Honduras | Nummer 454 - April 2012

Zeugnisse eines entmenschlichten Regimes

Interview mit der Rechtsanwältin Dina Meza über die schwierige Arbeit der Menschenrechtsverteidiger_innen in Honduras

Menschenrechtsverteidiger_innen sind in Honduras seit dem Putsch 2009 systematischer Einschüchterung und Verfolgung ausgesetzt. Die Lateinamerika Nachrichten sprachen mit der Rechtsanwältin Dina Meza über die jüngsten Geschehnisse in Honduras.

Interview: Kathrin Zeiske

Frau Meza, gilt Honduras nach dem Putsch im Jahr 2009 auf dem internationalen Parkett mittlerweile als rehabilitiert?

Nein, auf keinen Fall. Die den Putsch durchgeführt haben, präsentieren sich heute mit weiß gewaschener Weste. Mit dem Abkommen von Cartagena konnte der 2009 aus dem Amt geputschte Ex-Präsident Manuel „Mel“ Zelaya im Sommer letzten Jahres nach Honduras zurückkehren und das Land wurde wieder in die Organisation der Amerikanischen Staaten (OAS) aufgenommen. Auch eine Staatsanwaltschaft für Menschenrechte wurde eingerichtet. Aber dies ist Teil einer Strategie, sich nach außen hin geläutert zu geben und die internationale Gemeinschaft glauben zu machen, sie hätte es mit einem demokratischen System zu tun. Bis heute wurde niemand für den Putsch verurteilt; die Ausführenden sitzen noch immer in den höchsten Positionen. Die Menschenrechtslage ist desaströs. Es gibt eine wahre Strategie des Todes gegen Oppositionelle. Menschen werden gefoltert, sterben und verschwinden. Gleichzeitig werden Gesetze entworfen, die die individuellen Rechte krass einschränken. So wird Unrecht legalisiert.

Um welche Gesetze handelt es sich dabei?

Es wurden ein Antiterrorismusgesetz und ein Abhörgesetz in Kraft gesetzt. Nach einer Polizeireform kann das Militär Polizeiaufgaben übernehmen und ist bei Hausdurchsuchungen und Festnahmen präsent. Damit wird das Land endgültig remilitarisiert. Sämtliche Errungenschaften werden zurückgenommen, die seit dem Ende der Militärdiktatur Anfang der 1980er Jahre erkämpft worden sind. Die Polizei selbst wird mit einem größeren Haushalt ausgestattet. Tatsächlich ist sie es, die Dissidenten verfolgt, bedroht, foltert und ermordet. Die Aggressoren können sich dabei einer absoluten Straflosigkeit sicher sein. Gerechtfertigt wird die Mittelvergabe mit der hohen Kriminalitätsrate in Honduras. Doch dieser wäre vielmehr durch Armutsbekämpfung beizukommen.

Sehen Sie denn die Staatsanwaltschaft oder das neue Menschenrechtsministerium als Verbündete bei Ihrer Arbeit?

Alle Institutionen, die Staatsanwaltschaft, die Gerichte, das Menschenrechtsministerium sind Teil einer Politik der Straflosigkeit. Es ist letztendlich egal, wer auf welchem Posten sitzt, denn alle sind den Weisungen von oben untergeben. Die wichtigste Weisung lautet, dass Aggressoren gegen die Menschenrechte unbehelligt bleiben. Wenn wir auf der Untersuchung eines Falles beharren, heißt es, es gebe keine personellen Kapazitäten, keine Autos, kein Benzin. Doch diejenigen, die für ihre eigenen und die Rechte anderer einstehen, werden unterdessen in Schnellverfahren abgeurteilt. Bei der Kriminalisierung der sozialen Bewegungen funktioniert der Staatsapparat auf einmal wie geschmiert.

Das sogenannte PASS-Projekt zur Reform des Polizei- und Justizapparats in Honduras wird von der EU mit insgesamt 43 Millionen Euro finanziert. Wie kann kontrolliert werden, dass dieses Geld nicht in die Kriminalisierung der Opposition fließt?

