Wie eine fliegende Schildkröte
Der „magische“ Dokumentarfilm La sirena y el buzo spielt mit Genregrenzen
Aus dem Meer kommen wir, ins Meer gehen wir wieder ein – und zwar in Form einer Schildkröte, die schwerelos durch das karibische Meer gleitet. Ein Taucher stirbt beim Ertrinken nicht, er verwandelt sich in eine Schildkröte, so besagt es ein Mythos der Miskito. Diese Ethnie lebt an der Ostküste Nicaraguas und ihr Alltag ist der Hintergrund für die Geschichte des Miskiten Simbads und einer Sirene. Die beiden haben eine besondere Beziehung, denn obwohl Simbad als ziemlich kräftiger Junge zur Welt kommt, hat er ein Leiden, auf das die Schulmedizin keine Antwort weiß.
Erst eine alte Heilerin schafft es durch ein Ritual, ihn davon zu befreien, indem sie in einem Ritual den kleinen Simbad von der Sirene berühren lässt. Von nun an wächst er als ein glücklicher Junge, mit seinen Freunden spielend, in einem Dorf am Rande des Flusses Coco auf. Von dem Leben der Erwachsenen bekommt man erst einen Einblick, als auch Simbad selbst älter wird. Nachdem der Hurrikan Felix, der 2007 die Miskitoküste traf, alles vernichtet hat, was sein bisheriges Leben ausmachte, geht Simbad in die Stadt, um dort Arbeit zu suchen. Doch auch hier wurde vieles zerstört. Selbst die Fische sind verschwunden. Erst als sie wieder zurückkehren, findet Simbad Arbeit bei den Fischern als Langustentaucher. Schließlich ruft ihn die Sirene zu sich, und zur Schildkröte verwandelt, entschwindet er ins Blaue.
Als ein „magischer Dokumentarfilm“ wurde der Film im Pressetext angekündigt und so spielt er tatsächlich mit den Grenzen des Genres, um seine Geschichte zu erzählen.
Es wird sogar ein animierter Comic eingeschoben, um dokumentarisch nicht filmbare Szenen darzustellen, die das fiktive Leben eines Miskito erzählen. Die Aufnahmen bei den Miskito sind von großer dokumentarischer Qualität. Die Kamera beobachtet mal aus der Distanz, mal aus der Nähe und zeigt viele Details aus dem Leben der Miskito. Es gibt keine nervtötenden Kommentare, die dem Zuschauer erklären, was er sieht und trotzdem nicht versteht, keine musikclipartigen Schnitte, die das Hirn betäuben. Nur Texteinblendungen vor schwarzem Hintergrund grenzen die verschiedenen Kapitel voneinander ab, kommentieren diese und ordnen sie ein. Den Bildern wird genug Zeit gelassen zu sprechen und sie lassen Details entdecken, die nur jemand sehen konnte und filmen durfte, der einige Zeit bei und mit seinen ProtagonistInnen verbrachte.
Von daher ist es nicht verwunderlich, dass die Regisseurin Mercedes Moncada, die zum Teil in Nicaragua aufgewachsen ist, über drei Jahre mit den Dreharbeiten beschäftigt war. Schon ihr letzter Dokumentarfilm, El Imortal, war 2005 im Berlinale Forum zu sehen.
Kritisieren lässt sich an diesem, wie an ihrem letzten Film, dass die Regisseurin zwar darum bemüht ist, symbolhafte Verbindungen zwischen den Bildern herzustellen, es ihr aber nicht richtig gelingt. So wird das Fangen und Schlachten einer Schildkröte mit Bildern einer Beerdigung und der Geburt Simbads gegengeschnitten. Dabei wird leider nicht deutlich, ob es sich hier um eine auf Vorstellungen der Miskito aufbauende Interpretation der symbolischen Beziehung Mensch/Schildkröte und Tod/Leben handelt. Auch bei der Figur Simbads bleibt unklar, ob sich Mercedes Moncada dabei von einem Mythos der Miskito inspirieren ließ oder ihre eigene Fantasie benutzte, um die verschiedenen Kapitel miteinander zu verbinden und so eine zusammenhängende Geschichte zu schaffen.
Mercedes Moncada // La sirena y el buzo //
Spanien/Mexiko 2008 // Berlinale Sektion Forum