Nummer 349/350 - Juli/August 2003 | Ökonomie

Langer Atem im Arbeitskampf

ArbeiterInnen im Streik gegen die Schließung ihres Werks

Bereits zum zweiten Mal sind am 26. Mai diesen Jahres sieben VertreterInnen der Gewerkschaft SNRTE nach Deutschland gekommen, um ihren Forderungen Ausdruck zu verleihen. Sie vertreten damit circa 700 ArbeiterInnen des Unternehmens Hulera Euzkadi im mexikanischen Bundesstaat Jalisco, einer Tochterfirma des Reifenherstellers Continental, die sich seit der Schließung des Werkes seit 17 Monaten im Streik befinden. Das Wirtschaftsministerium hat sich nun in den Arbeitskampf zwischen ArbeiterInnen und Continentalkonzern eingeschaltet und beide Seiten nach Hannover zur Anhörung gebeten. Investitionsstandards für multinationale Unternehmen stehen damit in Deutschland erstmals auf dem Prüfstand.

Knut Henkel

Ausgesprochen optimistisch verließ Jesús Torres Nuño das Bundeswirtschaftsministerium nach dem Treffen mit den Anwälten des Continentalkonzerns. Zwar wurde Stillschweigen über den Inhalt der Gespräche vereinbart, aber das breite Lächeln des mexikanischen Gewerkschaftsfunktionärs sprach Bände. Schon vor dem Treffen hatte der 41-Jährige seine Zufriedenheit darüber bekundet, dass Repräsentanten beider Staaten zugegen waren. Der offizielle Charakter des Treffens verpflichtet beide Regierungen dazu, etwas zu tun und in dem Streit zu vermitteln, so die Analyse aus Gewerkschaftsperspektive.
Für Mexiko hatte der Botschafter Jorge Eduardo Navarrete persönlich teilgenommen und die Gewerkschafter gemeinsam mit ihren Unterstützern von FIAN (Food First Informations- und Aktionsnetzwerk) und die umweltpolitische Nichtregierungsorganisation Germanwatch im Anschluß in die Botschaft geladen. Ein deutliches Zeichen, dass die mexikanische Regierung nun ebenfalls aktiv werden wird und sich in den seit knapp 17 Monaten währenden Arbeitskampf einschalten wird, so Cornelia Heydenreich von Germanwatch, die die GewerkschafterInnen bei ihrem Besuch in Deutschland gemeinsam mit Martin Wolpold-Bosien von FIAN begleitete.

Verschlossene Werkstore, fragwürdige Entlassungen

Bereits zum zweiten Mal sind die Mexikaner nach Deutschland gekommen, um öffentlichen Druck auf den in Hannover ansässigen Reifenkonzern auszuüben. Auf den beiden letzten Aktionärsversammlungen schilderten sie ihren Fall, wobei die Debatte über die fragwürdige Entlassung bei der letzten Hauptversammlung Ende Mai in Hannover beträchtlichen Raum einnahm. Contis mexikanische Tochter Hulera Euzkadi hatte Mitte Dezember 2001 mit sofortiger Wirkung die Schließung des Werkes in El Salto verfügt. Als die ArbeiterInnen nach dem Wochenende ihre Arbeit wieder aufnehmen wollten, standen sie vor verschlossenen Werkstoren. 1164 ArbeiterInnen saßen buchstäblich auf der Straße, obwohl das Werk zu den modernsten auf dem Kontinent zählt und Gewinn abwarf, so die unabhängige Betriebsgewerkschaft SNRTE (Sindicato Nacional Revolucionario de Trabajadores de la Compañía Hilera Euzkadi).
Das bestreitet der Konzern vehement. Aufgrund von wirtschaftlichen Problemen sei das Werk geschlossen worden, so Conti-Pressesprecher Dr. Heimo Prokop. Der bestreitet auch, dass das Unternehmen bei der Entlassung der ArbeiterInnen mexikanisches Recht verletzt habe. „Continental respektiert das Gesetz,“ so Dr. Prokop. Das sieht die mexikanische Gewerkschaft und die sie unterstützenden Menschenrechtsorganisationen allerdings anders. Bei der adhoc-Schließung des Werkes seien zentrale Gesetzesbestimmungen und Klauseln im Arbeitsrecht nicht berücksichtigt worden, so Gewerkschaftschef Jesús Torres Nuño. Dessen Position wird durch ein Gutachten, das die Menschenrechtsorganisation FIAN beim Arbeitsrechtspezialisten José Alfonso Bouzas Ortíz in Auftrag gegeben hat, gestützt. Demnach habe die Continental-Tochter mit ihrem Vorgehen gegen eine ganze Reihe von Gesetzen verstoßen, wodurch die Schließung des Werkes nicht legal sei. Deshalb sei auch die Entlassung der ArbeiterInnen nicht korrekt abgelaufen und der Streik der ArbeiterInnen, die den Betrieb seit dem 22. Januar 2002 blockieren, legal. Durch das Gutachten erhalten die Forderungen der GewerkschafterInnen auf Wiedereröffnung des Werkes, Wiedereinstellung und Zahlung der ausstehenden Gehälter zusätzliches Gewicht.
Auf diese Forderungen ist die Continental-Tochter Hulera Euzkadi allerdings nie eingegangen. Sie hat die Abfindungen für die ArbeiterInnen bei den zuständigen Stellen deponiert, sieht sich im Recht und vertraute allem Anschein nach darauf, dass der Streik der ArbeiterInnen irgendwann enden würde und sie die Maschinen aus dem Werk in El Salto, im Bundesstaat Jalisco, abtransportieren könne. Doch die ArbeiterInnen bissen die Zähne zusammen und kämpfen seit nunmehr 17 Monaten für ihr Recht.