Dafür gibt es schlichtweg keine Garantien. Es ist davon auszugehen, dass von EU-Geldern eine Logistik aufgebaut wird, mit denen die Menschen in Honduras unterdrückt werden. Solange das Regime finanzielle Hilfe aus dem Ausland bekommt, kann es aus dem Inneren heraus schwer friedlich gestürzt werden. Das PASS-Projekt muss unbedingt gestoppt werden. Denn es unterstützt ein Regime der Straflosigkeit, der Repression und des Todes. Dies haben wir auf einem Treffen mit EU-Vertretern auch klar zur Sprache gebracht. Die EU stellt all ihren Verträgen mit anderen Ländern eine Menschenrechtsklausel voran. Diese sollte nicht zur Farce verkommen.

In Honduras werden Menschenrechtsverteidiger_innen seit dem Putsch zunehmend verfolgt und ermordet. Hat sich diese Situation mit dem Abkommen von Cartagena gebessert?

Nein, und das ist dramatisch. Denn wir Anwälte und Anwältinnen zeigen die horrende Zahl der Menschenrechtsverletzungen an und bringen sie vor Gericht. Der Staat ist angehalten, uns zu schützen und unserer Arbeit nicht im Wege zu stehen. Nach dem Putsch wurden wir oft beleidigt und bedroht, wenn wir Anzeigen stellten, doch erst unter Porfirio Lobo ist es alltäglich geworden, dass Menschenrechtsverteidiger umgebracht werden. Ihre Fahrzeuge werden manipuliert und sie kommen in scheinbaren Autounfällen ums Leben. Oder sie werden direkt von Paramilitärs und Auftragsmördern verfolgt. Dies sind Zustände, wie wir sie vorher nur aus dem militarisierten Kolumbien kannten.

Mitte Februar kamen beim Gefängnisbrand von Comayagua 361 Menschen ums Leben. Wie ist diese Tragödie in das Szenario einzuordnen, das Sie uns beschreiben?

Der Brand war ein geplanter Akt, ein Genozid gegen Gefangene. Soziale Säuberungen haben sich ähnlich auch schon im Jahr 2003 und 2004 in diesem Land ereignet. Doch die Empfehlungen, die die Interamerikanische Menschenrechtskommission damals ausgesprochen hat, wurden schlicht ignoriert. Honduras wurde deswegen vom Interamerikanischen Gerichtshof für Menschenrechte verurteilt.
Wer in Honduras ins Gefängnis kommt, hat seine Rechte verwirkt, auch wenn eine tatsächliche Verurteilung meist über Jahre ausbleibt. Diese Bevölkerungsgruppe hat keinerlei Lobby und war auch schon in Freiheit vollkommen von der Gesellschaft ausgeschlossen. Im Innern der Gefängnisse gibt es kein menschenwürdiges Essen und kein ausreichendes Trinkwasser. Die Gesundheitsversorgung ist katastrophal. Wir gehen davon aus, dass von zehn Gefangenen sieben gefoltert werden. Der Gipfel dieser Praxis ist, Menschen bei lebendigem Leibe verbrennen zu lassen, ihnen nicht die Zellen aufzuschließen und dann auf Fliehende zu schießen. Das Massaker von Comayagua zeugt von der vollkommenen Entmenschlichung eines Regimes.

Neben dem Gefängnisbrand gab es allerdings noch weitere Brände im ganzen Land. Was steckt dahinter?

Es ist eine Generierung des Terrors. Sie halten uns beschäftigt mit all diesen Anschlägen. Es ist die Schocktherapie, die die Ultrarechte des Landes anwendet; so wie die Globalisierungskritikerin Naomi Klein sie beschrieben hat. Die Bevölkerung wird abgelenkt von dringenden Bedürfnissen, die der Staat nicht erfüllt. Irgendwann sind wir zu erschöpft, all die ungeklärten Vorfälle zu verfolgen, und verfallen in Apathie.

Infokasten:

Die honduranische Rechtsanwältin Dina Meza erhielt im Dezember 2011 einen Preis von der Deutschen Botschaft für ihren Einsatz für die Menschenrechte. Sie leitet das Internetnachrichtenforum defensoresenlinea und das Radioprogramm „Voces contra el Olvido“ (Stimmen gegen das Vergessen) des renommierten Menschenrechtszentrums COFADEH.

Ähnliche Themen

Newsletter abonnieren