Lust auf Revolution
Eine Hommage an den chilenischen Präsidenten Salvador Allende
Zumindest im Kino werden Revolutionen heute wieder gesellschaftsfähig. Den Anfang machten die Legenden der kubanischen Revolution: 2003 präsentierte Oliver Stone auf der Berlinale ein Interview und Portrait Fidel Castros und im Herbst 2004 kam Walter Salles’ Verfilmung der Reisetagebücher des jungen Che Guevara ins Kino. Und in Cannes zeigte der chilenische Dokumentarfilmer Patricio Guzmán dieses Jahr sein persönliches Portrait des großen linken Staatsmannes Salvador Allende, in Deutschland leider noch nicht angelaufen.
Auch Michael Trabitzsch hat einen Film über den berühmtesten chilenischen Linken erstellt. Er zeigt Allende direkt neben den kubanischen Revolutionären am Rednerpult und stellt ihn auf eine Stufe mit Castro und Che Guevara.Trabitzschs Allende ist jedoch charismatischer und glaubwürdiger als Salles Che und überzeugender als Stones Castro.
Der Dokumentarfilm zeichnet die Geschichte der Präsidentschaft Allendes von seinem Wahlsieg 1970 bis zum 11. September 1973, dem Tag des Putsches, und besonders minutiös die letzten Stunden Allendes nach. Zuhilfe kommen ihm dabei Zeitzeugen wie die Journalistin Faride Zeran und Gefährten des Präsidenten während seiner letzten Stunden in der Moneda, dem Regierungssitz in Santiago de Chile: sein Presseattaché Carlos Jorquera, die Leibwächter Juan Osses und Isidro García, der Leibarzt und nicht zuletzt auch seine Tochter Isabel Allende.
Trabitzsch gelingt es, einen sehr persönlichen Zugang zu ihnen zu finden. Er begleitet sie mit der Kamera auf ihrem Weg zur Arbeit, im Bus, beim Zeitungskauf und situiert Allende so im Leben der Menschen, im Alltag der Interviewten, in der Aktualität. Die ständige Konfrontation der Archivbilder mit dem Heute, die Trabitzsch montiert, öffnet Perspektiven für Vergleiche.
Allende und die Massen
Ein Taxifahrer kommentiert die heutigen Demonstrationen: „Diese Demonstrationen sind nichts im Vergleich zu früher. Damals waren wir mehr als eine Million Menschen.“ Allende: der Mann des Volkes. Die Bilder des Präsidenten vor und inmitten des Volkes selbst erscheinen gewaltig. Die Menschen jubeln Allende zu, während er seine Reden hält, seine Faust bekräftigend ballt und den Sieg der Freiheit verkündet. Der Präsident, wie er die Wende zu einer besseren Welt verkündigt. „Ein halber Liter Milch am Tag. Für jeden.“ Die Menschen toben vor Begeisterung. Und er redet: vor der Moneda, zusammen mit Fidel und Che, und besonders bewegend vor der UNO, wo er mit Standing Ovations geehrt wird. Und nicht zu vergessen: seinen berühmten letzten Diskurs über das Radio. Kurz vor seinem Tod, direkt aus dem Palast.
Unvergessene Augenblicke noch einmal vo unsere Augen geführt. Um zu träumen und zu schweben. Trabitzsch hat tief in kanadischen, tschechischen, chilenischen und deutschen Archiven gegraben und viele noch unveröffentlichte, beeindruckende Gänsehautbilder gefunden. Gekonnt spielt er mit der Kraft und den Emotionen, die in den Bildern stecken. Auch ohne die Zeit erlebt zu haben, spürt man den Traum und die Gefühle von Freiheit und Solidarität, die in der Luft lagen.
Doch, warum zum Teufel wollten sie Allende nur putschen? Wenn sie ihn doch so lieben, in den Bildern? Ganz aufgeklärt wird das nie im Film. Die Politik bleibt sekundär. Die Amerikaner hatten etwas damit zu tun, wird angedeutet. Trabitzsch interviewt Roberto Thierne, Mitglied der oppositionellen Terrorgruppe Patria y Libertad. Aber auch bei ihm bleiben die Gründe unklar und verstecken sich hinter dem zeitlich-kommentierten Ablauf der Proteste. Kein Wort über Entwicklungen vor dem Wahlsieg oder während der Amtszeit. Wirtschaft? Außenpolitik? Wichtig ist der Politiker Allende als Mensch und Taktiker, als Visionär und aufrechter Verteidiger seines Volksmandats. Der charismatische Allende kann durch diese Reduktion nur gewinnen.
Ein griechisches Drama
In einem französischen Beitrag, von dem leider wie so einige Male im Film nicht klar wird, wer ihn produziert hat und wann er gemacht wurde, wird Allende zu den USA, zu seinen Ideen einer gerechten Gesellschaft und seinem Tod befragt. Die Antworten sind wie eine Offenbarung, und die Journalistin Zeran gibt zu Protokoll: „Wir waren niemals so glücklich wie in diesen drei Jahren. Es war, als könnten wir den Himmel mit unseren Fingerspitzen berühren.“ Zu glücklich, um wahr zu sein. Platz für Kritik lässt Trabitzsch keine. Vielmehr strickt er an einer Heldentragödie: Der Verräter Pinochet treibt Allende in den Tod. Ein griechisches Drama, eine Tragödie.
Osvaldo Pucchio, Sohn des Privatsekretär Allendes und jetzt Botschafter Chiles in Brasilien sagt: „Das Schicksal beherrscht die Menschen.“ Und einmal mehr die Vergöttlichung Allendes, Opfer der Götter. Je größer der Mensch, desto tiefer die Trauer, das Schicksal des Volkes. Die Zeit hat für den Mythos Allende gespielt. Er hatte keine Chance, Fehler zu machen. Der Mann des Volkes, ein Realist? Man weiß es nicht, der Film gibt keine Antwort. Er zeigt nur den Visionär.
Der Mythos Allende hatte vielleicht das Glück, nicht an seiner Politik gemessen werden zu können. Aber Allende überzeugt in Trabitzsch’ Film auch durch sein Auftreten, sein Vertrauen in die Sache und seine persönliche Stärke. „Allende ergibt sich nicht, scheiße“, sagt er und erschießt sich. Vorhang. Eine Legende ist entstanden. Und wahrscheinlich braucht es gerade das, um eine schon verloren geglaubte Utopie wiederzubeleben: der Kampf um eine gerechtere Gesellschaft. Trabitzsch’ Film lässt die sozialistische Revolution noch einmal aufbrodeln. Der nächste Aufruhr ist gar nicht so weit weg, wie viele denken.
Allende – Der letzte Tag. Deutschland 2004. Regie: Michael Trabitzsch. 80 Minuten.