Mexiko | Nummer 322 - April 2001

„Marcos ist absolut verzichtbar“

Interview mit dem Kommunikationswissenschaftler el Topo (der Maulwurf) von der alternativen mexikanischen Zeitschrift La Guillotina über Marcos, die EZLN und die Medien

Markus Müller

Es gibt von Seiten der mexikanischen Regierung, aber auch von Seiten der Medien den Versuch, die zapatistische Bewegung zu umarmen um sie damit unschädlich zu machen. Welche Strategie haben die Zapatisten, um sich gegen diese Umarmungsversuche zu wehren?

Auf jeden Fall ist die Haltung der Medien gegenüber den Zapatisten sehr komplex. Zum einen haben sie sich stets bemüht, die Bevölkerung im Unklaren darüber zu lassen, was in Chiapas passiert. Jetzt sehen sie sich aber gezwungen, über das Thema zu berichten.

Woran liegt das?

Zum einen blieb ihnen nichts anderes übrig. Vor allem gibt es seit einigen Jahren Streitereien innerhalb der Medien. Es gibt ein paar Journalisten, die sich gegen die staatliche Kontrolle der Medien wehren. Sie versuchen häufig, sich mit Humor, Ironie und Zweideutigkeit über die Zensur hinweg zu setzen. Und dann gibt es noch den Versuch, alternative Medien aufzubauen. Den wichtigsten Beitrag zur Liberalisierung der Medien hat jedoch ihr Publikum geleistet. Es hat einen sehr kritischen Blick auf die Medien und hat gelernt, wie viele Aussagen umzuinterpretieren sind.

Könntest Du ein Beispiel nennen?

Ja. Wenn der Präsident ankündigte, die Benzinpreise nicht zu erhöhen, bildeten sich abends große Schlangen vor den Tankstellen.

Wie beurteilst Du, dass die Medien versucht haben, dem zapatistischen
Marsch im Vorfeld mit massiver Friedenstauben-Symbolik die Zähne zu ziehen?

Das gehört zu ihrer Kriegsstrategie. Der Gebrauch von Symbolen in der politischen Auseinandersetzung hat in Mexiko eine wichtige Bedeutung und eine lange Geschichte. Schon das aztekische Imperium hat damit operiert. Aber worum es den Medien heute geht, ist den Frieden zu banalisieren und der zapatistischen Bewegung die Legitimität und ihr soziales Prestige zu rauben. Schließlich spielen die Medien innerhalb der revolutionären Politik der Zapatisten eine wesentliche Rolle, und selbst der militärische Schlag vom 1.1.1994 sollte vor allem medienwirksam sein. Es ist also logisch, dass ihre Gegner versuchen, sie auf dem gleichen Schlachtfeld zu schlagen. Also versucht Fox, sich an die Spitze der Bewegung zu stellen. Fox behauptet, er freue sich darauf, mit den Zapatisten Frieden zu schließen. Währenddessen gehen die Aufklärungsflüge über den zapatistischen Gemeinden weiter, und das Indígena-Abkommen von San Andrés harrt seiner Umsetzung. Es hat sich nichts Konkretes getan.

Und was machen die Zapatisten, um sich gegen diese Form der Demagogie zu wehren?

Sie versuchen, direkt mit der Bevölkerung in Kontakt zu treten.

Und wie funktioniert das?

