden” Menschen spurlos, oder werden auf offener Straße vom Geheimdienst entführt, wie es zum Beispiel kurz vor Weihnachten dem Ex-General Robles geschah, der die Verbindungen des Chefs des Geheimdienstes SIN und engsten Fujimori-Vertrauten, Víctor Montesinos, zur Drogenmafia enthüllte.

Eine Ausstellung für die Verschwundenen

Das Massaker der Armee an neun Studenten und einem Professor der Universität von La Cantuta, der ein enger Freund von ihm war, weckte in Delfín sein politisches Engagement. Er hat die Menschenrechtsorganisation APRODEH mitbegründet, und als Fujimori 1995 alle uniformierten Menschenrechtsverletzer, unter ihnen auch die Täter von La Cantuta, generalamnistierte, rief er eine Initiative gegen das Amnestiegesetz ins Leben. Seitdem schreibt er Zeitungsartikel, spricht auf Demonstrationen, setzt sich für Gefangene ein. Mit einer Ausstellung in seinem Haus in Barranco, rief Delfín im Juni letzten Jahres zu einer Auseinandersetzung mit dem Thema der “Desaparecidos”, der Verschwundenen, auf. “Es wurde klar, wie sehr das Thema von der Angst aus der Öffentlichkeit verdrängt ist, wie groß aber auch das Interesse an der Wahrheit ist. Wir entreißen die “Desaparecidos” ihrer Anonymität, zeigen, daß sie Individuen waren, keine Zahlen, genauso wie ihre Mörder.”
Die Geiselnahme in der japanischen Botschaft durch ein Kommando der MRTA war auch für Delfín ein Schock, er fürchtet um die relative Stabilität im Land. Nach den verfehlten Hoffnungen der Regierung, Peru könnte ein ökonomischer “Tiger” Lateinamerikas werden, und nachdem sich jetzt zunehmend die Folgen des radikalen Ausverkaufs von Staatsbetrieben zeigen, galt der “Sieg über den Terrorismus” als Fujimoris größter politischer Erfolg. Ein Trugschluß, wie sich nun zeigt. Für Víctor Delfín sind die eigentlichen Probleme des Landes grundsätzlicherer Natur. “Welche Art von Land sind wir? Wir wissen, wir sind spät dran und haben eine wichtige Verabredung mit der Zukunft, also beeilen wir uns und entscheiden, welche Art von Modernität wir wollen: Die Erfahrungen der Industrieländer nutzen, ihre Fehler vermeiden, das Beste unserer Kultur retten und Bewußtsein zu erlangen für unsere Identität, so werden wir eine menschlichere Gesellschaft erreichen.”

Ein steinernes Meer auf der Säule

Zur Zeit arbeitet Delfin an einer Skulptur auf dem Kreisel von Chimbote, einer Hafenstadt im Norden Perus, einer elf Meter hohen Säule, mit mehrfach durchbrochener Positiv-Negativ-Ornamentik , die an Escher erinnert. “Ich habe mir Leute von dort gesucht, ganz einfache Handwerker. Ich weiß um ihr Erstaunen, wenn man sie aus ihrem Schema herausreißt. Einer der immer nur gerade Steinmauern hochzieht wird verrückt, wenn er einen Zylinder machen soll, und wenn dieser Zylinder auch noch Bilder trägt. Sie sind stolz auf das was herauskommt und fühlen sich als ein Teil des Ganzen.”
Die Skulptur steht auf dem Verkehrsknoten von San Pedrito, wo täglich hunderte von Autos, Bussen und Lastern vorbeikommen auf dem Weg nach Norden oder zurück. “Hier stellen wir den ganzen Reichtum des Meeres dar, das alte Peru, daß sich von Fisch ernährte, das gegenwärtig ist bei den Mochica, ihren Keramiken, ihren Stoffen, gegenwärtig in Paracas, Nazca und Chanchán. Das Meer ist gegenwärtig in meinen steinernen Pelikanen, den Krebsen, den großen Fischen, den gigantischen, die Formen abstrahierend, denn man kann die Natur nicht imitieren. Man zieht aus ihr die Kraft, die Zartheit, die Farben, schließlich die Atmosphäre; die Farbe, die eine Landschaft hat, kann manchmal nur ein Künstler erfassen.”
Barranco taucht wieder zurück in die Dunkelheit. Wenn man über die “Puente de Suspiros” geht, die Seufzerbrücke, unter der die “Pirañitas”, jugendliche Taschendiebe, lauern, kommt man zu einem Aussichtspunkt auf der Klippe, von wo man die Schaumkronen der Wellen wie weiße Würmer über das Wasser tanzen sieht. Tief unten zieht ein Ausflugsdampfer in weitem Bogen durch die Bucht, ein Tango hallt herauf. In Barranco erwacht ein brodelndes Nachtleben, die Bars und Diskotheken sind “in” bei den Jugendlichen aus dem mondänen Nachbarort Miraflores, chic gekleidete, wohlduftende Teenies heizen in glitzernden japanischen Geländewagen um die Plaza. Während eines dieser zeternd hupenden Taxis hält, klingt noch der letzte Satz von Don Víctor in mir nach, kurz bevor er das große Tor hoch über den Klippen hinter mir schloß. “Das Einzige, was ich weiß ist, daß weder Du noch ich unendlich sind. Das menschliche Wesen, die menschlichen Leidenschaften sind das Zerbrechlichste.”

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