Honduras | Nummer 483/484 - Sept./Okt. 2014

Machterhalt erfolgreich gesichert

Interview mit dem oppositionellen Abgeordneten Jari Dixon Herrera über die Beschneidung der Rechte des honduranischen Parlaments

Bei den honduranischen Wahlen im November 2013 konnte die Nationale Partei (PN) mit Juan Orlando Hernández einen Sieg der oppositionellen Präsidentschaftskandidatin Xiomara Castro durch Wahlbetrug und Wahlfälschung verhindern (LN 475). Castros Partei für Freiheit und Neugründung (LIBRE) wurde jedoch zweitstärkste Partei im Parlament. Erstmals seit 100 Jahren wurde das Zweiparteiensystem in Honduras aufgebrochen, womit sich seitens der Opposition wie der EU-Wahlbeobachter_innen große Hoffnungen verbanden. Nach acht Monaten zeigt sich, dass die beiden traditionellen Parteien PN und PL (Liberale Partei) die parlamentarischen Rechte der drei Oppositionsparteien einschränken. Die LN sprachen mit dem LIBRE-Abgeordneten Jari Dixon Herrera über die Arbeit im Kongress.

Interview: Daniela Dreißig

Wie ist aus Ihrer Sicht die Zusammenarbeit zwischen Regierung und Opposition im neu gewählten Nationalen Kongress?
Die beiden traditionellen Parteien, die PN und die PL, wählten den Kongressvorstand gemeinsam. LIBRE machte zusammen mit zwei weiteren Oppositionsparteien einen Vorschlag für mögliche eigene Kandidaten, den Innenminister Áfrico Madrid jedoch ohne weitere Erklärung abehnte. Das gleiche passierte bei der Wahl des Kongresspräsidenten. Der aktuelle Kongressvorstand besteht jetzt zu 90 Prozent aus Abgeordneten der PN, Kongresspräsident Mauricio Oliva ist ebenfalls von der PN.
Nur selten erhalten wir als Opposition das Recht im Kongress zu sprechen. Wir können unsere Meinung äußern, wenn es um Unwichtiges geht. Wenn jedoch wichtige Themen diskutiert werden, erhalten wir kein Rederecht oder die Sitzung wird einfach abgebrochen. Um ein Beispiel zu geben: Im August hat eine LIBRE-Abgeordnete den Antrag gestellt, dass die Parlamentarier Rechenschaft über die von ihnen verwendeten Mittel des Kongresses ablegen sollen. Denn einigen Abgeordneten werden finanzielle Mittel gewährt und anderen nicht. Erstaunlich ist, dass dieser Antrag zugelassen wurde. Als die regierende Partei aber merkte, dass sie diese Debatte verlieren würde, wurde die Sitzung geschlossen und der Antrag zurückgewiesen.
So wird auch mit den Gesetzentwürfen von LIBRE verfahren. Nur ein einziger wurde in den bisher acht Monaten Parlamentsarbeit verabschiedet. Im Kongress werden lediglich die Entwürfe von der PN und PL debattiert. Mit Blick auf die baldige Abgabe der Berichte der Universal Periodic Review (Einem Mechanismus der UN zur Untersuchung der Menschenrechte; Anm. d. Red) ist es möglich, dass LIBRE ein weiteres Gesetz durch den Kongress bringen kann, das den Schutz von Menschenrechtsverteidigern und Journalisten gesetzlich absichern soll. Dies geschieht jedoch mehr durch nationalen und internationalen Druck auf die honduranische Regierung.

Warum wurde der Kongress am 13. Mai 2014 geräumt?
Am 13. Mai, als das honduranische Volk wie üblich an einer Sitzung im Kongress teilnehmen wollte, prügelten Militär und Polizei sowohl die LIBRE-Abgeordneten als auch die Bevölkerung unter Einsatz von Tränengas und Schlagstöcken aus dem Kongress.
Seitdem ist der Kongress ein hermetisch abgeriegeltes Gebäude. Vorher traf sich auf dem Platz unterhalb des Kongresses das Volk mit den Abgeordneten, dort fanden auch kulturelle Veranstaltungen statt. Heute ist dies nicht mehr möglich, es gibt nur noch einen einzigen Zugang zum Kongress. Wenn auf dem Platz eine Kundgebung abgehalten werden soll, kommt sofort die Polizei und löst sie auf.

Wie ist der Stand des Verfahrens gegen die Verantwortlichen dieser gewaltsamen Räumung?
Es wurde in der Staatsanwaltschaft für Menschenrechte Anzeige erstattet, aber bis zum heutigen Tag gibt es dazu keine Entscheidung.

