Film | Nummer 420 - Juni 2009

Mauern niederreißen

Der Dokumentarfilm LT22 Radio La Colifata von Carlos Larrondo

Olga Burkert, Rebecca Aschenberg

Eine Stimme zu haben, mit der Mauern überwunden und manchmal sogar nieder gerissen werden können – daraus erwächst die Begeisterung der Patienten der psychiatrischen Klinik Hospital T. Borda in Buenos Aires für ihren Radiosender La Colifata. „Ich versuche bei La Colifata durch ein Medium eine Stimme zu haben, um Euch zeigen zu können, was aus unserer Sicht passiert“, verkündet Horacio Surur in seiner Sendung.
Die colifatos, wie sich die RadiomacherInnen selbst nennen, analysieren in dem Dokumentarfilm LT22 Radio La Colifata von Carlos Larrondo mit bestechender Klarheit die eigene Situation. Lautstark kritisieren sie nicht nur die Einrichtung „manicomio“ (wörtl. Übersetzung: Irrenanstalt), die sie mit einem „Gefängnis, nur ohne Gitter“ vergleichen, sondern auch die dortige Behandlung ihrer angeblichen Verrücktheit durch Psychopharmaka. Eindringlich beschreiben sie, dass sie sich früher wie „lebendige Mumien“ fühlten, vollgepumpt mit Medikamenten und geradezu der eigenen Person und Subjektivität beraubt.
Das Radioprojekt präsentiert hierzu einen therapeutischen Gegenentwurf. Als 1991 der Psychologe Alfredo Olivera Radio La Colifata gründete, sollten andere Ansätze greifen: „Das Radio kanalisiert die Verrücktheit in etwas Gutes“, so Olivera. „Durch das Radio findet man Freunde, man knüpft wieder eine Verbindung zu anderen Menschen, baut soziale Kontakte auf.“ Auch erhielten die PatientInnen durch das Radio die Möglichkeit, mit der Welt „draußen“ zu kommunizieren, die eigenen Belange einem größeren Publikum mitzuteilen: „Radio La Colifata ist unser Sprachrohr, mit dem wir unsere Rechte einfordern,“ erklärt der colifato Trinity.
Eine Erfolgsgeschichte. Dementsprechend heiter gibt sich der mit Musik von Manu Chao unterlegte Film. In diesem stehen vor allem die colifatos selbst im Rampenlicht. Es gibt keinen kommentierenden Erzähler und die Kamera nimmt eine zurückhaltende, beobachtende Perspektive ein. Der Grundton des Films ist fast ausschließlich positiv. Die restlichen sechs Tage der Woche, an denen die colifatos „bloße“ PatientInnen sind und ihren Alltag ohne das Kraft und Energie spendende Radio meistern müssen, werden ausgeblendet. Nur ein einziges Mal ist die Stimmung gedrückt: In einer Sendung kommt plötzlich die Depression von Jagger zum Ausdruck: „Manchmal denke ich, dass mein Leben immer scheiße sein wird“, bringt der colifato unter Tränen hervor. Hier wird erstmalig die Funktion der Gruppentherapie deutlich. Auf beeindruckende Art und Weise ermuntern die anderen Jagger weiter zu sprechen, tätscheln zärtlich seinen Arm und signalisieren ihm so ihre Unterstützung. Abgesehen von dieser Sequenz ist der Film jedoch durchweg von dem Witz sowie der poetischen und musikalischen Kreativität der colifatos gezeichnet. Ihre Energie springt dabei geradezu auf die ZuschauerInnen innerhalb und außerhalb des Films über. Dieser gipfelt in einem Konzert in Buenos Aires, bei dem Manu Chao die colifatos einlädt, musikalisch-poetische Beiträge vor 15.000 ZuschauerInnen vorzutragen. Spätestens hier zeigt der Film deutliche Längen. Leider wurde zu sehr auf die massenwirksame Ausstrahlung des populären Musikers gesetzt. Und im Grunde brauchen die colifatos keinen Manu Chao, um die Welt zu beeindrucken.

LT 22 Radio La Colifata // Carlos Larrondo // Spanien 2007 // Vertrieb siehe: www.icestorm-revolution.de

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