Literatur | Nummer 503 - Mai 2016

LYRIK AUS LATEINAMERIKA

Ein Gedicht von Nadia Escalante

Nadia Escalante, geboren 1982 im südlichen Bundesstaat Mérida (Mexiko), lebt in Mexiko-Stadt. Für ihren Gedichtband Octubre. Hay un cielo que baja y es el cielo erhielt sie 2013 den internationalen Preis für Poesie der Stadt Mérida.

Von Nadia Escalante, Übersetzung Christiane Quandt

Memento Mori

Erst suchte ich das Himmelreich.
Doch aus unerfindlichem Grund befreite mich die Chefetage der Vorsehung
vom Dienst im Reservistenheer der Industrie
und verschaffte mir einen Posten
in der Abteilung für Kapitalanhäufung.
Nun sehe ich den vorüberziehenden Vögeln zu, sitze
in der Firmenkantine vor meinem
Brathähnchen, das mir vom Lohn abgezogen wird.
Die Wege des Schicksals sind unergründlich.
Nicht einmal Salomon in all seinem Glanz
kleidete sich so prächtig wie die Plastiklilien,
die mir die Überstunden im Büro versüßen.

 

Memento Mori

Busqué primero el Reino de Dios.
Por alguna razón, los directivos de la Providencia
me redimieron del Ejército Industrial de Reserva
con un cargo activo
en la acumulación del capital.
Ahora miro las aves del cielo mientras como,
en el restaurante de la empresa,
un pollo frito que me descuentan de la nómina.
Los caminos de la Justicia Divina son misteriosos.
Ni Salomón con toda su gloria
se vistió como uno de estos lirios de plástico
que adornan mis horas extra en la oficina..


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