Die Kommunikation findet auf mehreren Ebenen statt. Zum einen während des Marsches selbst, auf den Plätzen, im Gespräch mit den Menschen und den Vertretern verschiedenster Organisationen aus der Zivilgesellschaft.
Zum anderen richtet man sich an die internationalen Medien, wobei die Zapatisten natürlich nicht kontrollieren können, wie über sie berichtet wird. Hier besteht das Problem, dass die internationalen Medien ihre Aufmerksamkeit auf Subcomandante Marcos konzentriert haben, der zweifelsohne eine charismatische Führungsfigur darstellt. Aber trotz allem nützt es den Zapatisten, wenn überall in der Welt über sie gesprochen wird.
Bereits die Ankündigung des Marsches hat eine unglaubliche Polemik hervorgerufen. Dürfen die Zapatisten Chiapas überhaupt verlassen? Dürfen sie maskiert sein? Die konservative Seite hat sehr vehement und ablehnend reagiert. Teilweise kam eine regelrechte Lynchstimmung auf, und von einem PAN-Abgeordneten wurde gar die Todesstrafe gefordert. Auch Vicente Fox meinte, es sei nicht nötig, dass die Zapatisten nach Mexiko-Stadt kämen. Aber damit hatten die Zapatisten eines ihrer wichtigsten Ziele schon erreicht: Es wurde wieder über sie gesprochen. Der Versuch, die Bewegung zu vereinnahmen, kam erst später auf. Das hat die Regierung von Fox irgendwann verstanden.

In deutschen Medien wurde diese politische Auseinandersetzung als Inszenierung zweier charismatischer Führungsfiguren gesehen: Vicente Fox als Caudillo und Marcos als Guerillero. Wie beurteilst Du diese Interpretation.

Ich finde sie absolut oberflächlich. Diese Leute verstehen nicht was bei der zapatistischen Initiative auf dem Spiel steht. Von Beginn an hatten die westlichen Medien eine sehr rassistische und eurozentristische Vision der zapatistischen Bewegung. Es dominierte das Bild von Marcos als einer Art Robin Hood. Und die internationalen Medien haben dieses Bild benutzt, weil es sich gut verkauft. Das Gleiche ist mit Fox passiert, der die Figur des Cowboy repräsentiert. Was sie nicht verstehen ist, dass die zapatistische Bewegung viel mehr ist als Marcos, während die Strategie von Fox durch eine sehr alte autoritäre Struktur getragen wird, die mit dem Regierungswechsel keineswegs verschwunden ist.

Ich glaube, dass Marcos einiges versucht, um nicht als charismatischer Führer gesehen zu werden, auf den die zapatistische Bewegung reduziert werden könnte. Mit seiner metaphorischen und poetischen Art zu sprechen zieht er jedoch immer wieder die Aufmerksamkeit auf sich. Steht das nicht den oben genannten Versuchen entgegen?

Marcos spielt die Rolle des Übersetzers, der die Sprache der Mayas in die Sprache des Westens übersetzt. Aber in den westlichen Gesellschaften kann sich einfach niemand vorstellen, dass eine indigene Bewegung ein eigenes Denken hervorbringen kann. Also heißt es: „Da ist dieser Weiße, der die Mayas mit seiner Philosophie beeinflusst und fasziniert.“ Nun ist Kommunikation ein sehr komplexer Prozess. Man weiß zwar, was man sagen will, aber nicht, was am Ende dabei heraus kommt. Wenn Du einen Roman schreibst oder einen Film machst, und ihn zur Kommunikation frei gibst, gehört er nicht mehr dir. Umberto Eco hat diesen Prozess ausführlich beschrieben. Du verlierst als Autor die Oberhoheit über dein Produkt, und jeder Leser oder Zuschauer macht seine eigene Interpretation. Die Zapatisten waren zwar beim Aussenden ihrer Botschaften sehr geschickt, aber sie müssen auch damit leben, dass sie diesen Prozess nicht mehr kontrollieren können.
Marcos selbst ist auch ein Opfer dieses Kommunikationsprozesses geworden, wie ich ihn oben beschrieben habe. Marcos will kein Protagonist sein, er hat sein Gesicht verhüllt und es interessiert nicht, wer er wirklich ist. Doch paradoxerweise hat er so die Aufmerksamkeit und Faszination der ganzen Welt auf sich gezogen.