Papiertiger oder wirksame Selbstverpflichtung

Damit hatte wohl niemand gerechnet, mutmaßt Martin Wolpold-Bosien, der die Gewerkschaft in ihrem Arbeitskampf seit über einem Jahr unterstützt. Er hat das Rechtsgutachten in Auftrag gegeben und ist auch in der Bundesrepublik aktiv geworden. Gemeinsam mit Germanwatch hat er bei der im Wirtschaftsministerium ansässiges Kontaktstelle für die OECD-Leitsätze Beschwerde gegen Continental eingelegt. Diese Leitsätze schreiben den Unternehmen die Beachtung von Menschenrechten, Arbeits- und Umweltstandards vor. Der OECD-Verhaltenskodex hat zwar nur empfehlenden Charakter, ist rechtlich somit nicht verbindlich, wurde aber sowohl von Mexiko als auch von Deutschland unterzeichnet. Beide Länder verfügen über Kontaktstellen, die Beschwerden entgegennehmen, wenn ein Unternehmen gegen die Leitsätze verstößt. In beiden Ländern sind Beschwerden gegen das Vorgehen von Hulera Euzkadi de Mexico eingegangen. Während sich auf der mexikanischen Seite bisher nichts rührte, ist die deutsche Kontaktstelle aktiv geworden: sie hat die beiden streitenden Parteien am 28. Mai zu der Anhörung ins Wirtschaftsministerium gebeten. Richtig zuständig fühlt sich die deutsche Kontaktstelle allerdings nicht. Der Fall müsse in Mexiko verhandelt werden. Zuständig seien die mexikanischen Kollegen, man leiste in diesem Fall nur Amtshilfe, so die Berliner Beamten gegenüber den beiden Parteien.
Für die mexikanischen GewerkschafterInnen ist die Anhörung in Berlin zwar positiv, doch der eigentliche Erfolg der weiten Reise ist das Einlenken des Konzerns, dessen Vorstandschef Manfred Wennemer auf der Aktionärsversammlung die Wiederaufnahme von Verhandlungen zusicherte. Das war das eigentliche Ziel der SNRTE, um endlich zu einer Lösung zu kommen. Die ist nicht allein im Sinne der Gewerkschaften, die seit 17 Monaten ohne Job und Lohn sind, sondern auch im Sinne des Reifenherstellers. Dessen Image dürfte durch die öffentlichkeitswirksamen Auftritte der SNRTE-Delegation auf den beiden letzten Aktionärsversammlungen gelitten haben. Und die SNRTE hat umgehend auf das Angebot des Conti-Chefs reagiert und ihre Vorschläge präsentiert. Drei Optionen sieht sie zur Beilegung des Streits und lässt dem Konzern damit viel Spielraum.

Übernahme in Eigenregie?

Oberstes Ziel ist die Wiedereröffnung des am 17. Dezember 2001 geschlossenen Werkes und die Wiedereinstellung der ArbeiterInnen. Diese Option hat Contichef Manfred Wennemer zwar schon auf der Aktionärsversammlung in Hannover kategorisch ausgeschlossen, aber Torres sieht keinen Grund von der Kernforderung der SNRTE abzurücken. „Wir wollen unsere Arbeit wieder aufnehmen, entweder unter der Regie des Continental-Konzerns oder unter derjenigen eines anderen Arbeitsgebers,“ bekräftigt Torres, der 24 Jahre lang im Werk gearbeitet hat. Er spricht für die in der SNRTE organisierten ArbeiterInnen, die seit der Schließung des Werkes in El Salto im Bundesstaat Jalisco auf der Straße sitzen. „Nur wenn es gar nicht anders geht, würden wir das Werk in Eigenregie übernehmen oder einem Verkauf der Produktionsstätte an Dritte, die die ArbeiterInnen wieder einstellen, zustimmen,“ so Torres. Die dritte Option der SNRTE ist die Zahlung einer Abfindung und der ausstehenden Löhne an die etwa 700 ArbeiterInnen, die sich bisher geweigert haben die angebotene Abfindung von Continental zu akzeptieren und sich seitdem im Streik befinden.
Auf die zweite Verhandlungsoption könnte sich der Konzern wohl am ehesten einlassen. Dies geht aus einem Brief hervor, den Vorstandschef Wennemer bereits Ende März an die SNRTE schickte. Dort ist von einer möglichen Übernahme durch die Gewerkschaft die Rede. Sollte diese Lösung die einzig Mögliche sein, will Jesús Torres Nuño direkt beim Präsidenten Vicente Fox vorsprechen. „Dann werde ich um einen staatlichen Kredit bitten, denn es handelt sich schließlich um Arbeit und Perspektive für über 1000 ArbeiterInnen“.
In diesem Fall würde Conti mit einem blauen Auge davonkommen. Eine öffentliche Verurteilung durch die OECD-Kontaktstelle wäre genauso vermieden, wie ein Gerichtsurteil, das den Konzern zur Wiedereröffnung der Fabrik zwingen könnte. Doch darauf können die ArbeiterInnen aus El Salto wirklich nicht warten. Sie brauchen wieder Arbeit und eine Perspektive für ihre Familien. Die Wiedereröffnung des Werkes unter neuer Regie wäre für sie eine echte Option.

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