Haben LIBRE und der regierende Präsident Juan Orlando Hernández von der PN nach den Wahlen Absprachen zu parlamentarischen Verfahren getroffen?
Nein, LIBRE hat mit Juan Orlando Hernández keine Übereinkünfte getroffen. Die Partei hat lediglich Gespräche mit der PL, der Antikorruptionspartei PAC und mit der sozialdemokratischen PINU geführt. Die Oppositionsparteien haben der PL den Vorschlag unterbreitet, deren Kandidatur für die Kongresspräsidentschaft zu unterstützen, jedoch hat die PL dies abgelehnt. Stattdessen zieht sie es vor, mit ihrem historischen Feind der PN eine Allianz zu bilden. Diese Allianz besteht aus Drohungen, wenn den Forderungen der PL nicht stattgegeben wird. Sind diese dann erfüllt, ist die Allianz wieder gefestigt.

Welche neuen Vorschläge und Änderungen gibt es in der Kommission zur Reform des Wahlsystems?
Es geht um die elektronische Stimmabgabe und darum, dass alle politischen Parteien im Obersten Wahltribunal und im Gremium zum nationalen Personenregister vertreten sind. Die traditionellen Parteien PN und PL möchten nicht, dass die neuen Parteien in diesen Institutionen präsent sind. Damit kontrollieren sie vollständig das Wahlverfahren.

Wie unabhängig ist das Justizsystem von der Regierung, wie gut funktioniert die Gewaltenteilung?
Das ganze System wird von der Regierung kontrolliert, der Oberste Gerichtshof, die Staatsanwaltschaft und auch der Nationalkongress, in dem die Mehrheit der Entscheidungen klar von der Exekutive getroffen werden. Im Januar 2016 werden im Obersten Gerichtshof zwei Drittel der Richter neu gewählt. Ich habe die Hoffnung, dass die Opposition gut agieren wird, dass sie sich nicht verkauft und ehrliche Richter wählt, die mit hoher Verantwortung und Engagement in Sinne der Rechtsprechung handeln.

Gibt es überhaupt eine Kontrolle der Regierung, zum Beispiel durch den Obersten Rechnungshof oder den Kommissar für Menschenrechte?
Wie ich schon sagte, die Exekutive kontrolliert alles. Die Regierung hat den Generalstaatsanwalt gewählt, obwohl dies die Aufgabe des Kongresses gewesen wäre. Sie hat die vier Richter abgesetzt, die das Gesetz zu den Sonderwirtschaftszonen der „Modell-Städte“ für illegal erklärten (siehe Kasten auf Seite 44). Und hat sie durch vier neue Richter ersetzt, von denen kein Widerstand zu erwarten ist. Dieses Jahr wurde ein Kommissar für Menschenrechte gewählt, der der regierenden Partei sehr nahe steht.

Welchen Einfluss üben die Medien auf das politische System aus?
Die alternativen Medien funktionieren als Sprachrohr der sozialen Bewegungen und sind gesellschaftskritisch, jedoch sind sie zahlenmäßig zu wenige. Die Mehrheit der Medien dient der Exekutive. Es fließt sehr viel Geld von der Regierung in die Massenmedien und deren Besitzer machen Geschäfte mit der Regierung. Gegenseitig schätzen und schützen sie sich.

Die Streitkräfte haben seit dem Putsch eine entscheidende Rolle in Honduras gespielt. Aktuell garantieren sie die neoliberale und extraktivistische Politik. Gibt es eine gesellschaftliche Debatte über diese neue Rolle des Militärs?
Die Streitkräfte sind überall. Sie sind in der Ausländerbehörde, in der Handelsmarine, in der Telekommunikation, als Militärpolizei garantieren sie die öffentliche Sicherheit, sie greifen sogar in Krankenhäusern und Gefängnissen ein. Sie haben eine führende Rolle eingenommen, die man nur aus den Zeiten des Kalten Krieges kennt.

Also gibt es keine Zweifel an der neuen Rolle der Streitkräfte?
Sie verfügen über eine große Maschinerie und nutzen die hohe Kriminalität, um die Militärpräsenz in den Straßen zu rechtfertigen. Sie haben eine effektive Kampagne geführt und die Leute überzeugt, dass gegen die zunehmende Kriminalität das Militär die einzige Lösung sei. Trotzdem ist die Kriminalität gestiegen, sie ist auf dem höchsten Niveau, das wir jemals hatten. Und es gibt auch viele Vorfälle, in denen Militärs am Tod von Menschen beteiligt sind. Im Verhältnis zu den immensen finanziellen Mittel, die für die Militärpolizei bereit gestellt werden, sind die Ergebnisse schlichtweg nicht sichtbar.

Infokasten

Jari Dixon Herrera
Dixon Herrera ist Anwalt und Abgeordneter der Oppositionspartei LIBRE (Freiheit und Neugründung). Er reichte gemeinsam mit anderen mehrere Klagen gegen das erste Gesetzesvorhaben der Sonderwirtschaftszonen, den Modellstädten, beim Obersten Gerichtshof ein, das 2012 als verfassungswidrig beurteilt wurde.

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