Ich bin völlig Deiner Meinung, dass es demagogisch ist, zu behaupten, Marcos hätte den Indígenas das Gehirn gewaschen. Ich glaube vielmehr, er fasziniert die städtische, westlich orientierte Mittelklasse. Leute wie uns also. Und es ist gerade sein ganz eigener Stil, mit dem er das erreicht. Glaubst Du, die Zapatisten könnten auf Marcos verzichten?

Auf jeden Fall. Sicherlich hat sein Stil eine ganz persönliche Note. Aber die Formeln, die er verwendet und der poetische Stil kommen von den chiapanekischen Indígenas. Er übersetzt diesen Stil lediglich in eine Alltagssprache die auch die Städter, von Ciudad Juárez über Mexiko Stadt bis Mérida verstehen können. Und was die Metaphern angeht, die er verwendet, wäre es oberflächlich, diese nur als rhetorische Figuren zu verstehen. In Wirklichkeit handelt es sich um philosophische Kategorien aus dem Denken der Mayas. Ein Indígena aus Chiapas versteht Marcos’ Kommuniqués auf einer ganz tief liegenden Ebene, während ein junger Italiener vielleicht meint, es handle sich um pure Poesie.
Marcos Kommuniqués sind nicht lediglich das Produkt eines Mannes mit schriftstellerischer Inspiration. Sie sind das Produkt einer sozialen und kulturellen Bewegung, die viel älter ist als Marcos. Was die Leute vergessen ist, dass Marcos zum Beispiel bei dem Dialog von San Andrés nie anwesend war. Es waren ausschließlich Indígenas dort und zwar mit einer Sprachgewandtheit und einem politischen Gespür, das uns wirklich imponiert hat. Aber niemand sieht, was er nicht sehen will.

Aber was wäre gewesen, wenn es keinen Marcos gegeben hätte, der die Sprache der Indígenas in die der städtischen Bevölkerung übersetzt hätte?

Möglicherweise wäre der zapatistische Diskurs dann nicht so effektiv gewesen. Es war sicherlich sehr wichtig, diesem Diskurs eine persönliche Note zu geben und ihn in einer so einzigartigen Person zu konzentrieren. Denn ein zentraler Aspekt der Aufstandsbekämpfungsstrategie des mexikanischen Staates ist, politische Diskurse zu verfälschen. Der Staat sprach selbst im Namen revolutionärer Bewegungen mit dem Ziel, sie zu bekämpfen. Und um dieser Gefahr entgegenzuwirken, mussten die Zapatisten ihrem Diskurs einen unverwechselbaren Stempel aufdrücken.

Eine deutsche Kommentatorin hat vorgeschlagen, Marcos solle dem Medienspektakel um seine Person ein Ende bereiten und sich zurückziehen. Was hältst Du davon?

Offensichtlich sind die Zapatisten mit dieser Marcos-Manie nicht sehr glücklich, und Marcos selbst noch viel weniger. In der kritischen mexikanischen Öffentlichkeit ist völlig klar, dass der Zapatismus viel mehr ist als Marcos. Für die Mehrheit, die keinen Zugang zu kritischen Medien wie La jornada hat und ausschließlich die Desinformation aus den großen Fernsehstationen kennt, ist Marcos bereits zu einem Mythos geworden. Zu einer Figur die neben Helden wie Emiliano Zapata und Pancho Villa einen Platz in der mexikanischen Geschichte erobert hat. Diese Wahrnehmung ist die Antwort auf ein schlichtes Bedürfnis nach Symbolen. Marcos ist Teil unseres symbolischen Kapitals. Aber daraus die Konsequenz zu ziehen, zurückzutreten, würde ja gerade bedeuten, dass man denjenigen zustimmt, die behaupten, dass Marcos ein Medien-Caudillo ist.
Aber eines ist sicher: Sobald die Zapatisten sicher sein sollten, dass Marcos ihrem politischen Kampf abträglich ist, werden sie ihn zurückziehen.

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